Wo man viel Pech hat

Richard Schreieck zeigt, wie man eine Schwarzkiefer zum Ernten anzapft.
Richard Schreieck zeigt, wie man eine Schwarzkiefer zum Ernten anzapft.Norbert Rief
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360 Grad Österreich: Im Süden Wiens gibt es die letzten Pecher Mitteleuropas. Das Baumharz, das sie ernten, bringt unter anderem Geigen zum Klingen.

Richard Schreieck klebt. Wenn man seine Hand schüttelt, merkt man es. Wenn er über den Parkettboden des Büros geht, hört man, wie die Schuhe leicht kleben bleiben. Der Ganghebel seines Autos ist klebrig, die Lenkung ist klebrig und der Türgriff auf der Fahrerseite auch. „Das kommt mit dem Job“, erklärt der 64-Jährige lachend.

Schreieck ist Pecher – jemand also, der Baumharz erntet. Acht Männer rund um Hernstein in Niederösterreich machen das noch, ihr Handwerk ist einzigartig in Mitteleuropa (nur in Spanien wird noch Harz geerntet, dort aber sehr kommerziell). „Es is mehr a Liebhaberei“, sagt Bernhard Kaiser, der „in x-ter Generation“ als Pecher arbeitet. „Leben kannst davon nicht, aber ich mach's, weil man's in unserer Familie immer gemacht hat.“ Und so lange er auf eine Leiter klettern kann, um die Bäume anzuzapfen, so lange wird er es auch weiterhin machen.

Die Pecherei im Süden Wiens geht viele tausend Jahre zurück. Die Gegend rund um das Triesting- und Piestingtal hat den größten zusammenhängenden Schwarzkiefernwald der Welt. Es ist eine spezielle Art, die Botaniker als „Pinus nigra austriaca“ bezeichnen und die eine besondere Eigenschaft hat: Sie schwitzt gerne.

„Siehst“, sagt Richard Schreieck und deutet auf einen Baum, „da drückt es das Harz richtig raus aus dem Stamm.“ Die verdampfenden ätherischen Öle verleihen Kiefernwäldern den speziellen Duft. Schon die Römer verwendeten das Pech der Föhren als Klebemittel und zum Rasieren.

Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts galt das Harz der Schwarzkiefern als das Gold der Region. „Ein paar tausend Menschen haben einst von der Pecherei gelebt“, erklärt Johann Leitner, Kustos des kleinen Pechermuseums in Hernstein (nur am Wochenende geöffnet). Das Harz der Schwarzföhre wurde als Schmieröl verwendet, für Schuhcremen und zur Papierherstellung, es kam bei der Farben- und Lackherstellung zum Einsatz, auch als Arzneimittel nahm man es her.

„Dann kam das Kunstharz auf“, sagt Leitner, und seufzt. Das war in den 1960er-Jahren. Binnen weniger Jahre war die Harzgewinnung, weil zu teuer, tot. Die Zahl der angezapften Schwarzkiefern in dem Gebiet sank von 570.000 bis 750.000 Bäume in den 1960er-Jahren auf weniger als 60.000 Ende der 1970er-Jahre. Die großen Harzwerke, die einst hunderte Tonnen verarbeiteten, sperrten nach und nach zu, das letzte 1978. Das war's für einen einst blühenden Geschäftszweig.

Ein paar heimische Bauern machten noch weiter, mehr aus Traditionsbewusstsein als aus Geschäftssinn. „Bei manchen war es ein Hobby, bei manchen ein Versprechen“, erklärt Bernhard Kaiser.


40.000 Kilogramm Ernte pro Jahr. „Das Werkzeug hat sich im Laufe der Zeit nicht verändert“, sagt Richard Schreieck, der auf einer Leiter stehend zeigt, wie man einen Baum zum Bluten bringt. Dem gebürtigen Tiroler ist es zu verdanken, dass die Pecherei wieder etwas breiter betrieben wird. In seinem Pecherhof in Hernstein, den er in den 1990er-Jahren eröffnet hat, verarbeitet er zwischen 40.000 und 50.000 Kilogramm Harz pro Jahr, das die acht Pecher von etwa 10.000 Bäumen ernten.

Schreieck zückt also einen Schaber und trägt auf einer Länge von etwa 50 Zentimetern Rinde ab („rinteln“), bis sie nur noch einen halben Zentimeter dick ist. Ein idealer Baum ist 100, 120 Jahre alt, auf Brusthöhe sollte er einen Umfang von etwa einem Meter haben. Angezapft wird er zwischen April und September. Nach dem Rinteln setzt Schreieck schräg am Baumstamm die „Schoaten“, zwei dünne Holzspäne, die der Pecher im Winter gemacht hat und die dazu dienen, das Harz in einen Glasbehälter zu leiten. Unterhalb der Schoaten wird eine Kerbe in den Baumstamm geschlagen, das Pechhäferl angesetzt und auf einen Nagel gestellt. Und das Ganze mal 4000 – früher einmal. Heute sind es ein paar hundert Bäume, die angezapft werden.

Am Ende reißt der Pecher mit einer Art Hobel die Harzkanäle auf, das Harz rinnt langsam aus der Schwarzkiefer und sammelt sich im Häferl. 24 bis 36 Stunden lang rinnt das Harz, dann sind die Kanäle leer. Man lässt dem Baum vier Tage Ruhe, dann wird der Hobel wieder angesetzt. Ende September fehlt dem Baum auf einer Seite etwa ein halber Meter Rinde. Und der Pecher hat zwischen vier und sechs Kilogramm Harz geerntet. Für das Kilogramm bezahlt Schreieck 2,91 Euro.

Der Baum übersteht die Prozedur recht gut. Früher einmal hat man einen Baum 30, 40 Jahre lang geerntet, heute ist nach zwölf Jahren Schluss (auch da steht man schon auf gut vier Meter Höhe). Pro Hektar werden nur 150 Bäume angezapft, weniger als zehn Prozent des Bestands.


Großteil wird exportiert.
Der Pecherhof in Hernstein exportiert einen Großteil der 40, 50 Tonnen als Rohharz in die Schweiz, die USA und nach Deutschland. Ein kleiner Teil wird zu Cremen und Balsam verarbeitet oder geht an die Firma Petz in Wien, die daraus seit 1912 Geigenharz herstellt und weltweit vertreibt. Erst das Kolophonium entlockt einer Geige wohltönende Klänge, weil es an der rauen Oberfläche der Bogenhaare haftet.

Heuer im Herbst bringen zwei junge Niederösterreicher neue Harzprodukte auf den Markt. Matthias Steiner und ein in die USA ausgewanderter Freund wollen vor allem das Internet als Marketing- und Vertriebsmöglichkeit nützen. „Derzeit testen wir noch die Haltbarkeit der Cremen“, sagt der 28-jährige Steiner.

Hoffentlich haben sie kein Pech. Der Ausdruck kommt, erklärt man in Hernstein, davon, dass dem Waldbesitzer einst nur das Pech blieb, wenn der Pecher all sein Geld für das Harz im Lokal verfeiert hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)

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