Musik und Medizin: "Wollen Neues im Gehirn auslösen"

(c) Wiener Konzerthaus
  • Drucken

Zwei Ärzte des AKH laden zu einer neuen Konzertreihe, die Musik und Medizin kombiniert. Über das Naheverhältnis zweier Disziplinen.

Den ersten Versuch, erinnert sich Manfred Hecking, starteten sie 2008. Da war der australische Medizin-Nobelpreisträger Peter Doherty beim Kongress für Allergologie und Immunologie in Wien zu Gast, um über Ergebnisse seiner Forschung zu Impfungen gegen Virusinfektionen zu berichten. Vor seiner Keynote spielte im vollen Hörsaal ein Wiener Philharmoniker: Konzertmeister Rainer Honeck gab die „Chaconne aus der d-moll Partita für Violine Solo“ von Bach.

„Es war“, sagt Hecking, „wahnsinnig ergreifend, weil das Spiel von Rainer Honeck den Vortrag auf ganz andere Weise hat wirken lassen. Das war der Auftakt dazu, dass wir gesagt haben: Wir probieren, ob das reproduzierbar ist.“ Es gelang, zumindest bei Kongressen. Nun gehen Hecking und sein Kollege Marcus Säemann einen Schritt weiter: Mit einer auf drei Jahre angelegten Konzertreihe, die erkunden will, was passiert, wenn man Musik und medizinisches Wissen mischt.

Interesse hegen beide für beides. Säemann ist Nierenspezialist und Oberarzt am AKH mit einem ausgeprägten Faible für Musik. Assistenzarzt Hecking war nach einem Doppelstudium in Berlin mehrere Jahre Kontrabassist bei den Wiener Philharmonikern, ehe er 2006 in die Medizin wechselte. Kennengelernt haben sie sich 2004, als Hecking bei Säemann ein Praktikum für das Studium absolviert hat, damals noch als hauptberuflicher Musiker.

„Musik öffnet den Geist“

Mit der Reihe „Sounds and Science“ wollen sie, gemeinsam mit Philharmoniker-Bratschist Thilo Fechner und AKH-Professor Gere Sunder-Plassmann, nun einem breiten Publikum Einblick in das aktuelle Wissen der einzelnen Teilbereiche der Inneren Medizin ermöglichen. „Wo stehen wir in Bezug auf Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes?“ Ziel sei aber nicht nur die Wissensvermittlung. „Wir wollen, dass ein neuer Sinneseindruck entsteht“, sagt Hecking. „Jeder, der Musik mag, geht gern in Konzerte, weil er weiß, dass er emotional profitieren kann. Wissenschaft kann das auch.“ Und ja, er wisse, „dass das jetzt ein bissl sehr abgehoben klingt, aber das ist es nicht. Musik öffnet den Geist. Es soll einfach etwas Neues im Gehirn auslösen.“

Gespielt werden bei den Konzerten Stücke von Komponisten, die an Erkrankungen aus den jeweiligen Bereichen gelitten haben. Gustav Mahler, der seine Herzklappenverengung selbst mit dem Stethoskop erkundete – die Aortenstenose sei auch in seiner letzten Symphonie zu hören. Brahms, der noch „gelb-leuchtend“ im Musikverein saß, ehe er wenig später an einem Tumor der Bauchspeicheldrüse starb. Oder Mozart, der, wie 2009 entdeckt wurde, nach einer bakteriellen Infektion an Nierenversagen starb.

Aber nicht nur die Krankheiten soll man kennenlernen. Auch „den Komponisten als Menschen an sich“, durch kurze Vorträge, etwa von Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg. Anschließend spricht „ein renommierter Hauptsprecher auf einem allgemeingültigen Level über sein medizinisches Fach“. Allerdings noch nicht beim Auftakt am 20.September. Da wird Genetiker Josef Penninger über „Die neue Biologie des Lebens“ referieren, vor ihm spielt Rainer Honeck die erprobte Chaconne. Hecking: „Weil wir wissen: Das funktioniert sicher. Das Stück ist so mächtig, das passt.“

Die oft beobachtete musikalische Begabung von Ärzten kann er übrigens bestätigen. „Überdurchschnittlich häufig hegen Menschen eine Liebe für beides. Wir haben am AKH zig sehr gute Musiker.“ Selten ist freilich, dass jemand beides so konsequent betreibt wie er. „Ich hatte das gleiche Problem wie viele – und konnte mich einfach nicht entscheiden.“

Doch wie lässt sich das Naheverhältnis erklären? Warum begeistern sich Mediziner für Musik? „Aus meiner Sicht“, meint Hecking, „deshalb, weil durch die Musik neuronale Verbindungen wachgerufen werden, die das Ausüben des medizinischen Berufs erleichtern.“ „Wobei“, ergänzt Säemann, „ein gewisser Anteil sicher auch Mythos ist.“ Ihr neuer Ansatz sei jedenfalls experimentell: „Wir wissen nicht, was am Schluss rauskommt, wenn wir versuchen, dem Wesen des Krebses näherzukommen und gleichzeitig Brahms hören.“

AUF EINEN BLICK

Sounds and Science heißt eine Konzertreihe, die von Marcus Säemann, Manfred Hecking, Thilo Fechner und Gere Sunder-Plassmann ins Leben gerufen wurde. Auftakt ist am 20.September im Wiener Konzerthaus. Es spielen Rainer Honeck, Herbert Kefer, Patrick Demenga und Silke Avenhaus. Josef Penninger spricht über „Die Neue Biologie des Lebens“. (Karten 45 bis 70 Euro). Weitere Konzerte widmen sich den einzelnen Bereichen der Inneren Medizin, eine leicht abgeänderte Version gibt es je im Anschluss an der Med-Uni. www.soundsandscience.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.