Die EZB als Wirtschaftsregierung der Eurozone?

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Ökonomenstimme. Zentralbank-Chef Mario Draghi scheint die Rolle einer Wirtschaftsministers übernommen zu haben. Kann das gut gehen? Ökonom Georg Erber zweifelt.

Die französische Regierung wollte schon immer, dass es eine Wirtschaftsregierung der Eurozone geben sollte. Auch die Kanzlerin konnte sich nach einigem Zögern dafür erwärmen. Allerdings sollte nach ihren Vorstellungen dies der Europäischen Rat und nicht die EU-Kommission noch selbstverständlich die EZB sein. Es ist anders gekommen. Weil sich die Politiker auf EU-Ebene nicht einigen können, ergreift Mario Draghi jetzt die Initiative und übernimmt als EZB-Präsident quasi die Rolle einer Europäischen Wirtschaftsregierung.

Draghi als Regierungschef einer Europäischen Wirtschaftsregierung?

Indem er sich mit der EZB jetzt zuständig fühlt, wie die Tarifpolitik beispielsweise in Deutschland zu laufen habe, oder, auch wie die Haushaltspolitik der Mitgliedsländer zu gestalten sei, um Wachstum und Beschäftigung sicherzustellen, indem die öffentlichen Investitionen insbesondere in Infrastruktur erhöht werden sollen, beansprucht er implizit die Rolle des Vorsitzenden einer Wirtschaftsregierung für die Eurozone. Es ist gleichsam nach seiner Rede in Jackson Hole ein zweites what-ever-it-takes, das er der Öffentlichkeit entgegen schleudert. Offenbar hat er genug von der zögerlichen Haltung insbesondere der deutschen Bundesregierung mit ihrem Konzept der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte im Rahmen des Fiscal Compact und tiefgreifender Strukturreformen die Länder der Eurozone wieder aus der sich abzeichnenden Phase einer langanhaltenden Stagnation herauszuführen. Jetzt soll von allen Seiten geklotzt und nicht gekleckert werden. Er wirft gleichsam den Fehdehandschuh in den Ring der Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft. Ob die Tarifparteien und die Regierungen diesem Befehl Draghis folge leisten werden, wird sich zeigen müssen.

Viele Akteure, unterschiedliche Interessen und Draghi bestimmt?

Neben der exzessiven Expansion der Liquidität durch die angekündigten geldpolitischen Maßnahmen der EZB müssen eben auch alle anderen Akteure sich dem Diktat Draghis beugen. Das kann am Ende fürchterlich schiefgehen. Berechtigt zu diesem Schritt im Sinne seiner institutionellen Aufgaben ist er ja sowieso nicht. Er hat keine derartigen Weisungsbefugnisse. Mithin kann es ihm wie Shinzo Abe mit seinen mit viel Vorschusslorbeer versehenen Abenomics gehen. Man hatte dort einen schönen Plan, wie man Japan aus der Phase langanhaltender Stagnation zu mehr Wirtschaftsdynamik verhelfen wollte. Nur leider spielen die anderen Akteure dort nicht mit. Die Löhne steigen nicht wie geplant, nachdem man die Inflation durch massive Liquiditätsschöpfung nach oben getrieben hatte. Die zur Konsolidierung der Staatsfinanzen erforderlichen Steuererhöhungen haben die Wirtschaft drastisch einbrechen lassen. Man hat also in Japan mit den Abenomics hoch gepokert - und so sieht es derzeit aus – verloren.

Jetzt stellt sich die berechtigte Frage: Wiederholt sich das Spiel in Europa? Klar ist, dass man mit defizitfinanzierter staatlicher Ausgabenpolitik ein Strohfeuer beim Wirtschaftswachstum ankurbeln kann. Keynes Erkenntnis ist immer wieder in dieser Frage empirisch bestätigt worden, d.h. es ist evidenzbasierte Wirtschaftspolitik im Sinne des Neusprech der jetzt ernannten Vorsitzenden Schnitzler des Vereins für Socialpolitik. Allerdings ist das der einzig gesicherte Pfosten auf den man sich bei dem Politikdesign verlassen kann. Der Rest dürfte auf mehr als unsicheren Pfählen stehen. Dann trägt aber das ganze Kartenhaus nicht.

Mehr öffentliche Investitionen?

Der Lieblingsgedanke - mehr Geld für öffentliche Infrastrukturen - hat etliche Haken. Der erste, es müssen sinnvolle Projekte existieren, die bereits so weit vorbereitet worden sind, dass sie auch zügig umsetzbar wären, wenn nur Geld zur Verfügung stünde. Dass die Schubladen mit derartigen Projekten nicht gerade bei den diversen Regierungen überquellen werden, sollte nicht überraschen, da man ja seit einigen Jahren Schmalhans Küchenmeister sein lässt. Bekanntlich plant man aber nur Projekte, wenn diese eine realistische Chance haben, in den dabei erforderlichen Zeitrahmen auch realisierbar zu sein. Aus dem Stand geht da nix. Ansonsten droht nur ein ziemliches Chaos mit massiver Geldverschwendung. Davon können die Deutschen nach den wilden Wendejahren ein Lied singen. Aber einem Monetaristen à la Draghi fehlt da die Sachkenntnis. Wer quasi auf Knopfdruck Milliarden oder Billionen Euro schaffen oder vernichten kann, versteht von der Trägheit der Realwirtschaft nichts. Selbst wenn man jetzt den Wünschen Draghis folgen würde, fließt immer noch viel Wasser die Spree oder die Seine oder den Tiber runter bis der erste Spatenstich erfolgt. Ohne eine solche Realisationsphase gibt es aber auch keine Beschäftigungszunahme. Wo nicht gebuddelt und betoniert wird, keine Bauarbeiter. Offen bleibt – und auch hier zeigen die Erfahrungen aus Japan aus den 1990er Jahren -, ob dann nicht unsinnige Projekte am Ende realisiert werden. Bridges to nowhere. Einen monetären Makroökonomen à la Draghi mag das nicht beeindrucken, Hauptsache die Statistik stimmt. Wenn nur die staatlichen Investitionsausgaben sofort in der VGR verbucht werden, sieht alles statisch gesehen prima aus.

Mehr private Investitionen?

Ebenso zweifelhaft ist es mit den privaten Investitionen. Die Annahme von Draghi ist doch, dass die Privaten nicht investieren, weil ihnen das Geld dazu fehlt. Sie sehen zwar Chancen auf eine effektive Nachfrage nach den durch die Investition produzierten Produkten, aber es fehlt nur das Geld, diese auch zu realisieren. Auch hier wären die Schubladen voller Pläne, die nur auf ihre Finanzierung warteten.

Die Realität sieht jedoch trüber aus. Viele Unternehmen sitzen bereits auf hohen Liquiditätsreserven – insbesondere die großen multinationalen Konzerne, aber wissen nicht, wo man diese Gelder profitabel investieren könnte. Google, Apple & Co können ein Lied davon singen. Die etablierten Märkte sind zu einem erheblichen Teil gesättigt, wenn man die effektive Nachfrage als Maßstab dafür heranzieht.

So leidet beispielsweise die europäische Automobilindustrie seit Jahren an gewaltigen Überkapazitäten. Ein Boom im Bereich der Elektromobilität ist auch nichts absehbar. Wo sollte daher in dieser Branche beispielsweise mehr Investitionen, Wachstum und Beschäftigung herkommen? Gut, man kann in neue Innovationen investieren und beispielsweise noch mehr Elektronik bis hin zum selbstfahrenden Auto entwickeln. Bevor aber nicht klar ist, was ein solches Fahrzeug am Ende kostet und es genügend Kunden gibt, die das auch bezahlen können, bleibt all das graue Theorie. Nur was mit wachsenden Absatzzahlen über Jahre auch verkauft werden kann, stimuliert entsprechende Investitionen und daran anschließend mehr Beschäftigung. Ansonsten stehen noch mehr Überkapazitäten am Markt still. Offenbar fehlt es aber derzeit an besonders innovativen Feldern, die Produkte anbieten könnten, die bereits Marktreife erlangt haben.

Selbst die vielgepriesene Energiewende, die ja einen Schub in erneuerbare Energien hätte auslösen sollen, stottert so vor sich hin. Mal kommt man mit den Stromtrassen nicht voran, mal treten unerwartete Netzschwankungen in Offshore-Windparks auf. Es rumpelt also gewaltig. Wenn aber die Technologie noch nicht die Marktreife erreicht hat, kann man als verantwortlicher Manager nicht investieren. Man muss sich hier doch in Geduld üben.

Deutliche Lohn- und Gehaltserhöhungen in Deutschland?

Eine der Lieblingsideen der monetären Konjunkturtheoretiker in der EZB ist, dass man die Kaufkraft dadurch steigern könnte, indem man mal kurz die Löhne und Gehälter drastisch anhebt. Eine, zwei oder drei Kluncker-Runden für Deutschland gewissermaßen. Das würde natürlich die Inflation im Zuge eine Lohn-Preis-Spirale in Deutschland kräftig ankurbeln. Es würde damit die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber dem Ausland unterminieren. Das wäre sicherlich für die Krisenländer einschließlich Frankreich ein Segen, aber die Arbeitsplätze wanderten dann ruckzuck von Deutschland anderswo hin. Und das soll jetzt eine nachhaltige Wachstums- und Beschäftigungspolitik sein?

Im Übrigen konkurriert ja Deutschland nicht nur mit den Unternehmen der Krisenländer, sondern weltweit. Es ist keineswegs gesagt, dass die Nachfrage- und Beschäftigungsverluste der deutschen Wirtschaft sich auch als Nachfrage- und Beschäftigungsgewinne in den anderen Ländern der Eurozone einstellen würden. Ebenso zweifelhaft ist, ob höhere deutsche Einkommen in großem Umfang in den europäischen Nachbarstaaten oder für deren Waren ausgegeben würden. Wenn nicht, dann wäre zwar die deutsche preisliche Wettbewerbsfähigkeit ruiniert, der Leistungsbilanzüberschuss schrumpfte drastisch, aber keineswegs zugunsten der anderen Mitgliedsländer der Eurozone.

Fazit

Hier wird also doch eine Menge an Irrglauben gepflegt, der sich rasch als solcher in einem Katzenjammer bei Realisierung einer solchen Wirtschaftspolitik à la Draghi einstellen würde. Die Draghinomics sind nichts weiter als eine Modellspielerei, die im Euro-Tower als Armchair-Realismus seine Geburt erfahren hat. Nur realisierbar sind sie nicht.

Wirtschaftsregierung hin oder her, die Realität muss auch zum Gedanken drängen ansonsten bleibt es eine schöne Utopie.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

Der Autor

Georg Erber (*1950) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Seine Forschungsschwerpunkte sind: Netzwerkökonomie und Marktregulierung von Netzwerkindustrien, insbesondere im Bereich der Telekommunikation; Wettbewerbspolitik im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien; Wirtschaftswachstum, Produktivität, Industriepolitik, Technologiepolitik und Innovationspolitik.

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