Gino aus Wien: Wiederkehr eines Vergessenen

Gino Pertots/ Bobby Sommer
Gino Pertots/ Bobby Sommer(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Gino Pertots „Jew Nails“ gilt im Ausland als Meisterwerk. In Wien kennt es kaum jemand. „Die Presse“ stöberte ihn und seinen Ex-Saxofonisten auf.

Ins kollektive Gedächtnis Österreichs hat er sich wohl am ehesten mit diesem Schokoladenwerbespot eingeprägt. Mit so illustren Kollegen wie Georg Danzer und Adi Hirschal sang Gino Pertot für die legendäre Bensdorp-Manufaktur den süßen Slogan „Mehr Schoko, mehr Schwung“ ein, der jahrelang für mehr Karies sorgte. Austro-Pop-Archivare kennen und schätzen Pertot als Sänger der kurzlebigen Prog-Rock-Band Orange Power.

Sein Solodebüt „Jew Nails“ ist hingegen hierzulande praktisch unbekannt. Um so erstaunlicher ist, dass diese zart psychedelische Liedersammlung von 1977 kürzlich in Portugal auf Schallplatte wiederveröffentlicht wurde. Dafür verantwortlich ist der Musikliebhaber Antonio Barreiros. „Jew Nails“ gefiel ihm, weil die Musik Pertots zwar dunkle Untertöne aufweist, aber trotzdem seltsam freudvoll ist. Der Liedermacher hatte es sich auf sehr wienerische Weise in der Melancholie gemütlich gemacht.

„Jew Nails“ sollte kein Aufbruch sein, sondern das Ende seiner patscherten Musikkarriere markieren. „Mir wurde klar, dass ich am Popbusiness seelisch zerbrechen würde. Mit den Aufnahmen wollte ich einen schönen Schlusspunkt setzen. Ursprünglich wollte ich solo aufnehmen, damit es so klingt wie meine Auftritte im damaligen Folkclub Atlantis. Aber dann haben mich immer mehr Kollegen gefragt, ob sie nicht doch mitspielen dürften.“ Unter ihnen war Bobby Sommer, der als Sänger der Proto-Punk-Band Cadillac selbst begehrte „Rare Grooves“ kreierte.

Harmoniegesang

„Von Gino konnte ich als Sänger einiges lernen“, bekennt er ohne Umschweife. „Ich fand seine Songs und die Art seines Harmoniegesangs sehr stark.“ Die beiden kannten einander schon aus den Sechzigerjahren. Etwa aus dem San Remo (der heutigen Camera). „Es war ein bisserl so wie bei den Beatles in Hamburg. Die haben ja zunächst auch nur in zwielichtigen Lokalen gespielt. Im San Remo haben die Slaves von Karl Ratzer gespielt, aber auch die Boots, die Cheetahs und George Doggett.“

Jetzt purzeln die Namen von längst verblichenen Lokalen aus beider Münder. Vom GoGo in der Otto-Bauer-Gasse ist die Rede und vom Flamingo am Bauernmarkt. Aber auch vom Spiegel in der Annagasse, wo es jeden Montag den Playboy-Club gegeben hat, wo man die feschesten Mädchen treffen konnte.

Ein anderer wichtiger Hot Spot der damaligen Jugend war der vom Galeristen Ernst Hilger geführte Folkclub Atlantis, der in den Räumlichkeiten des heutigen Roxy passierte. Selbst Leonard Cohen kam dort nach seinen Auftritten im Wiener Konzerthaus vorbei, um noch ein, zwei Lieder zu geben. Gino Pertots Leidenschaft galt indes einem anderen, dem damals noch völlig obskuren, britischen Folksänger Nick Drake. Pertot komponierte ihm bereits 1977 eine Hommage. Das ist um so erstaunlicher, als die globale Wiederentdeckung Drakes erst in den Achtzigerjahren passierte. Pertot identifizierte sich leidenschaftlich mit dessen herb-romantischem Liedgut. „You and I bear the sorrows of the world“ schwärmte er mit weher Stimme zu freejazzigen Saxofonmotiven Sommers. „Ich habe Nick Drake ein paar Mal in der Nähe des Piccadilly Circus gesehen“, erzählt Pertot von frühen Londonaufenthalten. „Er war eine auffällige Erscheinung. Groß, stets dunkel gekleidet und die Hosen immer etwas zu kurz. Einmal hab ich sogar mit ihm über Gitarren geplaudert.“

Drake starb mit 26 Jahren, Pertot hat überlebt. 37 Jahre lang arbeitete er als Metteur im Wiener Pressehaus. Bereut er im Licht der späten internationalen Würdigung, dass er nicht auf die Musik gesetzt hat? „Nein, gar nicht. Ich freue mich über das, was ich gemacht habe. Und ein, zwei Songs pro Jahr schreibe ich ja immer noch.“ Es scheint wieder etwas möglich. Eine neuerliche Zusammenarbeit mit Bobby Sommer? Oder eine Veröffentlichung seines ursprünglichen, 1974 eingespielten, im Archiv schlummernden Debüts? Noch ist Pertot skeptisch: „Einfälle hätte ich genug, aber wer will schon etwas von einem 66-Jährigen hören?“

ZUR PERSON

Bewegtes Leben. Der Schriftsetzer, Astrologe und Singer/Songwriter Gino Pertot wurde 1948 in Wien geboren. In den Sechzigerjahren sang er bei Bands wie Dandys und Bergkristall – zunächst das Repertoire der Kinks und Rolling Stones, aber auch Kommerzielleres wie „No milk today“. 1976 gewann er den Bandwettbewerb Pop-O-Drom in der Kategorie Folk. Es folgten Aufnahmen mit Peter Jandas Prog-Rock-Band Orange Power. 1977 brachte er sein Soloalbum „Jew Nails“, von dem nur 200 Stück gepresst und verschenkt wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2014)

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