Patricia Arquette: "Als Kind war ich überfordert"

Patricia Arquette attends the CBS Television Studios 'Summer Soiree' in West Hollywood, California
Patricia Arquette attends the CBS Television Studios 'Summer Soiree' in West Hollywood, CaliforniaREUTERS
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Schauspielerin Patricia Arquette spielt in Richard Linklaters Zwölf-Jahre-Filmprojekt "Boyhood" die Mutter des Protagonisten. Im Interview erzählt die US-Amerikanerin aus ihrem eigenen bewegten Leben.

Das „wild child“ aus „Lost Highway“ ist längst erwachsen geworden: Das Haar zum Pagenkopf gekürzt, die ausdrucksvollen blauen Augen von vielen feinen Lachfältchen umrahmt, die von einem mit allen Sinnen gelebten Leben erzählen. Auch deshalb war Patricia Arquette für Richard Linklater die Traumbesetzung für die Mutter in seinem Ausnahmeprojekt „Boyhood“.

Was haben Sie sich dabei gedacht, als Richard Linklater Ihnen von diesem Projekt erzählt hat? Haben Sie gleich zugesagt?

Patricia Arquette: Am Anfang dachte ich an einen verspäteten Aprilscherz oder so was. (Lacht.) Er hat mich damals angerufen und gefragt: „Du, Patricia, was hast du denn die nächsten zehn, 15 Jahre so vor?“ Ich antwortete, dass ich wohl versuchen würde, den einen oder anderen Job an Land zu ziehen – und dann hat er mir von seiner Idee für „Boyhood“ erzählt und mich gefragt, ob ich vielleicht Interesse hätte. Und ich habe sofort zugesagt, ohne zu wissen, was ich eigentlich spielen soll – aber ich war sofort begeistert von dem Projekt. Es ist so eine gewagte, kreative Idee!

War das für Sie als viel beschäftigte Schauspielerin nicht schwierig zu organisieren?

Klar war es jedes Mal ein bisschen stressig mit dem Drehtermin, wir mussten alle zur gleichen Zeit eine ganze Woche frei bekommen. Währenddessen habe ich immerhin sieben Jahre lang die TV-Serie „Medium“ gedreht, und da war ich praktisch in jeder Szene – aber die Produzenten waren zum Glück sehr verständnisvoll.

Wie viel von Ihren eigenen Erfahrungen haben Sie in die Mutterrolle einfließen lassen?

Es gibt einige Überschneidungen. Ich war auch alleinerziehende Mutter und habe mein erstes Kind sehr jung bekommen – ich war erst 20, als mein Sohn Enzo geboren wurde. Und auch ich habe diese Verantwortung sehr ernst genommen – ich wollte das so und war glücklich damit. Aber ich hatte natürlich auch eine unheimliche Angst davor, etwas falsch zu machen, und war immer getrieben von meinem Wunsch, meinen Kindern ein gutes, stabiles Umfeld zu schaffen. Und ich habe sicher viele Fehler gemacht dabei, aber ich liebe meine Kinder über alles, sie sind die wichtigsten Menschen in meinem Leben, und das wissen sie auch.

Dieses stabile Umfeld haben Sie selbst als Kind ja etwas vermissen müssen.

Ja, das stimmt. Meine Geschwister und ich sind in den 1970ern in einer richtigen Künstlerfamilie aufgewachsen. Mein Vater war Schauspieler, und meine Mutter sozusagen Allroundkünstlerin. (Lacht.) Sie waren sicher keine schlechten Eltern, sie haben uns wirklich geliebt, aber sie haben es nicht geschafft, uns ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Wahrscheinlich, das denke ich mir heute, wussten sie selber noch nicht wirklich, wer sie eigentlich waren oder sein wollten. Und das in den wilden Siebzigern – es ging häufig sehr chaotisch zu, und wir Kinder waren da oft überfordert.

Apropos Sicherheit: Im Film sieht Ihre Figur untätig zu – beziehungsweise weg –, wenn ihr neuer Partner gegenüber ihren Kindern gewalttätig wird. Wie würden Sie in einer solchen Situation reagieren?

Ich würde über den Tisch springen und ihm mit der Gabel ins Auge stechen! So etwas würde ich nie akzeptieren, ich könnte keinen Mann respektieren, der meine Kinder nicht respektiert. Dieses Dulden, das stumme Akzeptieren und immer erst nachher Reagieren, wenn der Typ gerade nicht da ist, das ist für mich eine sehr altmodische Verhaltensweise von Frauen. Genauso wie der Moment, als sie ihrem Sohn ein schlechtes Gewissen macht, weil er mit 18 von zu Hause auszieht und sie darunter leidet. Ich habe meinen Sohn damals aufgebaut, ihm gut zugeredet und versucht, ihm die Angst vor dem Unbekannten zu nehmen. Und kaum war er weg, habe ich neun Stunden durchgeheult. Dann hab ich alle meine Freunde angerufen und weitergeheult. Nur meinem Sohn hab ich davon nichts gesagt – ich hätte das extrem egoistisch gefunden, ihn damit zu belasten.

Die Dreharbeiten zu „Boyhood“ waren über all die Jahre ein gut gehütetes Geheimnis – haben Sie Ihren Schauspieler-Geschwistern trotzdem davon erzählt?

Natürlich! Ich konnte nicht anders, ich habe total angegeben damit. Sie waren auch alle schrecklich neidisch. (Lacht.)Irgendwann wollte Richard auch meinen Bruder David als Onkel einsetzen, das klappte dann leider nicht, aber das wäre cool gewesen.

Steckbrief

1968
wird Patricia Arquette in Chicago geboren, sie wächst in einer Künstlerfamilie auf. Auch ihre Geschwister, David, Alexis, Richmond, Rosanna, sind Schauspieler.

1993
Filmerfolge u. a. „True Romance“ (1993) und „Lost Highway“ (1997).

1995
heiratet sie Nicolas Cage, 2001 lässt sich das Paar scheiden.

2005–2011
spielt sie die Hauptrolle in der TV-Serie „Medium“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2014)

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