Ein Nörgler mit Megafon und Herzls Neffe als "Presse"-Gäste

Dietmar König als Nörgler im Burgtheater
Dietmar König als Nörgler im Burgtheater(c) APA/BARBARA GINDL
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Bei der „Presse“-Gala am Freitag las Burg-Schauspieler Dietmar König aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ und Texten von Raoul Auernheimer.

In dem Riesendrama „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus, das in den Jahren von 1915 bis 1922 entstanden ist, darf der Schauspieler Dietmar König derzeit im Burgtheater von Anfang an so richtig loslegen. Als der Nörgler ist er ein Alter Ego von Kraus, er ereifert sich schon in einem kleinen Vorspiel auf dem Theater minutenlang in einem Monolog über die Kriegslüsternheit seiner Zeitgenossen, die 1914 willig in den Ersten Weltkrieg zogen, weil sie glaubten, „Serbien muss sterbien“. Aber untergegangen ist in diesen viereinhalb Jahren, die mit der Niederlage der Mittelmächte endete, unter anderem die Habsburgermonarchie.

Wahn und Widerpart

„Extraausgabee!“, heißt es vielversprechend aus dem Lautsprecher. Manchmal greift der Nörgler sogar zum Megafon, um gegen den Irrsinn mit Worten anzukämpfen. Verkörpert wird der Wahn durch einen Widerpart, den Optimisten. Den spielt in der Burg naiv grinsend Gregor Bloéb. Die gut vier Stunden lange Aufführung ist für dieses über lange Strecken prominent platzierte Duo eine Herausforderung. Kraus hat seinen Text als Lesedrama gedacht. Eine Aufführung, mutmaßte er nach der Vollendung dieses gut 800 Seiten langen Werkes, würde wohl zehn Abende füllen. Da hatte er recht.
Dem ursprünglichen Charakter des Lesens kamen „Die letzten Tage der Menschheit“ bei der Gala der „Presse“ am Freitagabend wieder nahe. Häppchenweise. Der gebürtige Hamburger Dietmar König (*1969), der dort bis 2002 ein Ensemblemitglied des Thalia Theaters war, ehe er zu den Stützen des Burgtheaters wurde, war dazu eingeladen, kurze Auszüge aus dem genialen Text von Kraus darzubieten – und die betrafen auch die „Neue Freie Presse“, wie „Die Presse“ damals hieß.

Der so humane „Presse“-Abonnent

Zum Beispiel das Gespräch zwischen einem Abonnenten der „Neuen Freien Presse“ und einem Patrioten: „Es gibt auch wirklich keinen Punkt, wo wir uns nicht unterscheiden würden von den Feinden, die ja doch ein Abschaum der Menschheit sind“, meint der Abonnent, worauf der Patriot zustimmend einstimmt: „Zum Beispiel im feinen Ton, den wir selbst gegenüber den Feinden anschlagen, die doch die größte Packasch sind auf Gottes Erdboden.“ Der Abonnent: „Und vor allem sind wir im Gegensatz zu ihnen immer human! Die ,Presse‘ zum Beispiel hat im Leitartikel sogar an die Fische und Seetiere in der Adria gedacht, dass sie jetzt gute Zeiten haben wern, weil sie so viel italienische Leichen zu fressen bekommen. Das ist doch schon wirklich die Humanität auf die Spitze getrieben, in diesen verhärteten Zeiten noch an die Fische und an die Seetiere in der Adria zu denken, wo doch sogar Menschen Hunger leiden müssen!“

Weniger bekannt als derlei Passagen aus den „Letzten Tagen“ sind die Texte des österreichischen Journalisten und Schriftstellers Raoul Auernheimer. Er war ein Neffe von Theodor Herzl und bis 1933 Redakteur der „Neuen Freien Presse“. Dietmar König las aus Feuilletontexten Auernheimers zum Ersten Weltkrieg.

Gott sei Dank „kein Heldenvolk“

Etwa einem von Jänner 1916: „Unlängst, so erzählt man, fuhr eine elegante Dame in der Elektrischen – die elegantesten Frauen entdecken jetzt die Elektrische wie Columbus Amerika entdeckte – und kam neben einem deutschen Weibe aus dem Volk zu sitzen, die ihren an die Front zurückkehrenden Mann zur Bahn begleitete. Die elegante Dame bemerkt, dass ihre Nachbarin sie ununterbrochen fixiert; schließlich fragt sie freundlich: ,Warum schauen Sie mich denn so an?‘ ,Weil Sie noch einen Muff haben‘, antwortet die Deutsche: ,Bei uns schickt jede Dame ihren Muff an die Front.‘ Das ist eben der Unterschied, wir sind kein Heldenvolk, und das ist vielleicht ein Glück, weil sonst der Krieg wohl überhaupt nicht mehr enden würde.“
Wenn Dietmar König liest, hört man den großartigen Schauspieler – vielleicht ein bisschen auch den pointierten Journalisten? Denn das wollte er auch einmal werden . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2014)

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