Initiatoren: „Man braucht einen langen Atem“

Ringler und Katzmair
Ringler und Katzmair(c) Clemens Fabry/ Die Presse
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Marie Ringler und Harald Katzmair machen Menschen sichtbar, die oft versteckt Lösungen für gesellschaftliche Probleme finden.

Die Presse: In Österreich hat man oft den Eindruck, es geht nichts weiter. Teilen Sie diesen Eindruck?

Marie Ringler: Heute sind immer mehr auf dem besten Weg, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ich vertraue darauf: Es dauert nicht mehr lange, und die „Anpacker“ erreichen eine kritische Größe.

Ein frommer Wunsch?

Ringler: Die Fülle an innovativen Lösungen ist groß: Eine junge Polin, die Karriere-Netzwerke für Migranten knüpft; eine Videodatenbank, gegründet von einem ehemaligen Flüchtlingskind, die zeigt, was man an ungewöhnlichen Berufen ergreifen kann; ein Gründer, der Technologielabore in kleine Städte verpflanzt, und von dort werden nun 3-D-Drucker in die ganze Welt verschifft. Das sind nur einige Beispiele von mehr als tausend, die wir sichtbar gemacht haben.

Wie haben Sie diese Menschen gefunden?

Ringler: Unsere Erwartung an die Zusammenarbeit mit FAS Research war, dass wir unsere Suche nach Innovatoren und sogenannten Social Entrepreneurs noch systematischer gestalten können. Die Erwartung wurde erfüllt: Wir haben eine Landkarte kreiert, die auf neue Weise Österreichs Innovatoren und ihre Beziehungen zeigt.

Harald Katzmair: Wir haben die sogenannte Schneeballmethode benützt. Wir haben 297 Opinionleader gefragt: Wer ist für Sie ein Changemaker, also jemand, der unternehmerisch versucht, ein gesellschaftliches Problem zu lösen? Es wurden zwei, drei Personen genannt. Diesen Personen haben wir dann die exakt gleiche Frage gestellt. Auf diese Art und Weise entsteht ein Schneeball. So ist ein Netzwerk von 1800 Namen entstanden. Es geht um Querverbindungen und Bereiche, die überlappen. Teils haben sich sehr starke Gruppen entwickelt. Es gibt aber auch Menschen, die im gleichen Bereich arbeiten, aber nichts voneinander wissen.

Hat es geografische Ursachen, dass die verschiedenen Gruppen nichts voneinander wissen?

Ringler: Nicht nur, das hat auch inhaltliche Gründe. Es gibt zum Beispiel quasi keine Verbindung zwischen dem Migrationsbereich und Ökologie.

Ist das eine Wohlstandsfrage?

Ringler: Nicht unbedingt, denn wenn es keine für die Zielgruppe verständlichen und relevanten Informationen gibt, dann werden sie auch nicht ankommen.

Was bei der Umsetzung von Ideen fehlt, ist wahrscheinlich vor allem Geld?

Katzmair: Es fehlt mehr an Verbindungen als an finanziellen Mitteln.

Ist es ein Problem, dass Förderung nur auf profitorientierte Unternehmen abzielt?

Ringler: Soziales Unternehmertum kann Gewinne machen, muss es aber nicht. Die Instrumente der Wirtschaftsförderung müssen wir daher neu denken. Forschung und Entwicklung braucht es nicht nur für biegsamere Handydisplays, sondern auch für innovative Pflegedienste. Eine gute Idee allein reicht nie. Sie braucht Leidenschaft, Vernetzung und Partnerschaften. Und dann gibt es einen Punkt, an dem viele an Grenzen stoßen. Man kann mit „family, friends and fools“ vielleicht die erste Werkstatt eröffnen, aber wenn es darum geht, einen weltweiten Vertrieb zu starten, dann wird es schwierig.

Katzmair: Innovation ist ein langer Weg, das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Da braucht man einen langen Atem. Als Einzelkämpfer hat man den nicht. Es gibt ein tibetanisches Sprichwort: „Willst du schnell gehen, geh allein, willst du lang gehen, geh gemeinsam.“ Wir müssen ein offeneres und gesünderes Verhältnis entwickeln zwischen dem, was heute ist, und dem, was morgen sein könnte. Das ist Neuland. Manchmal geht dann eben ein Weg ins Leere.

Und es kann lange dauern.

Katzmair: Wir sind es gewohnt, in kurzen Zyklen zu denken. Wenn Sie zum Beispiel jeden Tag nur an die Clickrates Ihres Artikels denken, dann ist das ein sehr kurzer Zyklus. So kann nichts Nachhaltiges entstehen. Und es hält uns davon ab, über den Tellerrand zu sehen.

Das Neue kann für das Alte bedrohlich sein.

Ringler: Ich behaupte: Wir wollen alle dasselbe, aber trauen uns nicht, es zuzugeben, denn dann müssten wir öfter zugeben, dass jemand anderer recht hat. Es ist ja so viel einfacher zu sagen, was alles nicht geht.

ZU DEN PERSONEN

Marie Ringler ist seit Februar 2011 Geschäftsführerin von Ashoka Österreich und Zentral- und Osteuropa. Ashoka ist das weltweit größte Unterstützungsnetzwerk für Sozialunternehmer. Harald Katzmair

ist seit 1997 Geschäftsführer der sozialwissenschaftlichen Forschungsgesellschaft FAS Research.

Intern

Liebe Leserinnen und Leser!
Österreich wird oft als Land des Stillstands bezeichnet. Auch von uns. Wir haben uns deshalb vorgenommen, rund um den Tag der Arbeit Menschen vorzustellen, die anpacken und die Gesellschaft verändern. Dabei haben wir mit Marie Ringler von Ashoka und Harald Katzmair von FAS Research zusammengearbeitet, um Menschen zu zeigen, die Unternehmer im wahrsten Sinn des Wortes sind.

Hochachtungsvoll, Ihr
Rainer Nowak

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2014)

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