Günter Tolar: "Mein Rückspiegel ist sehr klein"

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VERPARTNERUNGSPAKET: TOLAR .APA/HERBERT PFARRHOFER
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Günter Tolar, der sozialdemokratisch geprägte, gläubige und schwule Ex-Fernsehmoderator, meldet sich nach einer Auszeit wieder zurück.

Herr Tolar, was sind Sie von Beruf?

Günter Tolar: Ich habe mich längst daran gewöhnt zu sagen: Ich heiße Günter Tolar, ich bin der Günter Tolar. Jeder kann sich aussuchen, wen er besonders schätzt: Den Kabarettisten, den Fernsehmoderator, den Drehbuchautor, den Schriftsteller, den Schwulen... Die meisten Leute interessiert aber das Fernsehen. Obwohl das schon über 20Jahre her ist, erinnern sie sich an ganz tolle Einzelheiten. Offensichtlich waren wir damals sehr nachhaltig.

Sie hatten damals im ORF Zuschauerzahlen, die man sich heute kaum vorstellen kann.

Wir hatten seinerzeit über drei Millionen. Da kommt ja immer der berühmte Einwand, dass es damals nur zwei Programme gegeben hat. Das ist richtig, man musste uns schauen, wenn man fernsehen wollte. Darin lag auch eine Gefahr: Wenn wir nichts Gescheites gemacht haben, war die ganze Nation böse auf uns. Heute zappt man weg.

Sie wollten nie zurück zum Fernsehen?

Nein. Das liegt auch bei mir in der Natur. Ich schaue immer nach vorn. Mein Rückspiegel ist sehr klein.

Als nunmehriger Konsument des Öffentlich-Rechtlichen: Sind sie zufrieden mit der Bandbreite und Umsetzung der Programme?

Ich war immer in der Unterhaltung tätig, und ich möchte heute die Sachen, die als Unterhaltung produziert werden, nicht produzieren.

Zum Beispiel?

Diese sehr seichten Serien und Quizspielchen. Es ist alles ein bisschen zu simpel, niveaulos und einfach geworden. Ich bin ein Fan der klassischen Musik, und so lange ORF III funktioniert, bin ich mit der Bandbreite zufrieden. Als ich noch Produzent war, interessierte mich, was möglichst vielen Leuten möglichst gut gefällt. Dann bin ich sehr bald in der volkstümlichen Unterhaltung gelandet.


In den 1980ern waren Sie Ressortleiter für „Quiz und volkstümliche Unterhaltung“...

Da habe ich plötzlich Sachen wie den „Musikantenstadl“, „Wenn die Musi spielt“, und die ganzen Tirili- und Trallala-Sendungen gehabt.


Der Erfolg der volkstümlichen Musik setzt sich ja bis heute fort.

Ja, da hat sich nichts geändert. Mit dem Hereinschwappen der internationalen Musikszene ab den 1970er-Jahren hat sich die deutsche Sprache in der musikalischen Unterhaltung verloren. Hier sind die volkstümlichen Bierzeltkünstler eingesprungen, und wir haben das im Fernsehen aufgegriffen – sehr gegen den Widerstand der Volkskundler, die die echte Volksmusik gepflegt haben. Für sie ist die volkstümliche Musik natürlich ein Gräuel. Wir aber haben gesagt: „Kinder! Das sind Musikanten! Die können alle ein Instrument, die Musik spielt sich ja nicht von selbst. Verachtet sie nicht!“ Dass sich die volkstümlichen Schallplatten gut verkauft haben, hat andere fürchterlich geärgert, die Lieder wurden im Radio nicht gespielt. Peter Steinlechner von den Zillertaler Schürzenjägern hat das „musikalische Apartheidpolitik“ genannt. Und Karl Moik hat darunter gelitten, wenn von der „Vermoikisierung“ Österreichs die Rede war. Wir waren damals beim Musikantenstadl aber auch sehr arrogant. Nicht wir haben Stars engagiert, sondern wir haben die Leute erst zu Stars gemacht.

Heute ist Andreas Gabalier die zeitgenössische Antwort auf volkstümliche Musik. Und seine Antithese ist wohl Conchita Wurst.

Sind wir doch froh, dass in Österreich wieder einmal zwei Künstler da sind, die sich matchen. Gabalier war natürlich der Shootingstar, und jetzt kommt ihm Conchita ein bisschen in die Quere. Aber das tut beiden keinen Abbruch. Das Schöne an Conchita ist, dass die eigentliche Thematik – schwul, Mann, Bart – in den Hintergrund tritt, weil Conchita musikalische Qualität hat.

Finden Sie auch, dass Conchita Wurst das neue tolerante Gesicht Österreichs ist?

Natürlich staunen sehr viele, die Österreich kennen, dass so etwas justament von hier kommt. Österreich ist eher ein bisschen zurückhaltend, was Offenheit und Toleranz betrifft. Vor allem der Wiener glaubt ja schon, er ist tolerant, wenn er sagt: „Das ist mir egal.“ Aber sollte Conchita eine Weltkarriere machen, wird niemand nach Österreich fragen. Die innerösterreichischen Auswirkungen sind aber schon gewaltig.

Sie selbst sagen aber, dass sie größtenteils positive Rückmeldungen erhalten haben, als Sie sich 1992 outeten.

Ich habe damals nicht gewusst, worauf ich mich einlasse. Mein Lebensgefährte hat sich Aids geholt und sich vor die U-Bahn geschmissen. Die Angst, dass das aufkommt, hat mich erst gedemüdigt und dann erzürnt. Ich habe gesagt: „So kann es nicht weitergehen!“ Nach dem Outing kam großes Staunen zurück, Sprachlosigkeit und Lob. Im Café Landtmann hat sich folgendes zugetragen: An dem Tag, an dem ganz Österreich erfahren hat, dass ich schwul bin, hatte ich hinten im Café eine Besprechung. Ich komme hinein, plötzlich springt jemand auf – das Café war gerammelt voll – und sagt: „Super, Herr Tolar, gratuliere!“ Die Leute haben applaudiert. Bis ich nach hinten gekommen bin... Es war der positivste Spießrutenlauf meines Lebens.

Wie Sie das so erzählen, könnte man meinen, es gibt nichts Einfacheres, als sich in Österreich zu outen.

Ich weiß es nicht, vielleicht habe ich einfach alles richtig gemacht.

Was kann man beim Outing falsch machen?

Indem man Leute, die mit Homosexualität nichts anfangen können, zu Trotteln erklärt. Man muss für Andersdenkende Verständnis aufbringen. Ich habe nie einen Menschen, der Homosexuelle nicht mag, beschimpft. Ich sage: Setzen wir uns zusammen und reden wir. Erklären Sie mir, was Sie gegen mich haben. So bin ich irgendwann zur Formulierung gekommen: Ich glaube, meine Homosexualität ist nicht mein Problem, es ist Ihr Problem, denn ich bin schwul und glücklich.

Ist ein Outing heute einfacher?

Ja. Ich wundere mich nur, dass es nicht mehr machen. Wir haben auch die Eingetragene Partnerschaft, die nur nicht Ehe heißen darf, weil sich die ÖVP quergelegt hat. Wir, die sogenannten Unzüchtigen, sind halt die Bösen.

Einerseits ist es in Österreich möglich, problemlos eine Regenbogenparade zu veranstalten, andererseits wird etwa die lesbische Grün-Politikerin Ulrike Lunacek mit Buttersäure angegriffen.

Solche Leute wird es immer geben. Ulrike Lunacek wird nicht daraus ableiten, dass ganz Österreich jetzt mit Buttersäure um sich schmeißt. Die wirklichen Gegner sind der Stammtisch, Heinz-Christian Strache mit seinen Biertischgeschichten, wenn es etwa heißt: „Wir sind für die Ärmsten der Armen, nicht für die Wärmsten der Warmen.“ Dann wird es böse.

Sie sind in der Sozialdemokratie groß geworden, waren bei SoHo (Sozialdemokratie & Homosexualität) Wien aktiv.

Ich bin in der Wolle gefärbt – meine Eltern waren rot –, und dass ich hier sitze, habe ich den sozialen Errungenschaften der Sozialisten, heute Sozialdemokraten, zu verdanken. Damals waren sie noch das, was sie hätten sein sollen...

Was lasten sie der Sozialdemokratie an?

Sie hat den Kontakt zur Basis völlig aufgegeben. Die Sozialdemokratie – wie fast alle anderen Parteien auch – erinnern sich nur zu Wahlzeiten, dass es ja noch das gottverdammte Volk gibt, das sie abwählen kann. Das ist eine Erscheinung, die ich der Sozialdemokratie ganz besonders vorwerfe, weil diese Partei früher ganz besonders basisorientiert war.

Sie haben sich vor ein paar Jahren auch enttäuscht von der Kirche abgewendet.

Damals ist der neue Katechismus erschienen, das Kapitel über Homosexualität hat unser Kardinal Schönborn verfasst. Darin steht, dass man Mitleid mit uns haben muss, versuchen muss, uns auf den rechten Weg zu bringen. Ich als Irrtum, ich als Abirrung, ich auf dem falschen Weg... Zum Pfarrer habe ich gesagt: Ihr behandelt mich wie einen Schwachsinnigen. Ihr habt Mitleid mit mir, ich pfeif' auf euer Mitleid! Er wollte mich zurück in den Schoß der Kirche holen, aber wenn ich das schon höre: Schoß der Kirche! Sie wollten nur zahlende Mitglieder werben – ich habe der Kirche ja mörderisch viel Geld bezahlt. Nein, es geht um Gott, sagte der Pfarrer – aber ich habe mich von Gott keinen Schritt entfernt.

Gehen Sie noch in die Kirche?

Ja. Ich bin in der Kirche aufgewachsen, obwohl meine Eltern rot waren. Ich habe dort gesungen und bei den Messen Orgel gespielt. Einen Teil meiner musikalischen Bildung habe ich über die Kirche erhalten.

Herr Tolar, darf man Sie auch fragen...

1 . . . was Alfons Haider, mit dem Sie bei „Made in Austria“ zusammengearbeitet haben, zu Ihrem Outing gesagt hat?

Er hat gemeint, Tolar ist auf dem Weg zur Schlachtbank.

2. . . was Sie während Ihrer Auszeit erkannt haben und zu welchen Ergebnissen Sie gekommen sind?

Man macht sich viel zu viele Gedanken über viel zu viel Überflüssiges. Zum Beispiel über die Tagespolitik: Wenn ich mich hier gedanklich voll einbringe, dann werde ich verrückt. Abrinnen lassen! Ich bin nach wie vor ein politischer Mensch, aber ich lasse mir nichts zu nahe kommen.

3. . . ob Sie die Unzufriedenheit von Fernsehzuschauern direkt abbekommen haben?

Ich gar nicht. Ich hatte das große Glück, dass alle Sendungen große Erfolge waren. Die negativen Rückmeldungen gab es beim Fernsehkundendienst, wenn etwas schiefgelaufen ist.

Steckbrief

1939
Günter Tolar wird in Wels geboren. Er studierte in Wien Musik, Germanistik und Geschichte. Per Zufall landet er als Komparse im Theater an der Josefstadt, studiert anschließend Schauspiel. Nach einigen Engagements landet Tolar im Kabarett und damit auch im Fernsehen.

Seit den 1960er-Jahren hat Tolar etliche Shows moderiert, darunter „Wer dreimal lügt“ und „Rätselbox“, er war Ressortchef für „Quiz und volkstümliche Unterhaltung“.

1992 outet sich der Fernsehmoderator und engagiert sich für die Rechte von Homosexuellen und HIV-Kranken. Homosexualität ist auch Thema bei mehreren seiner Publikationen.

Derzeit liest Tolar im Wiener Café Landtmann „Dalles und Dowidl“. Diese Woche feierte er seinen 75. Geburtstag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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