Ich bin kein Aufdeckerjournalist: Seidls Normalität im Kino

Ulrich Seidl
Ulrich Seidl(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Totalaufnahmen sind zum Markenzeichen von Ulrich Seidls Filmen geworden. Eine Hommage an seine Bildsprache gibt es in der Galerie Ostlicht.

Es gibt wohl europaweit kaum einen Regisseur, der in seinen Filmen eine derart charakteristische Bildsprache kreiert hat wie Ulrich Seidl. Die „Seidl-Totale“ ist zu einer Marke geworden. Sogar die Medienwelt haben seine berühmten Totalaufnahmen geprägt. Von einem „Bild wie aus einem Ulrich-Seidl-Film“ ist oft die Rede, wenn es um Fotos von Personen geht, die aus der Ferne und mit viel Umgebung aufgenommen werden.

„Wie kommt es eigentlich, dass es in Ihren Filmen nie Nahaufnahmen gibt?“, wollte einst auch Armin Wolf in einem „ZiB2“-Interview von Seidl wissen. „Ich zeige meine Protagonisten eben gern in dem Umfeld, in dem sie sich gerade befinden“, antwortete der 62-Jährige. „Ich mache das ja nicht aus einem Kalkül heraus, sondern intuitiv“, präzisiert er nun im „Presse“-Gespräch. „Ich hatte nie das Bedürfnis, meine totalen Einstellungen mit Großaufnahmen zu unterbrechen. Dadurch überlasse ich es dem Zuschauer, sich ein Bild von der Szene zu machen. Denn um einem Menschen näherzukommen und intime Emotionen zu zeigen, braucht es keine Nahaufnahmen.“

Eigenständige Kunstwerke

Eine Hommage an diese Bildsprache gibt es bis 14. Februar in der Ausstellung „Stills 1998–2014“ der Galerie Ostlicht zu sehen. Und obwohl es sich dabei „nur“ um Standbilder handelt, gleichen die Tableaus eigenständigen Kunstwerken. Begrüßt wird der Besucher im Eingangsbereich von rund einem Dutzend Bildern aus der „Paradies“-Trilogie. Der Hauptraum widmet sich Seidls jüngstem Streich „Im Keller“. Dem Film ist auch ein von Claus Philipp und Astrid Wolfig herausgegebenes Buch gewidmet, das vergangene Woche anlässlich der Ausstellungseröffnung präsentiert wurde.

„Ulrich Seidl ist als Filmemacher ein Fotograf“, sagt Ostlicht-Gründer Peter Coeln, der die Ausstellung konzipiert und die Filmstills ausgewählt hat. Die Schau ermöglicht nicht nur ein bedächtiges Wandeln durch 16Jahre Seidl-Filmgeschichte, sondern bietet auch neue Blickwinkel. „Beim Film handelt es sich um flüchtiges Schauen“, so Seidl. „Ein Bild kann man so lange betrachten, wie man will. Es hängt da ohne Zusammenhang und entwickelt dadurch eine ganz andere Bedeutung.“

Dass Seidl bei all der Intimität in der Darstellung seiner Protagonisten als junger Fotograf laut eigenen Angaben an der „Nähe zu den Menschen“ gescheitert ist, erklärt er so: „In der Reportagefotografie muss man die Leute überraschen, das habe ich nicht geschafft.“ Bei seinen Filmen, in denen er den Menschen bekannterweise auch sehr nahekommt, sei das anders. „Meine Filme haben eine lange Vorbereitungszeit, ich gehe ja nicht mit einem Kamerateam in einen Privatraum und beginne zu filmen“, sagt Seidl auch in Hinblick auf die Szenen im „Nazi-Keller“. „In meinen Filmen stelle ich etwas nach, was ich vorher erlebt habe.“

Dass gegen den Besitzer des Kellers die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hat, „ist mir nicht recht und war nie meine Absicht“, betont Seidl. „Ich bin kein Aufdeckerjournalist, und meiner Meinung nach handelt es sich dabei auch um keinen strafbaren Tatbestand. Es geht viel mehr um das Normale. Für diese Menschen ist es normal, unter einem Hitler-Bild zu singen. Das ist in diesem Ort auch bekannt.“ Aber so funktionierten die Medien nun einmal, die „undifferenziert und skandalisierend“ berichtet hätten. „Man pickt ein paar Leute heraus, bezeichnet sie als Nazis, und die Welt ist wieder in Ordnung.“

Neuer Film über den „Grasel“

Derzeit sucht Seidl Schauplätze für sein neues Projekt – einen historischen Film über den im Waldviertel legendären Räuber Johann Georg Grasel. „Der Grasel, wie man ihn nannte, war eine Art Robin-Hood-Figur. Aber das stimmte nicht, er war ein Dieb und Totschläger, den man in einer Zeit der Rechtlosen, in der Ära der Napoleonischen Kriege, lange nicht fassen konnte“, erzählt Seidl. „In die Gegenwart übersetzt wäre es die Geschichte von jungen Menschen, die man als kriminell bezeichnen würde – obwohl Kriminalität der einzige Weg wäre, um ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen.“

AUF EINEN BLICK

„Stills 1998–2014“. Bis 14. Februar werden in der Galerie Ostlicht Bilder aus Ulrich Seidls Filmen gezeigt. Angereichert sind die Bilder, die wie professionelle Set-Fotografien wirken, mit Zitaten aus den Filmen oder des Regisseurs selbst. „Beim Film handelt es sich um flüchtiges Schauen“, sagt Seidl. „Ein Bild hingegen kann man so lange betrachten, wie man will. Es hängt da ohne Zusammenhang und entwickelt dadurch eine andere Bedeutung.“ Für 1900 bis 3500 Euro kann man die in kleiner Auflage vorhandenen Prints auch kaufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2014)

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