Die Generation dreißig sucht nach Halt

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Wieder will ein Buch die Visitenkarte einer Generation sein. Autor Oliver Jeges porträtiert die Kinder der Achtziger als orientierungslose, Ich-zentrierte "Maybes".

Lucy ist ein Kind der Achtzigerjahre, und Lucy ist ein bisschen unglücklich. Woran das liegt, erklärte vor ein paar Monaten die US-Webseite „Wait but why“ mit einer hübschen Strichzeichnung. Als Tochter von Babyboomer-Eltern und Enkelin von Great-Depression-Großeltern wuchs sie behütet und mit der Gewissheit auf, etwas ganz Besonderes zu sein. Die grüne Wiese, die ihre Großeltern einst pflanzten und die ihre Eltern durch harte Arbeit und die prosperierende Wirtschaft erweitern konnten, reicht Lucy aber nicht. Denn schließlich haben die Eltern ihr stets eingebläut, sie könne alles werden, was sie will. Lucy und ihre Altersgenossen wollen eine Wiese mit bombastisch schönen Blumen, nicht bloß ein sicheres, aber langweiliges grünes Gras – und das am besten ohne große Anstrengung. Doch wer große Erwartungen hat, muss zwangsläufig enttäuscht werden, weshalb Lucy latent unglücklich ist.

Die Wiese wird in dieser amüsanten Strichzeichung zur Metapher für das Leben, und die Strichzeichnung wurde im Netz tausendfach geteilt. Kein Wunder, die Ich-bezogenen, unentschlossenen Dreißigjährigen mögen Geschichten, in denen sie sich wiederfinden.

Nach der Strichzeichnung und vielen Artikeln zur Generation dreißig kommt jetzt ein ganzes Buch über sie heraus. Der in Deutschland lebende Journalist und gebürtige Österreicher Oliver Jeges nennt sich und seine Altersgenossen „Generation Maybe“, denn, wie er schreibt: „Wir sind die Richtungslosen, die sich nicht entscheiden wollen oder können.“ „Überall ist alles möglich.“ „Alles kann, aber nichts muss.“ „Wir sind alles zugleich und daher nichts wirklich.“ Das sind nur einige der dutzendfach aufgezählten Merksätze dieser Generation. Auf die sichere Kindheit folgte eine unsichere Teenagerzeit, geprägt vom aufkommenden Internet in all seinen Spielarten und der Wirtschaftskrise. Jeges ist behutsam in der Einordnung seiner Generation. Er weiß, dass sie sich eigentlich nur schwer über einen Kamm scheren lässt, weil sie so inhomogen ist wie kaum eine vor ihr. „Unsere gemeinsame Eigenschaft ist, dass wir keine gemeinsame Eigenschaft haben.“ Trotzdem, räumt er gewissermaßen als Disclaimer ein, lasse sich ein Buch über eine Generation nicht ohne Pauschalierungen schreiben.


Generation Y, Praktikum oder Neon. Das Inhomogene beginnt schon bei der Etikettierung, denn es gibt so viele. Zuerst hießen die Kids der Achtziger Millenials (weil sie um das Jahr 2000 in der Pubertät waren), später Generation Y und Praktikum. Angelehnt an das Magazin für Twenty-somethings, die nicht erwachsen werden wollen, würde auch Generation Neon zutreffen. Blickt man in Länder wie Spanien, Italien oder Griechenland, ist dort nur von der Lost Generation die Rede, weil sie den Wohlstand ihrer Eltern nicht mehr halten kann.

Und nun also Maybe. Dabei ist Jeges These so neu eben nicht: Heute 30-Jährige stolpern orientierungs- und bindungslos durch ihr Leben, betrunken von der eigenen Genialität, die sie in sozialen Netzwerken zur Schau stellen. Wie Prinzessin Lucy, die von der extrabunten Wiese träumt, fantasieren sie vom perfekten Leben und können sich vor lauter Möglichkeiten nicht entscheiden, welchen Weg sie einschlagen sollen. Wenn doch sogar schon die Foto-Applikation am Handy 20 verschiedene Filter anbietet. Vieles, was Jeges beobachtet, stimmt. Doch drängt sich der Verdacht auf, dass er von einer speziellen Subgruppe dieser Generation spricht, die vorwiegend in Kreativ- und Medienberufen arbeitet. Denn es gibt auch heute den 35-jährigen zweifachen Familienväter mit Reihenhaus, SUV und einem gut bezahlten Anwalts- oder Bankenjob. Oder die 33-jährige Ärztin mit Kind und Ehemann, die den Kredit für die Eigentumsdachgeschoßwohnung abbezahlt. Das Einzige, was sie von ihren Eltern unterscheidet: Sie haben ein paar Jahre später mit dem Kinderkriegen angefangen – und jammern lauter über die Dreifachbelastung Arbeit, Erziehung, Partnerschaft.

Jeges Generation Maybe, das sind die jüngeren Geschwister der Generation Golf, die Teenager in den Achtzigerjahren waren und lange vor der Wirtschaftskrise zu arbeiten begannen. Florian Illies beschrieb sie 2000 in seinem gleichnamigen Buch als Spießer und Hedonisten. Sehr weit entfernt sind die Maybes von ihren großen Brüdern und Schwestern offenbar nicht, wenn man dem deutschen Rapper Marteria folgt, der über seine Altersgenossen rappt: „Jeder ist jetzt Zahnarzt. Alle ziehen aufs Land, silbernes Besteck, goldener Retriever“, und im Refrain ergänzt: „Alle haben 'nen Job, ich hab Langeweile.“

Hinter all der Unentschlossenheit und Angst vor Fehlentscheidungen sieht auch Autor Oliver Jeges letztlich eine Sehnsucht nach Halt und Haltung: „Alles, was wir wollen, ist ein bisschen Friede, ein bisschen Freude und ein veganer Kuchen ohne Eier.“ Vielleicht muss Lucy nur lernen, dass auch eine grüne Wiese ohne bunte Blumen schön sein kann.

Generation 1980

Über die Kinder der Achtzigerjahre sind bereits einige Romane und Sachbücher erschienen. Eine Auswahl.
•Nina Pauer: „Wir haben (keine) Angst. Die Gruppentherapie einer Generation“ (2011)
•Antonia Baum: „Vollkommen leblos, bestenfalls tot“ (2013)
•Margareta Kinstner: „Mittelstadtrauschen“ (2013)
•Sarah Kuttner: „Mängelexemplar“ (2009)

Das Buch

Generation Maybe –
Die Signatur einer Epoche

von Oliver Jeges
Verlag Haffmans Tolkemitt
192 Seiten
18,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2014)

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