Udo Jürgens: „Nach hinten orientieren? Ich tu das nicht“

Udo Jürgens
Udo Jürgens(c) APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Anfang März führte Udo Jürgens mit seinem 53. Album einmal mehr die Charts an. Sein letztes "Presse"-Interview zum Nachlesen.

Die Presse: Eben haben Sie noch gesungen „Es lebe das Laster“, nun heißt die aktuelle Single „Der Mann ist das Problem“. Was ist passiert?

Udo Jürgens: Keine großen Veränderungen. „Es lebe das Laster“ ist immer noch eine Lebensphilosophie, die ich in Ordnung finde. Das, was von einer Spießbürgerlichkeit als Laster bezeichnet wird, ist nur Lebensfreude.


Hat sich Ihre Idee vom richtigen Leben seit ihrem 50er verändert?

Sie hat sich insofern verändert, als ich dem Ziel nähergekommen bin, ein Leben zu leben, in dem ich mich wohl und geborgen fühle. Ich versuche die Dinge, die ich tun kann, mit der allergrößten Sorgfalt zu vollenden.


Ihr Album ist mit viel Liebe orchestriert – ein Anachronismus?

Mag sein. Es ist Wahnsinn, wie viele sich heutzutage des Computers beim Komponieren bedienen. Ich möchte mich nicht um den Genuss des Wissens um die Strukturen in der Musik betrügen. Es ist aufregend, etwas zu entwickeln und ganz altmodisch, Musiker zu holen, ein Mikrofon hinzustellen und alles mit richtigen Instrumenten einzuspielen. Das ist ein Geschenk.


Wieso ist Ihnen Klangreichtum so ein Anliegen?

Es ist das, worum es mir immer gegangen ist. Ich wollte in meinem Leben erreichen, dass meine Lieder so klingen wie die amerikanischen Songs, die ich in meiner Jugend gehört habe. Die klangen stets extrem locker. Hier in Europa fehlte lange Zeit die Entspanntheit. Heute kriege ich Anrufe von Musikern aus London, die meinen aktuellen Sound loben und wissen wollen, wie ich es gemacht habe.


Neben schwelgerischen Liebesliedern haben Sie wieder viel Gesellschaftspolitisches eingebaut. Geben Sie Ihren Textern eigentlich Themen wie den „gläsernen Menschen“ vor?

Die Lieder entstehen in gemeinschaftlichem Bemühen. Viele sind von Nachrichtensendungen diktiert. Bei „Der gläserne Mensch“ hab ich mich mit Texter Oliver Spieckler zusammengesetzt. Wir haben nicht viel, dafür aber schon viel Gutes gemacht. In dem Fall hat sogar er das Thema ins Spiel gebracht.


Sie sind ja ein glühender Europäer. Warum denn das?

Man kann es kritisch sehen, aber es ist eine Jahrtausendidee, die da in einem langsamen, schmerzlichen Prozess umgesetzt wird. Wir werden keinen Krieg mehr erleben, wenn uns nicht irgendwelche Wahnsinnigen von außen angreifen. Das sind Veränderungen, die entstanden sind, weil wir die Zeichen der Zeit erkannt haben.


Kann der ungleich verteilte Wohlstand diese Idee eines gemeinsamen Europa zum Kippen bringen?

Ich hoffe nicht. Natürlich ist es so, dass die Armen in einer verzweifelten Lage sind und womöglich etwas fladern. In ein reiches Land zu gehen und das zu tun, ist eine normale Haltung. Unsere Verpflichtung ist, dafür zu sorgen, dass auch die neuen Mitgliedsländer am Wohlstand teilhaben, den wir gerade erleben. Wer macht die Dreckarbeit, die bei uns keiner machen will? Das sind seit Jahren Ausländer. Wollen wir die wirklich als Menschen zweiter Klasse behandeln? Sarrazins wird es immer geben. Das sind zum Teil auch kluge Leute, die sich da nach hinten orientieren, aber ich persönlich tu das nicht.


Kann österreichische Popmusik international eine Rolle spielen?

Aus Österreich ist viel Vorbildhaftes gekommen. Strauß und die Operetten, das war ja damals Popmusik. Über Mozart brauchen wir gar nicht zu reden. Ich frage mich, warum muss diese Tradition abbrechen, nur weil eine neue Zeit begonnen hat? Ich fühle mich der Tradition verbunden und versuche trotzdem den Spagat zu machen und jazzig, groovig und modern zu sein.


Wie geht es Ihnen, wenn Sie heutzutage das Radio aufdrehen?

Es gibt heute durchaus gute Sachen. Aber eine Zukunft der Musik wird aus dem Rap nicht erwachsen. Darüber muss man sich im Klaren sein. Es ist eine Ausdrucksform der Gegenwart, mit der wir uns auf jeden Fall beschäftigen müssen. In der Musik gibt es halt immer noch einen Quintenzirkel, den man begreifen muss.


Hat Musik in der modernen Gesellschaft an Bedeutung verloren?

Obwohl sie immer noch ein Mysterium ist, stehen wir vor der Frage, ob nicht die Zeit für die Musik abgelaufen ist. Das wäre eine traurige Erfahrung, die ich in meinem Alter nicht mehr erleben werde. Wenn es so weit kommen sollte, dann fürchte ich um die Seelen der Menschen.

NEUES ALBUM

„Mitten im Leben“ ist der Titel des neuen Albums von Udo Jürgens. Am 30.September feiert der gebürtige Kärntner seinen 80.Geburtstag und geht dann auf Tournee durch die deutschsprachigen Länder.

Web:www.udojuergens.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2014)

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