Arbeiten über dem Kinosaal: Ein aussterbendes Handwerk

Leute warten vor einem Kino
Leute warten vor einem Kino(c) BilderBox (Wodicka-BilderBox.com)
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Mehr als 100 Jahre sorgten Filmvorführer wie Miriam Wurm für ein scharfes Bild: Mit der Digitalisierung stirbt dieser Beruf allerdings langsam aus.

Ein 100-minütiger Spielfilm besteht in der Regel aus fünf Rollen. Ist eine zu Ende, muss der Filmvorführer rechtzeitig auf die nächste Rolle überblenden, die er zuvor auf einem weiteren Projektor eingelegt hat. Wann es so weit ist, verrät ihm ein kleines Zeichen am Bildrand, das nur für Sekundenbruchteile auf der Leinwand sichtbar ist und das die meisten Zuschauer im Saal kaum wahrnehmen.

In dem Film „Fight Club“ (1999) beispielsweise wird dieser Vorgang detailliert erklärt. Jahrzehntelang wurden Filme auf diese Weise vorgeführt. Ein ungetrübtes Kinoerlebnis hing also vor allem von der Fingerfertigkeit und dem kritischen Blick sowie Gehör von Filmvorführern ab, die mit höchster Präzision Filmrollen einlegen, abschneiden, zusammenkleben und überblenden mussten.

Das war einmal. „Heute sitzen wir hauptsächlich vor dem Computer und drücken Knöpfe. Dabei können wir mehrere Säle auf einmal steuern“, sagt Miriam Wurm. Die 24-Jährige hat den Beruf der Filmvorführerin im Hollywood Megaplex im Wiener Gasometer von der Pike auf gelernt.

Als Studentin der Theater-, Film- und Medienwissenschaft verkaufte sie 2009 zunächst einige Monate Popcorn und Getränke, bevor sie vom Buffet in den Vorführraum wechselte. Bis heute ist das Megaplex eines der wenigen österreichischen Kinos, die überhaupt noch Filme auf herkömmliche Art und Weise zeigen – etwa beim alljährlichen Horrorfilm-Festival oder bei Spezialvorführungen.

Datenpaket auf Festplatte

Der Einzug des digitalen Zeitalters machte aber auch vor diesem Kino nicht halt. Analoge Projektoren wurden in den vergangenen Jahren nach und nach durch digitale ersetzt. Eine Wahl hatten die Lichtspielhäuser nicht. Die Verleiher liefern kaum noch 35-mm-Kopien. Stattdessen kommen Filme heute als Datenpaket auf einer Festplatte in die Kinos, wo sie auf Server geladen und kontrolliert werden.

So gut wie alle Kinos haben die Umstellung bereits hinter sich. Mit der Folge, dass immer mehr Filmvorführer ihren Job verloren bzw. innerhalb der Kinos andere Aufgaben übernommen haben. Miriam Wurm ist eine der wenigen Verbliebenen. Aber auch sie muss mittlerweile in anderen Bereichen des Kinobetriebs aushelfen. „So geht es den meisten meiner Kollegen“, sagt die Burgenländerin, die ihr Studium im Übrigen vor Kurzem beendet hat. „Den klassischen Beruf des Filmvorführers wird es in dieser Form ohnehin nicht mehr lang geben. Da brauche ich mir nichts vorzumachen.“

Schließlich sind digitale Projektoren bzw. Server trotz hoher Anschaffungskosten auf lange Sicht günstiger, einfacher zu bedienen und weniger reparaturanfällig. Beschädigte Rollen oder den klassischen Filmriss gibt es nicht mehr. Und sollte es doch einmal zu Problemen wie Bild- und Tonfehlern kommen, rückt der Filmvorführer nicht mit Schere, Kleber und Presse an, sondern startet den Server neu.

Es überrascht, dass in der Branche generell relativ nüchtern über das Aussterben eines ganzen Berufszweiges gesprochen wird. Selbst Wurm, die mit so viel Begeisterung jeden ihrer Handgriffe erläutern kann, sorgt sich weniger um ihre berufliche Zukunft als um das Medium Film. Es sei schlimm genug, dass mit der Digitalisierung Menschen ihren Job verlieren, aber noch schlimmer sei, dass damit ein Stück Filmgeschichte verloren gehe. Nämlich all jene Filme der vergangenen Jahrzehnte, die kommerziell nicht erfolgreich genug waren und somit auch nicht für wert erachtet werden, dass sie digital kopiert werden.

„Daher freue ich mich umso mehr und werde ganz nostalgisch, wenn wieder einmal hüfthohe, 30 Kilo schwere Filmrollen geliefert werden, die ich in den Vorführraum schleppen, zusammenschneiden und einlegen muss“, meint die leidenschaftliche Cineastin und zeigt Sinn für Ironie. „Ich werde diesen Traumberuf einfach so lang ausüben, wie es ihn gibt. Und danach steht eben eine Neuorientierung an. Einen Filmriss, um beim Thema zu bleiben, werde ich deswegen schon nicht bekommen.“

ZUR PERSON

Traumberuf ohne Zukunft. Miriam Wurm arbeitet seit 2009 als Filmvorführerin im Hollywood Megaplex im Wiener Gasometer. Die 24-Jährige studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und lernte ihr Handwerk vor der Pike auf. Die Digitalisierung der Kinos bereitet ihrem Berufsstand allerdings nach mehr als 100 Jahren langsam ein Ende. Das Megaplex im Gasometer ist eines der wenigen österreichischen Kinos, die überhaupt noch Filme auf herkömmliche Art und Weise zeigen – etwa beim alljährlichen Horrorfilm-Festival oder bei Spezialvorführungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2014)

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