Braendle: „Lesungen waren Horrortrips“

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Der Schweizer Autor Christoph Braendle lässt Burgschauspieler Texte von Schülern lesen. Und erinnert sich an seine eigenen Anfänge.

Wenn heute Abend Burgschauspieler wie Dorothee Hartinger oder Sona MacDonald auf der Bühne des Kasinos am Schwarzenbergplatz Texte von Teenagern lesen, dann darf Ursula Stenzel ein bisschen stolz sein. Sie hatte als Bezirksvorsteherin einst die Idee eines Cityfestivals. Das ist längst wieder Geschichte, aber immerhin: Der Schreibwettbewerb für Jugendliche hat überlebt.

Das hat wohl mit jenem Schweizer Schriftsteller zu tun, der die Initiative (sie nennt sich nunmehr Wiener Jugend-Literaturpreis) unterstützt. Christoph Braendle empfängt in seiner Wohnung in Karmelitermarktnähe, einem ruhigen Refugium mit innenhofseitiger Terrasse und Blick auf die Reste einer Mauer, die wahlweise dem jüdischen Ghetto oder dem ehemaligen Karmeliterkloster zugerechnet wird. „Womöglich stimmt beides“, meint Braendle.

170 Schüler haben heuer für seinen Wettbewerb Texte eingereicht. Gewonnen hat schon, wer an einem der Workshops – vier Wochen lang je zwei Nachmittage – mit Autoren wie Olga Flor, Nils Jensen oder Franzobel teilnehmen kann. Höhepunkt ist schließlich die Gala heute Abend. „Ein halbes Dutzend Texte, die sind einfach guat“, sagt er, und klingt dabei, knapp 30 Jahre nachdem er am Westbahnhof dem Zug entstiegen ist, fast ein bisschen Wienerisch.

Seine Motivation? „Junge Leute, die Freude am Schreiben haben, zu motivieren, und ihnen den oft fehlenden Respekt entgegenzubringen.“ Wichtig sei dabei die Art der Darstellung. „Kanonisierte Künstler werden von kanonisierten Künstlern dargestellt. Sie bekommen die beste Bühne, die besten Schauspieler, die besten Präsentationsmöglichkeiten. Ein Anfänger muss sich selbst präsentieren. Dadurch entsteht der Eindruck einer riesigen Differenz im Werk, die oft eine Chimäre ist.“

„Eine seltsame Karriere“

Seine Theorie hat Braendle längst überprüft. Er ließ Schüler die Werke berühmter Kaffeehausliteraten lesen, und berühmte Schauspieler die Texte der Schüler: „Das hat beim Publikum zu enormer Verwirrung geführt.“ Dass man die eigenen Texte mitunter „grottenschlecht“ vorträgt, weiß Braendle aus eigenem Erleben. „Meine Stimme hat versagt, es waren Horrortrips“, sagt er. „Ich habe lang nicht öffentlich gelesen.“ Heute kann er es gut. „Früher war ich zu locker. Ich habe gelernt, mich künstlich nervös zu machen.“ Auch schreibhandwerkliche Hilfe hatte er selbst nie. Überhaupt sei seine Karriere eine seltsame. „Ich habe früh gewusst, dass ich Schriftsteller werde, aber ich habe nie viel geschrieben.“ Eigentlich, vermutet er, wäre er wohl noch lieber Popstar oder zumindest Schauspieler geworden, „aber ich habe ein miserables Gedächtnis“. Nach unvollendetem Jusstudium in Zürich lebte er von verschiedensten Jobs. Erst mit 35 wurde ihm (dank einer Exfreundin) klar, „dass es einen inneren Zusammenhang zwischen dem Beruf des Schriftstellers und der Tätigkeit des Schreibens gibt“. Seither hat er nichts anderes gemacht; schwierig findet er es bis heute. „Vor allem, bis der erste Textkörper steht.“ Zumal ihn die Angst umtreibt, sich selbst zu wiederholen.

So entstehen sprachlich oft sehr unterschiedliche Texte; Reportagen (etwa für die „NZZ“), Romane, Theaterstücke. Zuletzt erschien, nahezu „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“, wie er trocken konstatiert, mit „Onans Kirchen“ ein Roman, an dem er „20 Jahre laboriert hat“. Angesiedelt hat er die Geschichte großteils in Afrika, und weil er für das, was er schreibt „realen Hintergrund haben muss“, ging er nach Simbabwe. Daraus entstand eine große Liebe zu Afrika, inklusive eines Bauernhauses in Marokko. Aber auch Wien kommt meist vor. „Die Wiener“ ist eine Sammlung von Reportagen über Institutionen wie das Burgtheater. „Wiener Sonaten“ beschreibt die Menschen, und bei den erotischen Geschichten des „Wiener Dekameron“ haben „die allermeisten einen wahren Kern“.

AUF EINEN BLICK

Christoph Braendle (geb. 1953) wuchs in Zug auf, studierte in Zürich und lebte u. a. in den USA, Mexiko und Deutschland, seit 1987 in Wien. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Der Wiener Jugend-Literaturpreis wird heute Abend zum dritten Mal vergeben. 170 Schüler zwischen 14 und 19 aus Wien und den Bundesländern haben Texte eingereicht, die besten wurden zu Workshops mit Autoren eingeladen. 2015 soll die Beschränkung auf Schüler fallen. Info: juli.wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2014)

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