Marion Cotillard: "Ich bin kein Kinostar"

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Im Sozialdrama "Zwei Tage, eine Nacht" kämpft Marion Cotillard als Arbeiterin um ihren Job. Im Interview spricht sie über ihre Herkunft aus den Vororten und die Arbeit mit den Regiebrüdern Dardenne.

Sie sollen ob des Angebots der belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne Purzelbäume geschlagen haben. Was ist es, was Ihnen an ihren Filmen gefällt?

Marion Cotillard: Ich liebe ihre Filme, ich bin ein sehr, sehr großer Fan von ihnen und habe alle ihre Filme gesehen. Sie gehören zu den größten Regisseuren dieser Erde. Und das Erlebnis ging dann noch über jede Erwartung hinaus. Es war meine großartigste Erfahrung als Schauspielerin. Es ist alles, was ich jemals von einem Regisseur wollte. Oder von zwei Regisseuren. Dieses Level von Vertrauen, von Anspruch, den sie haben. Es waren die höchsten Ansprüche, die je an mich gestellt wurden. Alles, von dem ich je geträumt habe, haben sie mir gegeben.

Wie sehen ihre Ansprüche aus?

Sie haben eine Dynamik in ihrem Kopf über eine Szene. Sie gehen bis ins winzigste Detail, das ausmacht, was ihre Filme sind. Ich habe noch nie eine solche Präzision gesehen. Ich erinnere mich, an meinem dritten Tag hatte ich diese Szene, bei der ich im Bett bin. Sie wollten, dass ich in Tränen ausbreche, während ich meinen rechten Schuh anziehe. Manchmal geschah es aber kurz davor oder kurz danach, oder als ich meinen linken Schuh anzog. Sie waren süß. Es war etwa der 50. Take. Und sie meinten (flüstert): Es ist wirklich wunderschön, aber kannst du es bitte ein bisschen früher machen? Wenn du deinen rechten Schuh anziehst? Und ich habe es geliebt. Diese Ebene des Anspruchs schafft diese Energie. Manchmal habe ich an die 90 Takes aufgenommen, aber es hat mir nichts ausgemacht. Bei diesem Film haben wir dann die größte Anzahl an Takes gefeiert, die sie je gebraucht haben. Wenn sie 200 hätten haben wollen, hätte ich es gemacht. Ehrlicherweise – wenn ich ihre Filme vorher nicht gesehen hätte, hätte ich gedacht, die sind verrückt.

Wer hat Sie für Ihre Rolle als arbeitslose, depressive, aber kämpferische Sandra inspiriert?

Eines der ersten Dinge war, mich in einen Meditationszustand zu versetzen. Die ersten Gedanken, die kamen, waren meine Inspiration. Ich mache das normalerweise so. Weil ich es noch nicht schaffe, gleich, ganz ohne Gedanken, zu meditieren. Ich versuche, mich so gut wie möglich zu leeren und dann die Tür zu öffnen und zu sehen, wer da hereinkommt. Diesmal kamen zwei meiner Freunde zuerst. Ich kann sie nicht nennen, sie wissen nichts davon. Ein Mitglied meiner Familie, ein französischer Sänger. Ich bin voll mit Leuten, Musik, Bildern, und das mische ich dann.

Wie jonglieren Sie zwischen dem Glamour von Cannes, wo der Film Premiere hatte, und der Realität von Menschen wie hier?

Ich trage Make-up auf, mache meine Haare, ziehe ein schönes Kleid an und gehe auf den roten Teppich (lacht). Ich weiß, ich habe ein besonderes Leben. Ich weiß nie, was ich im nächsten Jahr machen werde. Manchmal weiß ich nicht, was ich im nächsten Monat machen werde. Ich genieße das, auch wenn es manchmal hart ist. Manchmal träume ich davon, Herrin über meinen eigenen Kalender zu sein. Aber ich bin kein Kinostar. Nein, ich halte mich nicht für einen Kinostar. Wie kann man das? Weil ich nicht von der Welt und den Menschen abgeschnitten bin, denken wohl die Dardennes-Brüder, dass ich eine Rolle wie diese spielen kann.

Im Film geht es um Solidarität – in einer Zeit, in der sich alles um Wettbewerb dreht.

Ich glaube, dass Solidarität eines der schönsten Dinge ist. In unserer Gesellschaft leben wir am selben Ort auf demselben Planeten, aber nicht zusammen. Wenn wir nicht gegeneinander leben, fürchten wir uns zumindest voreinander. Das führt dazu, dass sich Menschen nutzlos fühlen. Was ich an dem Film liebe, ist, dass er von Solidarität spricht, aber auch davon, dass die Scheiße, in der die Menschen stecken, ihnen manchmal nicht erlaubt, Solidarität zu zeigen.

Er zeigt aber auch, dass mit dem Geld auch die Ansprüche steigen.

Ja, das stimmt. Ich komme nicht aus einer wohlhabenden Familie, gar nicht. Nicht, dass ich kein Geld gehabt hätte, aber meine Eltern sind Schauspieler. Manchmal gibt es welches, manchmal nicht. Wir haben in den Pariser Vororten gewohnt, in diesen großen Gebäuden mit Menschen, die arm waren wie wir. Und ich habe Leute kennengelernt, die superreich sind. Reiche Leute haben immer Geldprobleme, viele meiner wohlhabenden Freunde reden darüber. Sie haben nie genug. Leute, die echte Geldprobleme haben, reden nicht darüber.

Steckbrief

1975 wurde Marion Cotillard in Paris geboren und spielte schon als Kind Theater.

2008 gewann sie für ihre Rolle als Edith Piaf in „La vie en rose“ den Oscar als beste Hauptdarstellerin, sowie César und Golden Globe.

In „Zwei Tage, eine Nacht“ spielt sie zum ersten Mal in einem Film von Jean-Pierre und Luc Dardenne. Der Film läuft am Montag und Mittwoch bei der Viennale und startet am Freitag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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