Karlheinz Töchterle: "Ich dachte, die Spielräume wären größer"

Karlheinz Töchterle
Karlheinz TöchterleDie Presse
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Als besonders entwürdigend hat der ehemalige Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle seine Ablöse vor einem Jahr erlebt. "Weniger wichtig zu sein", genießt er jedoch.

Vor einem Jahr, als Sie – damals noch als Wissenschaftsminister – das Philosophicum Lech eröffnet haben, sagten Sie in einer recht emotionalen Rede: Politikern gebühre Dankbarkeit für ihre Arbeit. Lieber ein „polites“, der sich um die Gemeinschaft kümmert, als ein „idiotes“, der nur auf sich selbst fixiert ist. Worte, die man von Politikern selten hört.

Karlheinz Töchterle: Ich habe mich unmittelbar vor dieser Rede über Aussagen des Künstlers Erwin Wurm sehr geärgert, der während einer Podiumsdiskussion, bei der ich im Publikum gesessen bin, völlig undifferenziert über Politiker hergezogen ist. Von einem intellektuell gebildeten Menschen hätte ich mir das in der Form nicht erwartet. Die Rede danach war eine günstige Gelegenheit, darauf zu reagieren.

Dass Politiker in der Öffentlichkeit häufig nicht hoch im Kurs stehen, war Ihnen aber nicht neu?

Nein, aber ich halte diese pauschal stattfindende Politikerbeschimpfung nicht nur für ungerecht, sondern auch für gefährlich, weil sie zu Demokratieverdrossenheit führt, sie den Boden bereitet für den großen, starken Vereinfacher.

In Wahrheit ist also „alles sehr kompliziert“, wie schon Fred Sinowatz sagte.

Ja. Die Interessenlagen sind sehr unterschiedlich, sodass der Politik gar nichts anderes übrig bleibt, als den Kompromiss zu suchen. Die einfachen Lösungen sind nur ganz selten möglich und auch nicht die besten, weil sie Interessen einseitig Rechnung tragen. Die beiden Grunddilemmata der Politik sind, dass der Mensch erstens das Bedürfnis nach den einfachen und klaren Lösungen hat. Zweitens mag er den Konflikt nicht, er ist harmoniebedürftig.

Ist er das?

Ja, das ist wohl auch entwicklungsgenetisch bedingt. Er musste in der Gruppe harmonieren, weil er sonst zu schwach war, sich gegen die äußeren Feinde und die Natur zu behaupten. Schon deshalb mag er den Streit nicht. Doch die Politik ist zu Diskurs und Streit verurteilt. Was soll sie denn sonst tun, wenn Interessen aufeinanderprallen?

Und weil sich der Politiker dieser Aufgabe stellt, gebührt ihm Dankbarkeit?

Ja, das meine ich nach wie vor und keinesfalls überheblich. Warum habe ich mir das Ministeramt „angetan“?

Ja, warum?

Dass auch persönlicher Ehrgeiz eine Rolle gespielt hat, das bestreite ich nicht. Aber ich habe es vor allem gemacht, weil ich mir gesagt habe: Wenn du nun das Angebot bekommst mitzugestalten und du bist jetzt zu ängstlich, es anzunehmen, dann kannst du selbst auch nicht mehr Kritik äußern. Du kannst dich auch nicht mehr ärgern, dass etwas so und nicht anders gemacht wird, denn du hättest ja selbst die Chance gehabt, etwas zu tun. Und dafür, dass ich mir das „antue“, dafür erwarte ich mir eine gewisse Dankbarkeit, anders kann ich es nicht sagen.

Sie sind Professor für klassische Philologie. Hat Ihnen Ihr umfassendes Wissen über die politischen Theorien der Antike im Alltag als Minister geholfen?

Die Theorie wappnet einen nicht, die Praxis noch einmal anders zu erleben. Ich habe noch viel gelernt, wie Politik im Konkreten funktioniert. Allerdings bin ich keineswegs naiv hineingegangen. Ich war 15 Jahre lang als Gemeinderat tätig und stets ein wacher Beobachter des politischen Geschehens. Dennoch habe ich es mir anders vorgestellt und gedacht, die Spielräume wären größer. Tatsächlich waren sie extrem eng.

Wer engt die Spielräume ein?

Das beginnt mitunter im eigenen Haus und endet in der Opposition, um die weitestmögliche Entfernung zu nennen. Wenn die Bürokratie im Haus nicht will, dann hat es ein Minister extrem schwer. Wobei ich nicht von meinem Ministerium spreche, ich hatte mit meinen Spitzenbeamten ein sehr gutes Verhältnis. Aber natürlich ist es auch vorgekommen, dass es auch von den eigenen Leuten, im und außer Haus, vor allem in den diversen Interessenvertretungen, Widerstand gegeben hat, den ich manchmal gar nicht sofort wahrgenommen habe.

Wieso nicht?

Weil er nicht offen formuliert wurde. Im Nachhinein denke ich mir, dass ich manchmal zu wenig energisch war und mit mehr Kraft in der einen oder anderen Frage mehr hätte erreichen können. Ein Beispiel dafür ist die ÖH-Wahlrechtsreform, die ich gern selbst ins Trockene gebracht hätte.

Damals sind Sie gegen eine Wand gelaufen.

Ja, aber diese Wände waren in Wahrheit dünn und schwach, ich habe das nur nicht gesehen. Generell ist die Strategie jener, die etwas verhindern wollen, nicht, stark, sondern eine Gummiwand zu sein.

Vieles war für Sie als Minister deutlich zäher und schwieriger als erwartet. Hat Sie das bitter werden lassen?

Diesen Prozess habe ich schon an mir wahrgenommen und meine Mitarbeiter – leider – auch. Am Schluss war das manchmal durchaus eine Mischung aus Bitterkeit, Zynismus und Wut.

Bittere Enttäuschung hat man vor allem am Tag Ihrer Ablöse deutlich gespürt, was wohl auch damit zu tun hat, dass diese besonders entwürdigend abgelaufen ist.

Ich gebe Ihnen recht, meine Ablöse war besonders entwürdigend. Das haben viele Leute bemerkt, und ich habe ihnen wohl mehr leid getan als ich mir selbst. Mein ganz überwiegendes Gefühl war nämlich eher Erleichterung, denn mein Ziel war es nicht, das Amt unbedingt weiterzubetreiben. Da lüge ich weder mir noch anderen etwas vor. Was mich viel mehr getroffen hat, war der Verrat an den vielen Wählern, für die ich gestanden bin.

Michael Spindelegger hat Sie damals in sein Büro zitiert und in einem zehnminütigen Gespräch abserviert. Nicht ganz ein Jahr später ist er als Parteiobmann der ÖVP und Vizekanzler selbst Geschichte. Was empfinden Sie dabei?

Man hat mir am Tag seines Rücktritts gratuliert und Briefe geschrieben. Ich selbst habe aber überhaupt kein Triumphgefühl empfunden. Im Gegenteil, Spindelegger hat mir leid getan. Ich habe ja gesehen, wie sehr er unter Druck gekommen und in die Mangel genommen worden ist – am Schluss sogar von seinen eigenen Leuten.

Ohne selbst pauschalieren zu wollen – muss Politik so unschön ablaufen?

Ich glaube, es müsste nicht so sein. Was zwingt denn eigentlich die Politik zu dieser Geheimnistuerei – gerade wenn es um die Auswahl des Personals geht?

Ihre Antwort?

Eine Ursache ist wahrscheinlich, dass den meisten in der Politik Köpfe und Leute wichtiger sind als Sachfragen. Das ist sicher auch anthropologisch bedingt. Sie interessiert: „Wer wird was, wer ist nichts mehr, wer kann mit wem?“ Daher wird spekuliert und ein Geheimnis daraus gemacht. Ich könnte mir aber als Alternative durchaus eine ganz transparente Suche nach den besten Leuten vorstellen.

Manchmal hat man den Eindruck, die Entscheidung, wer Minister oder Staatssekretär wird, fällt innerhalb von wenigen Minuten. Die fachliche Qualifikation scheint dabei nicht das allein ausschlaggebende Kriterium zu sein.

Ich stelle mir vor, dass man sowohl beim Umgang als auch bei der Findung der Leute anders agieren müsste. Wie die Leute derzeit gefunden werden, das finde ich zum Teil eine Katastrophe. So kann man das nicht machen. Erstaunlicherweise sind dennoch geglückte Griffe darunter.

Für die meisten Politiker ist der Machtverlust das Schlimmste. Wie sind Sie damit zurechtgekommen, nur mehr einfacher Nationalratsabgeordneter zu sein?

Das war überhaupt kein Problem für mich. Ich genieße es, weniger wichtig zu sein. Ich war selbst überrascht, wie schnell ich mich in die neue Situation hineingefunden habe.

Haben Sie sich eigentlich überlegt, der Politik ganz den Rücken zu kehren?

Natürlich habe ich mir nach meiner Ablöse überlegt, was ich jetzt tun soll. Aber alles andere als ein Wechsel ins Parlament wäre unmöglich gewesen. Ich kann nicht in Tirol als Spitzenkandidat um Stimmen bitten und dann nicht in den Nationalrat gehen. Und wenn ich mich dafür entscheide, dann mache ich das nicht als Pflichtübung, sondern „ghörig“, wie man in Vorarlberg sagt. Ich bin jetzt Wissenschaftssprecher und froh darüber, weil ich ja nach wie vor mitwirken kann.

Herr Töchterle, darf man Sie auch fragen . . .


1 . . . wieso Sie bei politischen Reden oder wissenschaftlichen Vorträgen immer frei sprechen?

Ich habe nie schriftliche Konzepte, wenn ich spreche. Ich habe mich Jahrzehnte mit den Gesetzmäßigkeiten der Rhetorik befasst. In der Antike wäre es völlig undenkbar gewesen, dass ein Redner nicht frei spricht. Wer etwas zu sagen hat, der braucht keinen Zettel, der hat sich mit der Sache, über die er spricht, nämlich so befasst, dass sie in ihm drinnen ist, gemäß der antiken Kunst der „memoria“.

2 . . . ob Sie ein Alphatier sind?

Das muss ich wohl sein. Aber ich glaube, ich bin ein teamfähiges Alphatier.

3 . . . ob Sie noch immer gern an der Universität lehren?

Ja, das tue ich, und ich bereite mich jedes Mal sehr intensiv vor. Allerdings ist es auch belastend. Ich gehe auch heute noch in jede Lehrveranstaltung mit Anspannung hinein.

Steckbrief

1949
wurde Karlheinz Töchterle in Brixlegg in Tirol geboren. Er studierte Philologie und Germanistik an der Uni Innsbruck.

1997
wurde er Ordinarius für Klassische Philologie an der Universität Innsbruck.

2000
wurde er dort Leiter des Instituts für Sprachen und Literatur.

2007
folgte die Wahl zum Rektor der Universität Innsbruck.

2011
wurde Töchterle als parteifreier Wissenschafts- und Forschungsminister angelobt. Seit seinem Ausscheiden im Dezember 2013 übt er ein Nationalratsmandat aus, ist Wissenschaftssprecher der ÖVP und auch wieder an die Universität Innsbruck zurückgekehrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2014)

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