Von Gulaschhütte und Liebeslaube: "Man kritisiert nur, was man liebt"

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Sein erstes großes Manuskript hat er verloren. Dafür hat der deutsch-steirische Kabarettist Jörg-Martin Willnauer nun einen Graz-Roman geschrieben.

Manchmal muss jemand von außen kommen und einem die Wahrheit sagen. Und sei es nur, dass auf dem Grazer Schlossberg gar kein Schloss steht, sondern nur eine Burg, oder eher nur die Reste einer Burg. „Graz hat's schwer“, schreibt Jörg-Martin Willnauer. „Wie alle zweitgrößten Städte der Welt. Man ist größer als fast alle anderen Städte im Land, hat aber keine Aussicht auf Platz 1. Das tut weh.“ Doch Graz habe auch eine Lösung: „Man übertreibt.“

Wie Graz ist, dem hat der aus Deutschland stammende Willnauer nun in einem Roman nachgespürt. Wobei „Die Gulaschhütte“ kein klassischer Roman ist, sondern ein „Stadtroman in 50 Bildern“, die sich alle zugetragen haben. Eine der kurzen Geschichten spielt just in jenem Gastgarten, den Willnauer für das Treffen vorgeschlagen hat. Das Café Fotter ist ein inzwischen von Jungen übernommenes Kaffeehausunikat im Uni-Viertel, in einem Gründerzeithaus in der Attemsgasse, mit verwunschenem Gastgarten im Innenhof. Inklusive eines natürlichen Separees aus Liguster, das einem anderen Jörg als Liebeslaube diente. Mit diesem wurde Willnauer in städtischen Legenden gern verwechselt – später lernte er ihn dann, ausgerechnet im Fotter, kennen.

Die „Gulaschhütte“ ist dabei schon Willnauers zweiter Roman (neben Büchern wie die „Steiermark in Wort und Schild“). Sein erstes 400-Seiten-Werk, in dem er Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Epochen miteinander reden ließ, hat er vor Jahren in der nun titelgebenden Gulaschhütte beim Kaiser-Josef-Platz vergessen – nachdem er dort mit einer Kegelkugel Bier umgestoßen hatte und als „Piefke“ hinausgeflogen war. Das Manuskript tauchte nie wieder auf. „Und es ist gut, dass es weg ist.“

Erinnerungen an das Nordstern

Über Graz wollte er nun eigentlich ein kabarettistisches Programm schreiben, doch es habe für die Bühne nicht richtig funktioniert. „Aber die Geschichten sind gepurzelt“, und so wurde aus dem Programm ein Buch. „Es ist gar nicht so einfach, für einen Inhalt immer die richtige Form zu finden.“ So liest man in dem Buch, das Willnauer diese Woche auch in Wien bei Geigenbauer Marcel Richters vorstellt, nun kleine, bezeichnende Geschichten aus dem Alltag der Landeshauptstadt, die auch an einiges erinnern, das in den vergangenen Jahren verschwunden ist. Etwa das berüchtigte Café Nordstern beim Hauptplatz, in dem Schach und Billard gespielt wurden, dessen Betreten Drogendelinquenten aber aus gutem Grund gerichtlich verboten wurde. „In dem Moment, wo Spielautomaten reingekommen sind, war das Café tot“, konstatiert Willnauer. Die meistens klassischen Kaffeehäuser in Graz gibt es nicht mehr. „Inzwischen hat sich eher die Tribeka-Kultur etabliert“, also jene der gleichnamigen Grazer Coffeeshops mit durchaus gutem Kaffee, „aber ohne Ober mit Mascherl. Es ist halt eine andere Philosophie.“

Seit 30 Jahren lebt der 57-Jährige in Graz. Aufgewachsen ist er in Heidelberg, als Spross einer protestantischen Pfarrersdynastie, mit Bach, Chopin und vielen Büchern und einem immer offen stehenden Haus. Sein Klavierstudium finanzierte er sich als Barpianist im Heidelberger „Seppl“. Das anschließende Kompositionsstudium verschlug ihn schließlich in die Steiermark. Eigentlich wollte er ja nach Neuseeland, aber ein Kollege war schon in Graz, Willnauer besuchte ihn und hielt es offenbar für adäquaten Ersatz. „Die stärkste normative Kraft ist die Gewohnheit“, sagt er. „Und Graz ist ein Platz zum Leben.“

Er sei von Anfang an gut aufgenommen worden. Und zwar nicht nur von der einstigen Grazer Vermieterin, die meinte, „wir Deutschen“ müssten doch zusammenhalten. Diesbezüglich gibt er sich auch heute keinen Illusionen hin. „Es ist ziemlich klar, dass dieses liberale parlamentarische System nur ein dünner Firnis ist. Darunter liegt bei vielen die Sehnsucht nach einer autoritären Struktur. Nicht nur in Graz.“

Willnauer kennt die Menschen gut, er fährt gern mit dem Fahrrad „ins Blaue und Grüne“, und kommt dabei ins Gespräch. In Graz liebt er vor allem die Ecken, in denen es keine Autos gibt. „Die Erfindungen Auto und Stadt sind nicht kompatibel.“ 2010 wäre er für die Grünen fast in die Politik eingestiegen, er legte seine Kandidatur als Spitzenkandidat aber noch vor der Landtagswahl wieder zurück. „Es war ein ernsthafter Versuch, aber mir ist meine Vertrauensperson abhandengekommen“, erklärt er heute. „Und die Möglichkeiten der Veränderung sind gering. Es war ein bitterer Lernprozess.“

Ein wenig Kritik durchdringt auch die „Gulaschhütte“. „Kritik kommt ja aus der Zuwendung“, sagt Willnauer. „Ich lebe sehr gern hier und liebe diese Stadt. Was einem wurscht ist, kritisiert man ja nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2014)

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