Claudia Cardinale: "Ich habe noch immer Lampenfieber"

Claudia Cardinale
Claudia Cardinale(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sie war eines der großen Idole der Sechziger und ist heute lebende Filmgeschichte: Schauspielerin Claudia Cardinale erklärt, warum sie noch immer aktiv ist und spricht über ihr Verhältnis zu ihrem „Gegenstück“ Brigitte Bardot.

Frau Cardinale, Sie haben einmal gesagt, in Ihrer Jugend wollten Sie Forscherin werden. Haben Sie das quasi als Schauspielerin verwirklicht?

Claudia Cardinale: Genau. Ich war noch eine Schülerin, als ich von einem Filmregisseur eingefangen wurde – da begann meine Reise. Dabei hatte ich vorher mit meinem Vater gestritten und geschrien: „Ich will keine Schauspielerin werden!“ Und mittlerweile habe ich 141 Filme gemacht. Mir ist klar geworden, dass ich das tun konnte, was ich wollte: rund um die Welt zu reisen ...

Diese Reise hat Sie von der Arktis (im Film „Das rote Zelt“) bis in den südamerikanischen Dschungel (bei „Fitzcarraldo“) geführt. Was war Ihr wildestes Abenteuer?

Im Amazonas bei „Fitzcarraldo“, das war schon das Abenteuerlichste – und fantastisch. Denn wissen Sie (flüstert): Ich liebe die Gefahr! Wenn es zu leicht geht, das mag ich nicht.


Das könnte erklären, warum zwar jeder am Set vor Klaus Kinski Angst hatte – aber Kinski fürchtete sich angeblich vor Ihnen.

Ja, weil er am ersten Tag einen Spiegel herausgezogen hat und hineinschaute, ob das Licht auch gut gesetzt ist – und zwar nur für ihn. Da bin ich aufgestanden und gegangen. Werner Herzog meinte nur: „Von jetzt an wird sich Klaus anders verhalten.“ Und so kam es auch. Aber Kinski war ein großartiger Schauspieler. Nur ein bisschen verrückt.

Zu Ihrer Abenteuerlust passt, dass Sie als einzige Frau zur Western-Ikone geworden sind.

Ja, dank „Spiel mir das Lied vom Tod“. Zuvor spielte ich schon in einem wichtigen Western, „The Professionals“. Und mit Brigitte Bardot habe ich danach einen komödiantischen gedreht: „Les petroleuses“, „Petroleum-Miezen“ – BB gegen CC. Die Blonde gegen die Brünette. Als ich am Set ankam, standen schon die Paparazzi bereit, weil sie glaubten, wir würden uns umbringen.

Sie mussten sogar gegeneinander kämpfen.

Bis zu der Kampfszene hatte Brigitte Angst vor mir. Für sie kam ein Mann in ihrem Kostüm, und ich sagte: „Brigitte, das ist lächerlich! Da bin nur ich groß im Bild, denn bei dir müssen sie das Double kaschieren. Komm schon, versuchen wir's!“ Sie ließ sich überreden.

Sie haben Ihre Stunts gerne selbst gemacht.

Ja, ich bin eben auch etwas verrückt.

In den Siebzigern haben Sie sogar Discopop-Platten aufgenommen. Wie das?

„Popsy Pop“? Weil ich im Film mit Bardot gesungen hatte, kamen viele Anfragen. Dabei habe ich eine Stimme wie ein Mann. In Japan landete ich sogar in der Hitparade. Auch verrückt.

Sie leben hauptsächlich in Paris. Treffen Sie da die Bardot noch manchmal?

Ja, Brigitte ist noch immer sehr nett zu mir. Als ich unlängst einen Preis bekam, schickte sie mir einen Brief: „À mon petroleuse: je vous aime bien.“ Am Tag der „Petroleuses“-Premiere auf den Champs-Élysées sagte sie übrigens: „Claudia, wir werden etwas Unglaubliches tun! Du ziehst dich sehr sexy an, mit einem Minirock – und ich als Mann!“ So sind wir hingegangen. Sie können sich vorstellen, wie die Fotografen dreingeschaut haben ...

„Petroleuses“ wurde als das Aufeinandertreffen der zwei großen Kino-Sexsymbole Europas vermarktet. Sie haben sich aber nie für die Leinwand ausgezogen. Aus Prinzip?

Alle solchen Anfragen habe ich abgelehnt, ich wollte meinen Körper nicht verkaufen. Ich glaube auch, dass es viel erotischer ist, sich etwas nur vorzustellen, als es zu sehen.

Sie haben Ihr Privatleben immer geschützt. Keine Skandale, keine Diva, kein Dolce Vita?

Ich bin deswegen sogar aus Italien weggezogen. Dort konnte ich wegen der Paparazzi nicht mehr außer Haus gehen. In Paris ist es viel ruhiger. Und prinzipiell finde ich auch, dass man mich für meine Arbeit kritisieren soll, aber nicht dafür, wie ich lebe.

Wonach wählen Sie heute Ihre Projekte aus? Etwa den österreichischen Film „Der stille Berg“, in dem Sie jetzt zu sehen sind?

Nur in einer ganz kleinen Rolle. Als ich Regisseur Ernst Gossner traf, fand ich ihn sehr lustig. Und ich mochte das Drehbuch. Der Anfang ist unglaublich: eine länderübergreifende Hochzeit, mittendrin bricht der Krieg aus – dann gehen die Italiener auf die eine Seite und die Österreicher auf die andere.

Im Jahr 2000 haben Sie auch zum ersten Mal Theater gespielt. Warum so spät?

Ich hatte Angst davor. Ich habe auch nur vier Stücke gespielt. Schon vorher wurde ich wieder und wieder gefragt, aber ich fürchtete mich. Zwei Stunden vor der ersten Premiere hatte ich unglaubliches Lampenfieber. Ich habe es übrigens auch noch bei jedem Film.

Es heißt, Sie schauen gerne Fußball?

Ich liebe überhaupt Sport. Als ich jung war, war ich kein Mädchen, sondern ein Bub. Ich raufte immer mit den Buben und verbrachte meine Freizeit mit Basketball, Volleyball und Athletik.

Sie sind gebürtige Tunesierin. Wenn Tunesien und Italien bei der Fußball-WM wären, für wen würden Sie jubeln?

Ich habe drei Optionen: Tunesien, das Land meiner Familie, seit vielen Generationen. Frankreich – französisch war die erste Sprache, die ich konnte. Und Italien, denn das ist meine Nationalität.

Sind Sie manchmal in Tunesien?

Ja, letzten Sommer war ich mit meiner Tochter dort, auf der Insel Djerba. Dort ist es sehr schön, aber es waren kaum Leute dort, nach der Revolution.

Wie sehen Sie die Entwicklungen nach dem Arabischen Frühling?

Jetzt hoffe ich, dass sich etwas ändern wird. Die Gegend lebt vom Tourismus, aber momentan stehen die Hotels leer.

Lebt Ihre Tochter auch in Paris?

Ja, ihr wurden schon Filmrollen angeboten. Aber sie sagt nein. Und mir sagt sie dann: „Weil du meine Mutter bist.“

Sie heißt auch Claudia ...

Aber Claudia Squitieri. Ihr Vater ist der Regisseur Pasquale Squitieri. Er wollte mich heiraten, doch ich lehnte das ab. Aber bei der Geburt unserer Tochter sagte er dann: „Wir nennen sie Claudia, dann hat sie unser beider Namen.“

Sie haben auch einen Sohn, den Sie verheimlichen mussten, um Ihre Karriere zu starten.

Er war der Grund, warum ich das Filmangebot überhaupt angenommen habe: weil ich unabhängig sein wollte.

Warum haben Sie Squitieri nie geheiratet?

Bei so vielen Kontrakten im Kino brauche ich nicht noch einen Ehevertrag. Und unsere Beziehung war immer gut.

Lag es auch daran, dass Sie vorher einmal verheiratet waren? Mit dem Produzenten Franco Cristaldi, der Ihre Karriere steuerte und alles vorschrieb, Ihre Frisur, Ihr Gewicht.

Er war ein sehr wichtiger Produzent. Und plötzlich wollte er mich heiraten. Er hat etwas organisiert – und ich habe zuerst abgesagt. (Lacht laut.) Aber seine Bedeutung war nicht zu ignorieren: Damals machte ich vier Filme im Jahr.

Das tun Sie doch noch immer. Nur spielen Sie jetzt oft kleinere Rollen...

Ich liebe es, aktiv zu sein. Das ist wichtig, sonst verkümmert man. Ich habe auch immer abgelehnt, mich liften zu lassen. Meine Mutter hat gesagt: „Weißt du, warum wir deine Falten nie sehen? Weil du immer lächelst!“

Schauen Sie sich manchmal Bilder von sich in jüngeren Jahren an?

Ich muss, weil ich auf viele Festivals eingeladen werde – überall werde ich mit meinen Fotos konfrontiert.

Wie ist es, sich so jung zu sehen?

Manchmal schon sehr traurig. Als Martin Scorsese die restaurierte Fassung von „Der Leopard“ in Cannes präsentierte, kam ich mit Alain Delon. Alain weinte die ganze Zeit neben mir und sagte: „Claudia, sie sind alle tot, wir sind die einzigen, die noch leben.“

Für Luchino Visconti haben Sie neben „Der Leopard“ noch drei Filme gemacht, etwa das unfair übergangene Drama „Sandra“.

Weil es da einen Skandal gab: Bruder und Schwester als Liebespaar. „Der Leopard“ drehte ich übrigens gleichzeitig mit „8 1/2“ von Federico Fellini, das war genau das Gegenteil. Mit Visconti war alles genau geplant, es war wie am Theater. Mit Federico gab es kein Drehbuch, nur Improvisation. Und ich hatte lange Haare. Luchino wollte sie dunkel, Federico blond. Ich musste sie ständig ändern. Sie waren wütend auf mich, dass ich zwei Filme gleichzeitig drehte.

Im selben Jahr kam auch „Der rosarote Panther“, Ihr erster großer internationaler Film.

Als ich ans Set kam, sagte mein Kollege David Niven etwas Unglaubliches zu mir: „Neben Spaghetti bist du die beste Erfindung Italiens!“

Steckbrief

1938
wurde Claudia Cardinale in Tunis geboren. 1957 wählte man sie zur schönsten Italienerin der Stadt, der Preis war eine Reise zu den Filmfestspielen in Venedig. Wenig später wurde sie vom Produzenten Franco Cristaldi entdeckt.

1960
spielte sie in Luchino Viscontis Sozialdrama „Rocco und seine Brüder“. Es folgten Fellinis „8 1/2“, „Der Leopard“, „Der rosarote Panther“ oder „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Von 1966 bis 1975
war Cardinale mit Cristaldi verheiratet, seit 1975 ist sie mit dem italienischen Regisseur Pasquale Squitieri zusammen. Sie hat einen Sohn, den sie auf Druck ihrer Produzenten lange verleugnen musste, und eine Tochter.

2005
veröffentlichte sie ihre Memoiren. Derzeit ist Cardinale in einer Nebenrolle in „Der stille Berg“ zu sehen.

Frau Cardinale, darf man Sie auch fragen...


1... was Sie als Kettenraucherin zu den Rauchergesetzen sagen?
Ich finde sie entsetzlich! Ich rauche überall. Vor einiger Zeit war ich bei einem Empfang des französischen Präsidenten im Élysée-Palast und verlangte: „Bringt mir einen Aschenbecher!“ Dann rauchte ich als Einzige – und alle starrten mich deshalb an.

2... ob Sie bereuen, dass Sie Marlon Brando von Ihrer Hotelzimmertür weggeschickt haben?
Die ersten Filme, die ich sah, waren mit Brigitte Bardot und Brando. Ab da waren die beiden meine Idole. Als ich nach Amerika kam, klopfte er eines Abends. Sexy ... doch ich wies ihn ab. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, dachte ich mir: „Ich bin doch ziemlich blöd.“ Zu spät!Brando stellte später fest, ich sei eben ein Widder, so wie er.

3... welche Ihre Lieblingsfußballmannschaft ist?
Tut mir leid, aber das kann ich Ihnen nicht sagen. Sonst komme ich in Italien in Lebensgefahr. Nur soviel kann ich Ihnen verraten: Es handelt sich um ein italienisches Team.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2014)

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