Trauer: "Man muss selbst neu entstehen"

(c) Nina Goldnagl
  • Drucken

2008 hat Barbara Pachl-Eberhart ihre gesamte Familie verloren. In ihrem neuen Buch geht sie der Frage nach, was Trauer für das eigene Leben bedeutet.

Die Presse: Ist Ihr neues Buch die Fortsetzung Ihres ersten, „Vier minus drei“?

Barbara Pachl-Eberhart: Fast von Anfang an hatte ich bei meinen Lesungen das Gefühl, dass es noch so viel zu sagen gäbe. Ich habe beim Reden gemerkt: Ich schaue von oben darauf und erkenne immer mehr. An Prinzipien, an Dingen, die andere auch so erlebt haben, an einem größeren Ganzen und nicht nur meiner persönlichen Geschichte. Manchmal hatte ich den Eindruck, zwischen mir und der Trauer ist noch eine Rechnung offen. Deshalb hab ich mich auf meinen Hosenboden gesetzt und alles aufgeschrieben, was es dazu zu sagen gäbe.

Das gibt es sicher einiges.

Ja. Anfangs, 2012, hatte ich den Anspruch, einen Trauerratgeber zu schreiben, ein Kompendium der Trauer. Es gibt so schöne Bücher und neue Erkenntnisse, vor allem im amerikanischen Sprachraum. Gott sei Dank hat mein Verleger gesagt: „Halt ein! Trau dich, persönlich zu bleiben.“ Im Sommer 2013 hat dann mein Lebensgefährte in Niederösterreich Theater gespielt, und wir waren zwei Monate in einem Kloster stationiert. Das war ein guter Platz, um zu schreiben.

Was ist das Wichtigste, das Ihnen klar geworden ist?

Die Kernbotschaft ist: Ich glaube, dass wir Menschen sehr viel Kraft haben, die oft erst dann sichtbar wird, wenn wir sie brauchen. Wir dürfen nicht glauben, wie wir uns heute fühlen, vielleicht an einem miesen Herbstschlechtwettertag, dass das die Person ist, die dann in der Krise dem Leben begegnen wird. Das Schöne ist: Wenn man diese Kraft entdeckt hat, kann man sie ins normale Leben mitnehmen. Dass das Leben eines Tages wieder ganz normal sein wird, auch das traue ich mich zu versprechen. Wenn man es nicht verhindert.

Und welche neuen Erkenntnisse gibt es zur Trauer?

Wir glauben immer, wir müssen einen Menschen betrauern, und dann fügt sich alles wieder. Die Amerikaner haben erkannt, dass uns, wenn uns ein geliebter Mensch verloren geht, viel von uns selbst verloren geht. Alltagshandlungen, Rituale, ein Stück Identität. Deshalb geht es nicht darum, eine Wunde zu verschließen, sondern darum, selbst neu zu entstehen. Das hat viel mit dem Leben zu tun. Da muss ich mein ganzes Leben abklopfen. Natürlich ist es auch eine Chance, weil festgefahrene Muster aufbrechen. Das tut weh, aber dann darf ich auch schauen: Was will ich jetzt? Da kann der geliebte Mensch, der ja trotzdem noch da ist, mir auch ein Mentor sein. Ich hab das Gefühl, meine Familie steht hinter mir und feuert mich an. In unserem Geist baue ich mir das neue Leben auf.

Es ist ja ein sehr anderes Leben, das Sie heute führen. Was wollten Sie damals ändern?

Spannende Frage. Es gibt ja diese Trauerphase des Nicht-wahrhaben-Wollens. Ich ärgere mich immer ein bisschen über die Bezeichnungen, kein Trauernder will sich in einer solchen Phase befinden. Das ist alles schwierig zu nehmen im Psychologenjargon. Aber natürlich, heute sehe ich, dass da schon was dran ist (lacht). Den Tod meiner Familie musste ich wahrhaben, aber was ich lange nicht wahrhaben wollte, war genau das: dass sich mein Leben sehr massiv ändern würde. Ich wollte, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich wollte Clown bleiben, wollte sofort unser Haus kaufen. Es war eher unfreiwillig, dass ich in neue Settings gekommen bin. Das Unfreiwilligste und gleichzeitig Schönste war die neue Liebe, die in mein Leben gestolpert ist.

War das erste Buch der Schritt in dieses neue Leben?

Es war die Liebe. Meine beste Freundin hat uns verkuppelt. Sie hat so ein Bauchgefühl gehabt, dass wir uns mögen könnten. Und sie hat ein sehr gutes Bauchgefühl. Ulrich (Reinthaller, Anm.) war gerade auf der Durchreise durch die Steiermark nach Italien. Er wollte damals ein Buch schreiben, hat aber nur gesagt: „Ich spür, es wird ein Buch entstehen.“

Es wurde dann Ihres und ein Bestseller. Seither wollten Ihnen wohl tausend Leute ihre Geschichte erzählen und den einen Rat hören.

Genau so. Ich bin keiner von den Autoren, die sich ganz zurückziehen. Aber ich habe nicht mit der Menge an Mails, die kommen, gerechnet. Damals war ich in einer Phase, in der ich gedacht habe, das Leben schiebt mir Dinge zu, und ich muss sie erfüllen. Eine dieser Rollen war, dass ich die Trauerberatungstante der Nation werde. Weil ich eben diesen Erfahrungsschatz bekommen habe und die Fähigkeit, darüber zu sprechen. Manchmal Worte zu finden, die anderen helfen. Das ist mir bald zu viel geworden. Es ist ja auch schön, dass Menschen einfach einmal diesen aufgestauten Schmerz rausschreiben. Das sieht man daran, wie viele Rechtschreibfehler drin sind, dass sie nicht mehr Enter drücken, dass Satzzeichen fehlen. Ich habe schnell begriffen, dass ich nicht adäquat antworten kann. Mittlerweile kann ich mit meinen Schreibseminaren einen Rahmen bieten. Da bin ich selbst mitten in der Ausbildung, sie heißt Poesie und Bibliotherapie. Neben Clown ist das der schönste Beruf der Welt.

Wie sehen Sie in Zukunft Ihre Rolle? Noch als Expertin für das Sterben?

Wieder überrascht mich das Leben hier. Es gibt wieder sehr viele Anfragen für Vorträge und Lesungen. Aber am Tag des Erscheinens meines Buches ist eine Anfrage gekommen, mich dem Thema Lachen und Freundlichkeit in der Welt in einem Buch zu widmen. Ich wünsche mir sehr, dass daraus etwas sehr Großes wird. Eine Bekannte hat mir gesagt, ich sei für sie Vorbild für ein Auf-dem-Weg-Sein. Ich bin nicht vorbildlich trauernd oder lachend. Aber das hat mich gefreut.

ZUR PERSON

Barbara Pachl-Eberhart wurde 1974 in Wien geboren. Sie studierte Querflöte, ist Volksschullehrerin und arbeitete von 2000 bis 2009 bei den Roten Nasen. 2008 starben bei einem Unfall auf einem Bahnübergang ihr Mann und ihre beiden Kinder. Heute lebt sie mit dem Schauspieler Ulrich Reinthaller, der im Pielachtal das „Dialogikum“ betreibt.

Soeben ist ihr Buch „Warum gerade du? Persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer“ (Integral, 256 Seiten, 18,50 Euro) erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.