Festspiel-Stimmarzt: "Singen ist wie Spitzensport"

SALZBURGER FESTSPIELE: FOTOPROBE ' DER ROSENKAVALIER'
SALZBURGER FESTSPIELE: FOTOPROBE ' DER ROSENKAVALIER'APA/BARBARA GINDL
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Josef Schlömicher-Thier ist seit 20 Jahren Arzt im Festspielhaus. Das Spezialgebiet des Mediziners ist die Stimme – beruflich wie privat.

Für meinen Dr. Seppi. Mit herzlichem Dank – Tobias Moretti“. „Wie immer mit großer Admiration und viel Dankbarkeit – Michael Schade“. „Meinem Retter in der Not – Genia Kühmeier“. Das Behandlungszimmer von Josef Schlömicher-Thier in einem Seitentrakt des Großen Festspielhauses ist voller Bilder und Autogrammkarten von Künstlern, die sich bei dem Salzburger Mediziner bedanken. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der eine Praxis in Neumarkt am Wallersee betreibt, ist seit 20 Jahren nebenberuflich Mediziner im Festspielhaus.

Er kümmert sich als Arbeitsmediziner um ein gutes Umfeld für alle – vom Opernstar bis zur Putzfrau. „Alle brauchen gute Arbeitsbedingungen“, sagt Schlömicher-Thier. Sein Spezialgebiet ist aber die Stimme – und ihr Versagen. Dass ein Sänger plötzlich keinen Ton mehr herausbringt, passiert gar nicht so selten. Vor zwei Jahren musste der Tenor Jonas Kaufmann überraschend für seinen Kollegen Piotr Beczała vom Bühnenrand in „La Bohème“ einspringen. Durch eine kurzfristige Luftröhrenentzündung konnte er nicht mehr singen. Auch dem Escamillo in der Salzburger „Carmen“ kippte vor ein paar Saisonen die Stimme einfach weg, nach der Pause sorgte ein Kollege am Rand der Bühne für ein stimmliches Double.

Über- und Fehlbelastungen

Singen ist für Schlömicher-Thier wie Spitzensport. Das jahrelange Training sorge für Über- und Fehlbelastungen. Dazu komme der zeitliche und psychische Druck: „Der Künstler muss mit dem Gongschlag funktionieren.“ Künstler seien Menschen mit besonderen Fähigkeiten – und besonderen Gefährdungen. Infekte, Schnupfen, Allergien können bei den Hochleistungssängern zu fatalen Folgen führen. Schwellungen und Rötungen der Stimmlippen diagnostiziert der Arzt immer wieder. Er sieht sich auch als Vermittler zwischen dem Künstler, dem Produktionsteam und der Festspielleitung. Besteht die Gefahr, dass jemand durch Erkrankung oder Überlastung stimmliche Probleme bekommt, kann rechtzeitig nach einem Ersatz gesucht werden.

Nicht immer braucht es gleich starke Medikamente, um einen Sänger wieder fit zu machen. Die erste Wahl ist das Befeuchten des Kehlkopfs. Der Stimmarzt arbeitet mit einem kleinen Tascheninhalator und hat eine eigene Inhalationsflüssigkeit – die Schlömicher-Lösung – entwickelt. Die Mischung aus Salz, Efeuextrakt und abschwellenden Medikamenten hat schon so manche angeschlagene Stimme wieder fit gemacht. Auch Salbeizuckerln, Honig oder ein Tag Pause können kleine Wunder wirken. Wenn jemand wegen stimmlicher Überlastung nicht so laut wie nötig singen kann, hilft die Technik, verrät der Mediziner: Die Stimme wird mittels Verstärker auf die richtige Lautstärke gebracht.

Wie es jemandem nach wochenlanger Probenarbeit vor dem Auftritt geht, weiß Schlömicher-Thier. Er hat nicht nur Medizin, sondern auch Gesang studiert. Der Bariton steht selbst regelmäßig auf der Bühne. Aktuell arbeitet er gerade an Schuberts „Winterreise“. „Es ist ein Hobby auf hohem Niveau“, erzählt der gebürtige Steirer.

Er erinnert sich an so manchen Notfall, zu dem er als Stimmarzt in seiner 20-jährigen Tätigkeit gerufen wurde. Am Morgen nach der Premiere war die Stimme einer Solistin weg. Es herrschte Ratlosigkeit. Bis der Blick auf einen prachtvollen Blumenstrauß fiel. Die Lilien – ein Geschenk an die Sängerin nach der Vorstellung – hatten eine akute Allergie ausgelöst. Einer anderen Sängerin half eine basische Diät: Sie hatte bei der Premiere Sekt getrunken, die für eine akute Refluxgastritis sorgte. Mit streng basischer Ernährung war das Problem rasch beseitigt, erinnert sich Schlömicher-Thier. Einmal ereilte ihn knapp vor der Pause einer Oper ein Hilferuf: „Unser Othello singt nicht mehr.“ Inhalieren, Stimmübungen und eine Massage, die die Verspannungen des Kehlkopfs lösten, waren Rettung in letzter Minute: Nach der Pause stand der Künstler wieder auf der Bühne.

Und was kann man als Laie tun, um seine eigene Stimme zu pflegen? „Jeden Tag ein bisschen singen, spielerisch die Stimme ausprobieren“, rät der Mediziner. Und: „Viel lachen.“

ZUR PERSON

Spezialist. Der HNO-Arzt Josef Schlömicher-Thier ist seit mehr als 20 Jahren Stimmarzt bei den Salzburger Festspielen. Er steht bereit, wenn einem Künstler die Stimme plötzlich versagt. Sein Hauptanliegen ist aber, mögliche Probleme durch Prophylaxe gar nicht erst entstehen zu lassen. Schlömicher-Thier, der neben Medizin auch Gesang studiert hat, ist zudem in internationalen medizinischen Netzwerken aktiv, die sich um Künstler kümmern. Ende August organisiert er das elfte internationale Salzburger Stimmsymposium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2014)

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