Willem Dafoe: Ein Mime für die Außenseiter

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Willem Dafoe wird auch »Hollywoods schwarzer Engel« genannt. Er gilt seit drei Jahrzehnten als einer der mutigsten und profiliertesten Charakterdarsteller unserer Zeit. Nun ist er in Anton Corbijns Thriller »A Most Wanted Man« zu sehen, einer John-Le-Carré-Verfilmung.

Herr Dafoe, wie kommt es, dass „A Most Wanted Man“ ausschließlich in Hamburg gedreht wurde?

Willem Dafoe: Weil Hamburg in dem Film eine wichtige Rolle spielt. Eigentlich ist die Stadt eine weitere Hauptfigur. Ich kenne Deutschland ziemlich gut, und Hamburg hat eine ganz spezifische Identität. Diese Geschichte ist exakt auf diese Stadt zugeschnitten und würde woanders gar nicht funktionieren, weder in Berlin noch München noch in Frankfurt.

In „A Most Wanted Man“ geht es um weitere Terrorzellen, die nach 9/11 in Hamburg vermutet und von der CIA beobachtet werden. Kannten Sie die Romanvorlage von John Le Carré?

Nein, obwohl ich Le Carrés Romane und auch die Verfilmungen immer sehr mag. Diesen Thriller habe ich aber erst nach dem Skript gelesen.

War es als New Yorker schwierig, sich diesem Thema zu stellen?

Ja und nein. Natürlich bin ich als New Yorker bis heute von den Bildern des al-Qaida-Attentats traumatisiert. In erster Linie zeigt der Film, wie Menschen miteinander umgehen und unser persönliches Leben mit dem großen Ganzen in Verbindung steht. Das Besondere an der Story ist, dass fast alle Figuren unfreiwillig beteiligt sind. Keiner ist besonders begeistert, sich mit Dingen zu beschäftigen, die sie lieber nicht anpacken wollten. Sie wollen alle das Richtige tun, doch sie haben einen Charakterfehler oder stecken in einem moralischen Dilemma. Das Tolle an Romanautor John Le Carré ist, dass er ein Thema oder ein Ereignis aus verschiedenen Perspektiven reflektiert und dadurch dem Zuschauer eine ganze Palette von Möglichkeiten präsentiert.

Es gibt einen Dialog im Film, in dem die Agenten sich fragen, warum sie diesen Job machen, und einer von ihnen gibt die Antwort: „Um diese Welt sicherer zu machen.“ Was treibt Sie in Ihrer Arbeit an?

Das Abenteuer. Die Lust am Spiel. Die Lust am Erschaffen. Das Vergnügen, mit Menschen zusammen zu sein, die mich kreativ stimulieren. Und die Möglichkeit, Filme oder Theaterstücke zu machen, die unsere Denkweise verändern, die uns daran hindern, stecken zu bleiben, und die uns aus dem Gleichschritt des Lebens herausholen.

Warum sieht man Sie so oft in exzentrischen, riskanten Rollen, für die man wirklich „cojones“ braucht? Man denke nur an Ihre Parts für Regisseur Lars von Trier, in denen Ihre Figuren einmal an der Seele, einmal an den Genitalien verstümmelt werden.

Ich fände es schwieriger, so etwas wie den Helden eines großen Actionfilms zu spielen – ich wüsste gar nicht, wie ich den Glauben an so eine Figur aus mir herausholen soll. Damit eine Rolle mich reizt, muss sie etwas haben, was ich interessant und authentisch finde. Diese Figuren stehen eher am Rand der Gesellschaft, sie sind die Charaktere, in denen wir uns wiedererkennen. Wir lesen darüber in den Medien, wir inhalieren das in unserer Kultur. Ich bin Künstler, ich identifiziere mich stärker mit Außenseitern. Oder Impulsen, die eher von außerhalb eines Systems kommen, nicht aus ihrer Mitte.

Warum?

Das System, das wir geschaffen haben, ist etwas, auf das wir uns alle geeinigt haben und am Laufen halten. Doch es ist nie perfekt, also müssen wir es permanent herausfordern, infrage stellen und immer wieder ein klein wenig zerstören. Ich identifiziere mich mehr mit den Typen, die die Goliaths dieser Welt herausfordern.

Sie suchen im Beruf das Konfrontative. Privat ruhen Sie in sich. Wie geht das?

Ich versuche Dinge zu machen, die ich sinnvoll finde. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Yoga. Yoga ermöglicht mir zu erkennen, wie mein Verstand und mein Körper funktionieren.

Ihr Kollege Philip Seymour Hoffman, der im Februar verstarb, ist hier in seiner letzten Rolle zu sehen.

Ich habe Philip erst bei diesem Dreh persönlich kennengelernt. Aber ich habe ihn schon seit Langem bewundert. Sein Tod ist ein großer Verlust.

Haben Sie Angst, dass diese Rollen zu lange an Ihrer Seele haften bleiben?

Sie bleiben an mir haften. Allerdings werden sie in einem ganz bestimmten Kontext geschaffen, wenn dieser Kontext nicht mehr gegeben ist, verglühen sie. Der Rest, ihre Asche, verschmilzt mit deinem Wesen.

Steckbrief

Willem Dafoe (Jg. 1955) stammt aus dem US-Bundesstaat Wisconsin. Das Theaterstudium schien im zu praxisfern, daher schloss er sich einer experimentellen Theatergruppe an.

Dem Filmpublikum wurde er durch seine Rolle als Sergeant Elias in Oliver Stones Platoon bekannt. Weitere große Produktionen, in denen er auftrat waren u.a.: Wild at Heart, Speed 2, Mississippi Burning, Spiderman 1, 2 und 3.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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