Ein Denkmal für die Mutter: Liesl Müllers letzte Reise

Buchcover: Rosl und ihre Tochter
Buchcover: Rosl und ihre Tochter(c) Milena Verlag
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Am Donnerstag wollte Liesl Müller-Johnson die Erinnerungen an ihre Mutter, Kabarettstar Rosl Berndt, präsentieren. Sie starb nur einen Tag davor.

Sie habe in England eine österreichische Freundin, erzählte Liesl Müller-Johnson am Dienstagvormittag zuversichtlich im Interview mit der „Presse“, diese sei 102 – und ihr Vorbild. „Sie spielt noch Bridge und fährt dafür sogar nach Malta. Das beruhigt mich – sie schreitet vor mir.“

Einen Tag später war Liesl Müller-Johnson tot. Die Präsentation ihrer Kindheitserinnerungen gestern Abend im Radiokulturcafé fand ohne sie statt. Begleitet von Zitherspielerin Cornelia Mayer und Pianist Otmar Binder hätte die 92-Jährige Wienerlieder singen wollen. „Wien, du bleibst das verwöhnteste Kind der Welt“: Fritz Rotter, an den sie sich erinnere, habe das Lied für ihre Mutter geschrieben. Nun mussten die Musiker allein spielen und anstelle von Liesls Erzählungen musste Autorin Monika Mertl Auskunft geben, die Müller-Johnsons in England erschienene Autobiografie für die deutsche Ausgabe neu gefasst und ergänzt hat.

Denn Liesl Müller-Johnson hatte das Buch über ihre Wiener Wurzeln früh, mit ihrer Teenager-Liebesgeschichte, enden lassen. Ihr eigenes späteres Leben, nach der Hochzeit mit einem englischen Fliegerhauptmann, erschien ihr kaum mehr berichtenswert. Dabei war sie mit Peter Ustinov befreundet, gründete die Elizabeth Johnson Organisation, die zwischen 1962 und 2002 eine Viertelmillion Sprachstudenten nach England brachte.

Mit 72 begann sie noch eine Karriere als Sängerin. 2003 erschien ihre erste CD mit Liedern von Ralph Benatzky und Hermann Leopoldi. In den vergangenen drei Monaten hatte sie ihren achten Tonträger aufgenommen, die CD hatte sie stolz dabei, als sie nach Wien flog und im Hotel Prinz Eugen vor dem fast fertigen Hauptbahnhof Quartier nahm. Das Geschehen in Österreich verfolge sie durchaus, versicherte sie: Am liebsten würde sie Conchita Wurst kennenlernen.

Kein Eintrag in Google

Doch in ihrer Biografie ging es Liesl Müller-Johnson um ihre Mutter. Eines Tages, nachdem sie mit 80 ihr Unternehmen aufgegeben hatte, sei sie auf die Idee gekommen, ihre Mutter zu googeln, erzählte sie noch am Dienstag. „Aber da war keine Rosl Berndt zu finden. Das einzige, wo ihr Name noch zu finden war, war auf dem Friedhof in Headley, dem Nest, in dem ich wohne. Meine schöne, liebe Mutter, die einmal eine große Schauspielerin war!“ Sie habe daraufhin einen Weinkrampf bekommen. „Das ging doch nicht, dass das alles war, was von ihr übrig ist. Damals habe ich beschlossen, ihr mit einem Buch ein Denkmal zu setzen.“

Ein Denkmal für Rosl Berndt: 1903 als uneheliche Tochter der aus Galizien eingewanderten Bronja Dunkelblau geboren, aufgewachsen in einer Hausmeisterwohnung in der Weintraubengasse in der Leopoldstadt. Als Elfjährige debütierte sie in der Kinderrolle der Suza in Lehárs „Der Rastelbinder“. Als „kleine Rosa“ wurde sie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in der Donaumonarchie gefeiert. Später gelingt ihr der Übergang vom Kinderstar zum Publikumsliebling der Kabarett- und Varietészene; sie spielt mit Farkas und Grünbaum, tritt im Ronacher, im Raimundtheater und im Simpl auf, das kurz sogar ihrem Mann Karl Müller gehört, bevor er vor seinen Spielschulden nach Amerika flüchtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg fasst Berndt in Wien nicht mehr Fuß, sie stirbt vergessen in London.

Das Schreiben der Familiengeschichte sei schwierig, aber auch eine Art Katharsis gewesen, resümierte Liesl Müller-Johnson zuletzt. „Es gibt viele Dinge, die einen gefreut, aber auch viele, die einen bedrückt haben, wobei nicht klar war, warum. Viele davon haben sich nun geklärt und gereinigt.“ Schon einmal, vor ein paar Jahren, wäre sie bei einem Wien-Besuch fast gestorben. Diesmal geschah es wirklich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2014)

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