Ein Hüne im pinken Bikini

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Ein Australier ist Champion in Japans Profiwrestling der Frauen. Der haarige Bulle mit Schulmädchenzöpfchen nimmt klassische Geschlechterrollen aufs Korn.

Die schmächtige Frau liegt am Boden und windet sich, plötzlich sieht sie nur noch, wie sich zwei große Füße auf je einer Seite ihres Kopfs aufstellen. Einen Moment später kniet die Gegnerin nieder und presst den Hintern auf ihr Gesicht. Cherry, die Liegende, wird ausgezählt. Der Spezialgriff Nutcracker von Ladybeard, Cherrys heute übermächtiger Herausforderin, geht einen Schritt zu weit. Der Kampf ist aus, Cherry bleibt auf dem Boden, Ladybeard springt auf. Sie bekommt den Championgürtel überreicht, der vor dem Kampf noch Cherry gehört hat.

Die Halle tobt. Jeder weiß, dass sich irgendwie gerade Historisches ereignet. Denn seit jenem Titelkampf Ende Juni in der Union Pro Wrestling, einer japanischen Profiwrestlingliga, hat nicht bloß Ladybeard erstmals einen Championgürtel gewonnen. Es ist auch das erste Mal, dass ein biologischer Mann diesen Titel hält. Denn Ladybeard sieht so aus, wie der Name klingt: ein bulliger Körper, haarige Brust, Vollbart – dazu ein pinkweißer Bikini. Der wohl bekannteste Crossdresser Japans, der Kleidung des anderen Geschlechts trägt, ist offiziell zum Sieger geworden.

Gewissermaßen ist er das aber schon eine Weile. Seit der Australier Richard Magarey, wie Ladybeard im wahren Leben heißt, 2013 nach Japan gekommen ist, ist er schnell zu einer beliebten Wrestlingfigur geworden. Regelmäßig tritt er in Talkshows auf, gibt Interviews, auf Facebook hat er tausende Fans. Anders als in Hongkong, wo er vorher aktiv war, ist Ladybeard in Japan gefragt und beinahe Everybody's darling. Und das, wie er betont, auch jenseits der im Land vergleichsweise großen Crossdresserszene.

„Meine Rolle funktioniert hier echt gut“, sagt Magarey mit ungewohnt entspannter, dunkler Stimme. „In Japan ist man viel toleranter für Ausgefallenes und Neues als in vielen anderen Kulturen.“ Außerhalb des Rings, auf einer Straße im Tokioter Stadtzentrum, streift sich Magarey unbemüht lasziv durch sein braunes Haar. Aber über seine Reize weiß er immer Bescheid. „Ich biete dem Publikum einen Charakter, der die Geschlechterrollen hinterfragt. Das amüsiert die Leute.“


Traditionelle Geschlechterrollen. Wrestling gehört zu den beliebtesten Unterhaltungsarten in Japan. Mehrere Profiligen gibt es, viele davon, darunter auch jene von Magarey alias Ladybeard, werden im Fernsehen übertragen. Und in der Regel sind die Charaktere überzeichnete Ideale der Geschlechter. Die Männer sind entweder extravagante Akrobaten oder muskelbepackte Giganten. Die Frauen, von denen es deutlich weniger gibt, zeigen oft viel Haut ihrer sehr weiblichen Körper. Ladybeard bricht mit diesem Standard und tut dies in einer Zeit, als in Japan mehr denn je über traditionelle Geschlechterrollen diskutiert wird.

Erst im Juni brach eine Debatte über die Aufgaben der Frau in Japans Gesellschaft aus. Als eine junge Abgeordnete in Tokios Lokalparlament bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder forderte, hagelte es Zwischenrufe männlicher Parlamentarier wie „Kannst du etwa keine Kinder bekommen?“. Medien berichteten über den Fall so groß, dass sich einer der Vorlauten öffentlich entschuldigen musste.

Kurz darauf packte auch eine Abgeordnete aus dem nationalen Parlament aus. Sayuri Uenishi von der Wiederauferstehungspartei berichtete von einem Vorfall im April, als sie in einer Kommission zu Japans demographischen Herausforderungen einer alternden Bevölkerung gesprochen hatte. Als Uenishi die Familienpolitik kritisierte, sei auch sie von einem männlichen Abgeordneten unterbrochen worden, mit dem Spruch: „Dann bring‘ doch ein Kind zur Welt.“ Der Fall kam erst heraus, als jener aus Tokios Lokalpolitik zum nationalen Aufreger wurde. Und als könnte das Timing nicht besser sein: An diesem Wochenende findet in Tokio eine große Konferenz über Karrieremöglichkeiten für Frauen statt.

Über solche Skandale wird auch deshalb seit Wochen berichtet, weil sich viele in Japans Gesellschaft schon länger unwohl mit den Geschlechterrollen fühlen. Der Anteil von Frauen, die in den Arbeitsmarkt integriert sind, ist mit rund 60 Prozent deutlich geringer als im Durchschnitt der Industrieländer. Viele Frauen berichten, dass sie bei der Jobsuche oder der Beförderung Probleme haben, weil ihre Vorgesetzten davon ausgehen, dass sie ohnehin bald Kinder bekommen und dann wieder aus dem Job aussteigen würden. Denn Kindererziehung ist traditionell Frauensache. Als ein typisches Element von Frauenmagazinen gelten zudem Anleitungen zur Führung der Haushaltskasse. Junge Frauen folgen auch heute noch oft dem Ideal einer niedlichen, in vielerlei Hinsicht dem Mann dienenden Schönheit, obwohl gleichzeitig immer mehr Karriere machen wollen.

Ladybeard, der haarige Bulle im Bikini, der sich neben seinen Wrestlingshows auch noch einen Namen macht, indem er asiatische Popsongs als Metal-Versionen covert und damit auftritt, hält den Japanern schon durch seine bloße Existenz den Spiegel vor. Zu seinen Gesangsauftritten in verschiedenen Tokioter Bars holt er damit mehrere Wrestlingfans, aus den Bars zieht er wiederum seine Gefolgschaft vor den Ring, wo seine Showkämpfe im Bikini und mit Zöpfen steigen. Dass er zudem den Frauenversteher geben kann, sei seiner Beliebtheit nicht abträglich, glaubt er: „Ich kenne ja die Situation, wenn man mir unter den Rock gucken will. Ich weiß auch, wie eng so ein Bikinihöschen ist. Obwohl ich in die asiatischen Größen sowieso nicht reinpasse und alles maßschneidern lasse.“


Im Rollenspiel überzeugen. Frauen könne er dazu inspirieren, auch eine klassisch männliche Rolle zu leben, die bei Auspuff, Feinstaubunübersehbar ist. Täglich stemmt er beim Training Gewichte, weil er für seine Stunts im Ring viel Kraft braucht. „Neben all dem Rollenspiel muss ich ja auch noch athletisch überzeugen“, sagt er grinsend, aber in einem Ton, als wäre dies die weniger spaßige Aufgabe am Job.

Als Magarey vor zwei Wochen gegen die ebenfalls beliebte Wrestlerin Cherry kämpfte, die eher wie ein klassisches, süßes Mädchen daherkommt, feuerte die Mehrzahl Ladybeard an. Richard Magarey, der neben Japanisch und Englisch auch Deutsch spricht, war positiv überrascht: „Die lautesten Fans waren junge Frauen.“ Und viele von ihnen sahen eher aus wie die zarte Cherry.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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