Ray Cokes: „Würde heute auf die Straße gehen“

Ray Cokes bei der Praesentation seiner Autobiografie Ray Cokes My Most Wanted Life in der Berlin Roc
Ray Cokes bei der Praesentation seiner Autobiografie Ray Cokes My Most Wanted Life in der Berlin Rocimago/Future Image
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Ray Cokes, der einstige Star von MTV, über Russell Brand, die neue Jugendgeneration und das Therapeutische an seiner Autobiografie.

Es gibt Leute, die kennen Ray Cokes nicht. Die sind entweder unter 30 und/oder hatten damals nur ORF. Die anderen fühlen sich von Ray Cokes schlagartig in die Neunziger versetzt, als Kurt Cobain noch am Leben und MTV Europe Teil der eigenen Jugend war. „Diese Leute brechen fast in Tränen aus, wenn sie mich treffen“, sagt Ray Cokes. „Gerade ist es in Hamburg wieder passiert. Es erinnert sie an die Zeit, als sie Teenager waren ...“

Das sind jene Leute, die, wenn sie Fernsehsender leiten, dem legendären Moderator von „MTV Most Wanted“ heute noch Jobs anbieten. Und die, damit rechnet er, nun seine Autobiografie kaufen könnten, die soeben erschienen ist. Er spricht darüber im Hotel Savoyen, im kobaltblauen Hemd, das man von ihm seit Jahrzehnten kennt. Warum immer das? „Supermanblau“, sagt Cokes. „Aber der alte Superman, der einen einfach rettet, nicht der neue, dunkle ...“ 400 Seiten hat der Brite über sein „Most Wanted Life“ geschrieben, und das, sagt er, sei sowohl aufregend als auch beängstigend. „Wie jeder habe ich nur drei oder vier Menschen, die mir wirklich nahe sind.“ Das seien aber auch jene, die sich wohl am wenigsten vorstellen können, wie sein MTV-Leben wirklich war. Seine Eltern hat er im Vorwort gewarnt, nicht weiterzulesen. Gemessen daran ist das, was folgt, harmlos. „Das Gute ist, dass mir keiner sagt, dass ich keine Drogen erwähnen darf, weil mir beeinflussbare 15-Jährige zuhören. Jetzt sind es Erwachsene.“

Einen Ghostwriter hat der 56-Jährige abgelehnt. „Ich wollte wie ich klingen. Ich wollte auch nicht nur über mein Leben mit den Stars schreiben. Es ist meine Geschichte, meine Reise.“ Als Perfektionist habe er die Aufgabe ernst genommen, sich erst einmal Bücher übers Schreiben besorgt. Als Lektorin diente seine Freundin. „Eine Herausforderung für unsere Beziehung. Normalerweise erzählt man nicht so genau, was man mit 19 gemacht hat, oder mit 30. Man filtert das. Aber ich wollte alles offenlegen.“

„Betäubt mit Apps und Handys“

Und auch wenn es nicht jede Eskapade ins Buch geschafft hat, habe das Schreiben etwas Therapeutisches gehabt. „Es war gut, dass mir klar endlich klar geworden ist, dass ich nie wieder auf MTV moderieren würde, nie wieder für ganz Europa. In Zeiten des Internets könnte ich wohl, aber ich werde nicht. Die Welt ist nicht mehr die gleiche.“ Oder das Finanzielle: „Ich habe kein Eigentum, keine Pension. Darüber habe ich früher nie nachgedacht. Was mache ich mit 65? Das Gleiche wie immer: meinen Glauben nicht verlieren.“ Oder auch die Frage, warum er sich damals, nach dem vom Management schlecht geplanten Auftritt auf der Reeperbahn, mit „Fuck you“ von MTV verabschiedet hat. „Weil ich ich bin“, sagt Cokes heute. Diese Dinge hätten ihn durchaus verfolgt. „Jetzt habe ich meinen Frieden damit gefunden.“ Selbst, wie er versichert, mit der Tatsache, dass andere bis heute mit seinem unkonventionellen Moderationsstil das große Geld verdienen, wie Stefan Raab, der ihn damals einfach auf Viva kopiert habe. „Ich sehe heute, welchen Einfluss ich gehabt habe, ohne dass ich je etwas davon hatte. Aber immerhin bin ich noch da.“ Sein Ziel: ein Besuch in Raabs Fernsehshow. Bislang kam keine Zusage. „Angeblich, weil die Deutschen keine englischsprachigen Gäste wollen, wenn man nicht George Clooney ist.“

Was wurde aus der europäischen Idee, die MTV dereinst von der politischen auf die unterhaltsame Ebene hob? „Ich weiß nicht, warum der Nationalismus plötzlich wieder da ist“, sagt Cokes. „Ich glaube, es hat damit zu tun, dass die Jungen genug von der Politik haben und dem einen Prozent, dem alles gehört. Was ich nicht verstehe, ist: Warum protestieren die Jungen nicht? Wenn ich 19 wäre, würde ich auf die Straße gehen. Wenn man zynisch ist, könnte man sagen, dass sie mit neuen Handys und Apps betäubt werden.“ Wer sein Unbehagen viel besser formulieren könne, sei Komiker Russell Brand. „Er spricht von Revolution. Er sagt Dinge, die gesagt werden müssen. Ich wäre gern in seiner Bewegung dabei.“

ZUR PERSON

Ray Cokes wurde 1958 auf der Isle of Wight geboren und begann seine Karriere als Koch. Ab 1987 arbeitete er für MTV Europe als VJ, mit „MTV Most Wanted“ und seinem neuen Moderationsstil erreichte er 60 Millionen Zuschauer. Er lebt heute in Antwerpen.
„My Most Wanted Life“
, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 400 S., 20,60 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)

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