Erwin Steinhauer: "Im Theater geht es um Geistesgegenwart"

Erwin Steinhauer
Erwin SteinhauerNancy Horowitz
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Der Erste Weltkrieg wird von Erwin Steinhauer zweifach auf der Bühne verarbeitet: Er spielt in der Josefstadt in „Die Schüsse von Sarajewo“ und tritt demnächst lesend mit Szenen aus „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus auf.

Welche Rolle spielte der Erste Weltkrieg in Ihrer Familie? Welche Geschichten gibt es?

Erwin Steinhauer: Ich bin Jahrgang 1951. Mein Großvater, Jahrgang 1889, hat in meiner Kindheit nur von diesem Krieg erzählt, von dem Grauen, das er erlebt hat. Er war Veterinär und hat dem Kaiser Karl am Isonzo die Pferde versorgt. Wir waren in der Familie Huf- und Wagenschmiede, in Ernstbrunn. Der Zweite Weltkrieg hat meinen Großvater weniger interessiert. Seine Erzählungen haben sich mir tief eingeprägt.

Sie treten in diesem Jubiläumsjahr mit zwei Produktionen auf, die den Großen Krieg vor hundert Jahren zum Thema haben. Wie ist diese Doppelung zustande gekommen?

Sie lag auf der Hand. Ich habe zu meinem Direktor, Herbert Föttinger, gesagt, dass sein Theater etwas machen muss. Eine ähnliche Fassung von „Die letzten Tage der Menschheit“ habe ich schon 1995 für das Theater in der Josefstadt gemacht, als der Rabenhof noch dazugehörte. Werner Pirchner hat damals die Playbacks dazu geschaffen. Ich habe diesmal Livemusik verwendet, um die Szenen erträglicher zu machen. Mit meiner lieben Band, mit der ich normalerweise toure, fange ich mit den Aufführungen am 15.Juni auf Schloss Wartholz in Reichenau an der Rax an, wir gehen dann nach Salzburg, Linz und Wien. Am 1.Juli sind wir in Bad Ischl. Der Bürgermeister hat gemeint, wir müssten dort was machen, denn in Ischl wurde von Kaiser Franz Josef 1914 die Kriegserklärung unterschrieben. Am 1.Juli wird zudem ein Karl-Kraus-Denkmal eröffnet. Er hat in Ischl oft die Sommerfrische verbracht.

Sie sagen, Musik mache das Thema erträglicher. Kann sie das Grauen nicht verstärken?

Es gibt Momente, die wirklich eine szenische Verstärkung schaffen. Aber vom Hörbuch, das wir für Ö1 produziert haben, wissen wir, dass die Menschen die Musik zwischen den einzelnen Szenen als Erleichterung empfinden. Wir gehen jetzt in die Proben. Ich weiß noch nicht, ob wir es genauso machen wie auf dem Hörbuch. Von den 209 Szenen verwenden wir ein Sechstel. Das sind auch noch immerhin zwei Stunden. Der Abend ist nicht nur eine Lesung. Wir versuchen die Figuren zum Leben zu erwecken. Laut Karl Kraus handelt es sich nicht um gespielte Literatur, sondern um geschriebene Schauspielkunst. Das ist eine Herausforderung.

Sie haben mit dem Publizisten Franz Schuh zusammengearbeitet. Ist das ein Privileg?

Natürlich, er hat 1995 seine schützende Hand über das Projekt gehalten. Die Dramaturgie habe ich leicht verändert, aber sie entspricht sicher seiner Geisteshaltung. Ich ließ ein paar Sachen weg, nahm die Schalek (Kriegsreporterin der „Presse“, Anm.) dazu. Emmy Werner hat sie unfassbar gut gespielt (1980 bei den Festwochen, Anm.) Diese aufregende Inszenierung von Hans Hollmann im Konzerthaus, u.a. mit Peter Weck, Helmuth Lohner und Paulus Manker, hat mich tief beeindruckt.

Was macht das Besondere des Textes aus?

Die Stimmen daraus sind das nationale Drama der Österreicher, vergleichbar nur mit „Der Herr Karl“. Carl Merz und Helmut Qualtinger haben sich schamlos bei Kraus bedient, so wie bei Ödön von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald”. Kraus hat von der „Hochzeit der Phrase” gesprochen. Sie kehren immer wieder. Denken Sie daran, wie 2000 unter der blau-schwarzen Regierung vom „nationalen Schulterschluss“ gesprochen wurde. So redet der Wiener auf der Parkbank.

Zum Herrn Karl haben Sie ein Nahverhältnis.

Den habe ich 300-mal gespielt. Claus Peymann hat mir diese Rolle am Burgtheater gegeben. Dieses Stück hat so viel mit uns zu tun. Und „Die letzten Tage der Menschheit” sind, platt gesagt, unser Nine Eleven, nur ging es dabei nicht um tausende Tote wie beim Terror in New York und Washington 2001, sondern um Millionen.

Wie sind Sie zu „Die Schüsse von Sarajewo“ gekommen, ein Stück nach dem Roman von Milo Dor, in dem Sie die Hauptrolle spielen?

Ich habe „Der letzte Sonntag“ gelesen; mit Föttinger habe ich dann darüber geredet und gesagt, es wäre doch langweilig, in einem Stück nur bekannte Tatsachen über den Krieg nachzugoogeln. Das einzige, was mich wirklich interessierte, war das persönliche Drama des Untersuchungsrichters Leo Pfeffer, den die Habsburger dazu drängen wollten, die Kriegsschuld rasch bei den Serben zu suchen. Dors Sohn Milan und Stephan Lack haben es wunderbar geschafft, um diese historische Figur fiktionale Figuren zu gruppieren, die seinen Gewissenskonflikt zeigen. Pfeffer will ein guter Richter sein, zugleich aber loyal zum Habsburgerreich.

Sehen Sie Parallelen zur Gegenwart?

Ich sehe den aufkeimenden Nationalismus. In den Momenten, wo es einem Land schlecht geht, versucht man ein Wir-Gefühl zu erzeugen. In Friedenszeiten war der Wiener doch sonst immer gegen alles und alle. Thomas Bernhard hat 1968 bei der Verleihung des Staatspreises gesagt, wir seien das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben. Genau das ist 1914 in Aggressivität umgeschlagen, die mörderische Wurstigkeit des Tötens. Da fällt mir sofort Hilde Spiel ein, die viel später von der „Dämonie der Gemütlichkeit“ geschrieben hat.

Sie sind Autodidakt im besten Sinn. Wie kamen Sie in jungen Jahren ans Burgtheater?

Über Reinhard Urbach, er war 1981 Chefdramaturg des Burgtheaters und hat mich im Theater der Courage in „Strategie eines Schweines” gesehen. Damals wurde Regisseur Manfred Wekwerth, an die Burg engagiert. Dieser Brecht-Schüler wollte immer auch einen Kabarettisten in seinen Inszenierungen haben. Da hat mich Urbach vorgeschlagen. Ich spielte den Trompeter im „Wallenstein”. Direktor Achim Benning mochte es, dass jemand ein zweites Standbein im Kabarett hatte. Ihn habe ich sehr geschätzt. Dann ist mir der Otti Schenk passiert. Er holte mich an die Josefstadt, nachdem er mich unter Peymann in „Klotz am Bein“ gesehen hatte. Mit Schenk habe ich fast 300-mal „Othello darf nicht platzen“ in den Kammerspielen gemacht. Dann war ich bei Emmy Werner am Volkstheater, und Föttinger hat mich an die Josefstadt zurückgeholt. Er ist ein großer Verführer und ein ganz gewiefter Kaufmann. Dieses Haus hat 40 Prozent Eigendeckung!

Was aber wird mit dem Burgtheater passieren, das in schweren Turbulenzen steckt?

Das ganze Unternehmen wird wohl beschränkt werden. Das sieht man bereits bei den Gagen und wird auch bei den Produktionskosten zu spüren sein. Burg und Akademie wird bleiben; offen ist, ob man sich das Vestibül und das Kasino leisten können wird. Aber das Publikum ist treu. Ich bin mir sicher, dass die hohe Qualität erhalten wird.

Welche Zukunft hat das Theater allgemein?

Theater ist für uns alle die Zukunft. Vor wenigen Tagen erst habe ich nach dem Schlussapplaus gesagt: „Kollegen, wir dürfen spielen! Ein Leben lang. Und wir werden sogar noch dafür bezahlt!” Du kriegst am Abend so viel zurück. Das hält jung und frisch. Es geht nicht um Gedächtnis, sondern um Geistesgegenwart, wie Kraus formulierte.

Wie wurden Sie ein Darsteller?

Das hat mit fünf begonnen, da war ich bei den Schulbrüdern, da hat es schon Padres gegeben, die mir die Karriere vorausgesagt haben. Nach der Pubertät war es aber die Musik, die mich gereizt hat. Die Kabarettprogramme mit Arthur Lauber waren bis 1992 immer zur Hälfte musikalische Abende.

Kann man als reifer Herr tatsächlich immer aufmüpfig bleiben?

Das geht nicht weg, nur die Bereitschaft schwindet, alles sofort in die Öffentlichkeit zu tragen.

Was fällt Ihnen zur Innenpolitik ein?

Österreichische Innenpolitik ist nichts für erwachsene Menschen. Für meinen hohen Blutdruck wäre es ganz schädlich, mich darüber zu ärgern. Die EU-Wahlen haben doch eben erst gezeigt, dass Europa bei den Menschen überhaupt nicht angekommen ist.

Wenn man Ihnen anböte, Kulturminister zu werden, was wären Ihre ersten Aktionen?

Lassen Sie mich erst eine Partei gründen, so wie dieser Anarchist in Island. Er hat zumindest frische Handtücher für die Hallenbäder durchgesetzt. Die Kultur braucht einfach Geld. Man sollte die Aufteilung zwischen Hoch- und Breitenkultur neu organisieren. Da müssten wir eine Kommission ins Leben rufen. Haha! Denn wenn man am Futtertrog ist, verhält man sich wahrscheinlich ähnlich wie all die anderen.

Wer hat Sie am meisten geprägt?

Sehr lang war Helmut Qualtinger mein Vorbild. Im Film war es lange Zeit Gene Hackman. Der hat die Fähigkeit, in Würde alt zu werden.

Steckbrief

19.9.1951
Erwin Steinhauer wird in Wien geboren. Ab 1969 studiert er Germanistik und Geschichte, 1974 entscheidet er sich für die Bühne und gründet mit Freunden das „Kabarett Keif“. Es folgen mehrere preisgekrönte Soloprogramme. Steinhauer macht dazu auch noch Karriere im Theater und beim Film. Eine seiner Paraderollen in bisher fünf Krimis: der Dorf-Gendarm Simon Polt.

Termine
Am 15.Juni ist auf Schloss Wartholz in Reichenau an der Rax die musikalisch begleitete Lesung „Die letzten Tage der Menschheit“ zu sehen, am 25.Juni im Oval in Salzburg, am 26.Juni in den Kammerspielen Linz, in Wien am 28. und 29.Juni im Theater in der Josefstadt. Dort wird derzeit noch „Die Schüsse von Sarajewo“ mit Steinhauer in der Hauptrolle gegeben: 16. bis 18.Juni, um 19.30 Uhr

Herr Steinhauer, darf man Sie auch fragen...


1...ob Sie denn unter Ihrem Gewicht und seinen Schwankungen leiden?

Absolut. Je älter ich werde, desto mehr leide ich unter meiner Disziplinlosigkeit. Einmal habe ich 30 Kilo abgenommen und mich so darüber gefreut, dass ich wieder zu meinen alten Lebensgewohnheiten fand. Es gibt keinen wirklich glücklichen Dicken.


2...ob Sie jemals daran gedacht haben, beruflich etwas anderes zu tun?

Ganz ehrlich: Nie! Ich bin Kind geblieben und glücklich darüber, dass ich spielen kann. Und mit meinen Kindern verbindet mich auch dieselbe Humorwelle.


3... ob Sie manchmal gegenüber anderen Künstlern Gefühle des Neids entwickeln?

Nimmermehr, seit ich durchschaut habe, dass Erfolg und Qualität nichts miteinander zu tun haben. Da war es mit dem Neid sofort vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2014)

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