Lassnig: Die Ahnfrau des Selfie?

Maria Lassnig
Maria Lassnig(c) APA (ARTINGER Guenter)
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In der trendigen Zweigstelle des MoMA wird zurzeit die 94-jährige Malerin Maria Lassnig gefeiert. Die sich das Museum ausgerechnet mit Christoph Schlingensief teilt.

Ein tolles Paar, ein wildes, unangepasstes. Maria Lassnig, die große unabhängige Malerin unserer Zeit. Und Christoph Schlingensief, der 2010 verstorbene große unabhängige Inszenierungs- und Performancekünstler. In der trendigen, auf Long Island gelegenen Außenstelle des New Yorker Museum of Modern Art, dem PS1, finden sie jetzt nicht unbedingt zusammen, aber doch zueinander; die beiden Retrospektiven ergänzen einander hervorragend. Hier ein medial überbordendes Gesamtkunstwerk, das lärmend die ganze Welt umarmen will (Schlingensief). Dort die ruhige, klassische Malerei-Ausstellung mit viel Weißraum, konzentriert auf die eigene Gefühls- und Körperwelt.

Lassnigs erste New Yorker Museumsausstellung ist eine Zusammenarbeit mit der Neuen Galerie Graz, wo 2012/13 bereits eine sehr schöne, auf Werke aus Lassnigs eigenem Besitz aufgebaute Retrospektive zu sehen war. Die US-Version davon wirkt weit aufgeräumter und luftiger, was den Bildern guttut. Zwar ist das Frühwerk in dieser rund 70 Arbeiten umfassenden Schau recht knapp bemessen, was für ein wenig Kritik sorgte, ist Lassnigs aktuelles Werk durch ihre New Yorker Galerie und ihren jüngsten Auftritt bei der Biennale Venedig international doch recht präsent. Andererseits war diese New Yorker Ausstellung eine Herzensangelegenheit Lassnigs, die wie jeder Künstler das aktuelle Werk als das wichtigste ansieht.

Was in Lassnigs Fall, einem Ausnahmefall, durchaus stimmt – das narrativere Spätwerk, in dem sie in bewundernswerter Schärfe und Ironie ihren Verfall und ihre Ausgeliefertheit beschreibt, ist eine Wucht. Man würde verstehen, würde man in New York auf diese Bilder mit Begriffen wie „morbide“ und „strange“ reagieren, wie man das in den 1960er- und 1970er-Jahren tat, als Lassnig hier lebte. Es war die Hochzeit der Minimalkunst – und die damals aus Paris kommende Lassnig dementsprechend „lost“ in dieser Szene.

Lassnigs Einfluss auf junge Malerinnen

Erfolg hatte sie hier damals keinen mit ihrer „Körperbewusstseins-Malerei“. Das hat sich heute gravierend geändert, sie wird einerseits als einflussreich auf junge Malerinnen wie Charline von Heyl und Dana Schutz erkannt und vom zuständigen New Yorker Kurator sogar als Vorreiterin des Selfie-Trends dargestellt. Was in dem Sinne absurd ist, dass Lassnig zumindest immer angibt, gerade nicht mit Fotovorlagen zu arbeiten. Sondern konzentriert in sich hineinsieht, um ihre körperlichen Befindlichkeiten in speziellen Farben und Formen auf die Leinwand zu übertragen.

Das Posing allerdings ist ihr nicht fremd, wie eines der Schlüsselbilder dieser Ausstellung betont: „Du oder Ich?“ (2005) ist eines von Lassnigs provokantesten Bildern, nackt, mit zwei Pistolen in den Händen, einen Lauf auf sich selbst, den anderen auf den Betrachter gerichtet. Diese Frau hat etwas zu sagen, lobte die Kritik sofort. Das Kalkül von Malerin und Kuratoren, ein solches Bild hier derart prominent zu platzieren, ist aufgegangen. Und im Hintergrund hört man sie mit brüchiger Stimme ihre „Kantate“ (1992) singen, der beste ihrer Zeichentrickfilme, deren Handwerk sie einst in New York erlernt hat: „Amerika, das Land der Möglichkeiten, das zog mich an, die Frauen sind dort stark. / Sie wehren sich dort sehr und tun gerne streiten, den Machos wurd' getroffen tief ins Mark!“

Machismo kann man Lassnigs Ko-Aussteller Schlingensief wirklich nicht vorwerfen, streitbar war er sehr wohl. Mitstreiter und -läufer hatte er ebenfalls zuhauf. Einer davon war Klaus Biesenbach, Chefkurator des MoMA, der die postume Verehrung seines Freundes mit dieser Retrospektive einerseits auch in die USA bringen, andererseits seinen Status als bildender Künstler mit dem Label MoMA eindeutig zementieren möchte. In diesem Status liegt auch der Schlüssel für die Unsterblichkeit des Multisparten-Genies – Museen sind, anders als Kino oder Theater, auf Totenkult sozusagen spezialisiert. Schließlich war er „unser heiliger Narr“, wie Schlingensief-Genossin Patti Smith auch medial in dieses Horn bläst.

Ob diese prominente Ausstellung auch nachhaltig einer späten Popularisierung Schlingensiefs in den USA dient, ist allerdings sehr fraglich, sie ist inhaltlich allzu schwer zugänglich, wirr, eng, laut, kleinteilig. Statt alles dokumentieren zu wollen, hätte man sich mehr auf einzelne große Würfe konzentrieren sollen, wie auf einen von drei hier aufgebauten mächtigen „Animatographen“, Schlingensiefs mit all seinem individual-mythologischen Furor aufgeladene Drehbühnen.


MoMA PS1, Lassnig bis 25. 5., Schlingensief bis 31.8.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2014)

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