Salongespräch: Das Digitale und der Tod der Dinge

(c) Christine Pichler
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Verändert sich das Verhältnis der Menschen zu den Gegenständen, die sie umgeben? Eine Suche nach Antworten im Rahmen eines Salongesprächs.

Vor Weihnachten wird so erbittert Jagd auf sie gemacht wie kaum je während des restlichen Jahres: Die schönen Dinge, die als Geschenke herhalten sollen, sind heiß begehrt. Bevor sie also während der Feiertage reihenweise ihre Besitzer wechseln, lud das „Schaufenster“ aus diesem Anlass ausgewiesene Experten zu einem Salongespräch: Alison Clarke, Designtheoretikerin und Professorin an der Universität für Angewandte Kunst, Sabine Haag, Direktorin des Kunsthistorischen Museums, und Florian Kaps, Gründer eines Delikatessenladens für Analoges namens Supersense, begaben sich auf auf Expedition in ausgesuchte Dingwelten.

Je mehr man sich mit den Dingen beschäftigt und sie herzeigt, weil es etwa Teil des Berufs ist, desto weniger will man sie im Konkreten besitzen – zumindest beobachte ich das an mir selbst. Und angesichts der Tatsache, dass, zum Beispiel im Internet, immer mehr Bilder von Dingen als digitale oder „soziale“ Objekte kursieren, stellt sich meines Erachtens die Frage: Verändert sich unser Verhältnis zu den Dingen, und wenn ja, wie?

Alison Clarke: Auf jeden Fall tut es das. Das Analoge wird sperrig, der Materialität wohnt fast unweigerlich ein Retro-Touch inne. Auch unsere Wohnungen werden zusehends deanalogisiert, oder wie immer man das nennen soll. Dazu kommt die Tatsache, dass das Entfernen von Gerümpel, die sogenannte „Life Laundry“ als etwas besonders Heilsames dargestellt wird. Auch die Parallele zwischen der zunehmenden Digitalisierung in einer Welt des Überflusses und der abnehmenden Bedeutung von Zeug, „Stuff“, ist interessant. Der Tod der Dinge und die Zunahme des Digitalen gehen Hand in Hand, ohne dass das eine notwendigerweise zum anderen geführt hat.

Sabine Haag: Ohne physische Objekte gäbe es ja kein Museum, aber auch für unsere Besucher spielen digitalisierte Gegenstände eine Rolle: Bevor sie zu uns kommen und im Zuge der Nachbereitung. Für uns sind also beide Dimensionen wichtig, die analoge und die digitale – je nachdem, an welche Generation von Besuchern wir uns wenden wollen, das kommt auch noch dazu. Aber als Ort, den die Menschen besuchen wollen, macht unser Museum ganz klar sein Angebot als Haus, in dem reale Objekte verwahrt werden.

Florian Kaps: Ich tue mir schwer damit, wenn man Analogem einen Retro-Charakter beimisst. Der Mensch ist ja dreidimensional, also ist es auch die Welt, in der er lebt. Das Digitale ist ein Trend, das Physische ist das Bleibende. Abgesehen davon hätte der Retro-Welt nichts Besseres passieren können als das Auftauchen des Digitalen. Gerade die neue, sogenannte „digitale“ Generation ist ja besonders hungrig nach Analogem, nach echten Sinneserfahrungen. Diese jungen Leute zieht es genauso ins Museum wie in den Raum, den ich hier geschaffen habe. Die digitale Welt hat ihre ganz klare Grenze, und das ist die Fläche des Bildschirms, die sie nicht überwinden kann.

(c) Christine Pichler

Haag: In den letzten Jahren hat sich vieles verändert: Die digitale Welt war nur anfangs etwas Neues und für viele Unzugängliches. Heute hat fast jeder Zugang zu ihr. Also ist auch das digitale Objekt nicht mehr so begehrenswert, wie es einmal war, sondern etwas ganz Normales, und das macht den Blick auch wieder frei für die analoge Dingwelt.



Ein wenig erinnert die Gegenüberstellung von digitalen und realen Objekten an die Diskussionen, die es im 19. Jahrhundert anlässlich der Industrialisierung gab: Damals ging es um präindustrielle, hochwertige Objekte und derivative Gegenstände aus Massenproduktion.

Clarke: Man muss nicht einmal so weit zurückgehen. Noch in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts hat es mit den Vertretern der „radikal“ genannten italienischen Design-Avantgarde und Superstudio eine Debatte über den Tod der Dinge gegeben bzw. ihren Nutzen und eigentlichen Sinn. In den von der Gruppe „Global Tools“ Mitte der Siebzigerjahre organisierten Debatten ging es etwa um Herstellungsprozesse und die gerade erwähnte Beziehung der Dinge zur Körperlichkeit von Menschen. Die Gegenüberstellung analog vs. digital greift zu kurz. Vielmehr muss man die vielfältigen Überlappungen und Überblendungen denken, die sich aus dem Zusammenspiel ergeben. Das Digitale schiebt sich nicht zwischen die Menschen und die Dinge, um sie voneinander zu trennen. 

Man braucht allerdings keine realen Gegenstände mehr, um sie zu Hause in einen Setzkasten oder in eine Vitrine zu stellen, wo sie als Inkarnation des persönlichen Geschmacks fungieren und den Besitzer für andere durch seine Auswahl von Lieblingsdingen verständlich, begreifbar machen.

Clarke: Und doch denke ich, dass kuratorisches Verhalten in Zukunft wichtiger werden wird. Schon deshalb, weil man mit dreidimensionalen Gegenständen eine andere Beziehung unterhält als mit digitalisierten: Sie fühlen sich sperrig an, überdimensioniert, schwierig zu verstauen. Gut geführte Archive werden wichtiger, gerade weil sie immer schwieriger zu befüllen sind und die authentischen Dinge verschwinden.

Haag: Ich sehe das ähnlich. Einerseits wird uns wieder klarer, wie wichtig es ist, Objekte aufzubewahren und zu archivieren. Andererseits betrifft das natürlich in erster Linie Gegenstände von hoher Qualität, Gegenstände, die es wert sind, aufbewahrt zu werden. Und das schärft wiederum unseren Blick für Objekte aus früherer Zeit, die wir als bewahrenswert und wertvoll empfinden. Über einen Umweg kommt das natürlich einem Museum zugute, in dem genau solche Gegenstände aufbewahrt und ausgestellt werden. 

Für Besucher, die vielleicht von einer überfrachteten Welt überfordert sind, ist ein Museum natürlich auch etwas sehr Entspannendes: Die ausgestellten Objekte, so schön sie auch sein mögen, wollen gar nicht besessen werden. Die Frage des Habenwollens stellt sich erst gar nicht.

Haag: Zugleich hat sich auch die Rolle des Museums komplett gewandelt. In Österreich sind wir vielleicht ein bisschen später dran als etwa in England, aber auch hier herrscht seit geraumer Zeit Bewusstsein dafür, dass ein Museum nicht für Eliten gemacht ist, sondern so offen wie möglich sein soll. Wir teilen unsere Objekte mit den Besuchern – aber auch das Wissen über diese Exponate.

Kaps: Der Aspekt des Archivierens ist auch für meine Arbeit wichtig, seit ich mit dem „Impossible Project“ und Filmen für Polaroid-Kameras angefangen habe. Gerade die Fotografie ist ja betroffen, es gibt einen immensen Bilderschwund. Von Jahr zu Jahr werden weniger Bilder entwickelt, zugleich gehen die meisten digital verwahrten Fotografien verloren und damit auch viele Erinnerungen. Die Menschen sind sich dessen aber zunehmend bewusst und beginnen gerade darum, reale Objekte zu sammeln und zu archivieren – auch, um eine Spur zu hinterlassen, zur Erzählbarkeit der eigenen Geschichte beizutragen.

(c) Christine Pichler

Clarke: Eine Frage, die sich in dem Zusammenhang stellt, betrifft auch die Archivare in den Familien. Das war ja eine stark gegenderte Aufgabe, oft haben sich die Frauen um diesen Aspekt gekümmert. Mit der zunehmenden Digitalisierung wird das Thema komplexer, oft werden Experten von außerhalb zugezogen, die Betreuung des Familienarchivs wird ausgelagert. Außerdem war es eine der großen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, dass Geschichtsschreibung nicht mehr nur basierend auf den von Eliten verwahrten Informationen und Objekten stattgefunden hat, sondern eben auch Alltagskultur aller Schichten einbezogen wurde.



Wie würden Sie die Motivation der Menschen, die in Ihren „analogen Delikatessenladen“ kommen, beschreiben?

Kaps: Am meisten beeindrucken mich derzeit die jungen Leute, die ein unheimliches Vorwissen mitbringen. Dieses haben sie sich im Internet angeeignet, und nun suchen sie nach der komplementären Erfahrung. Sie wollen sozusagen Hand anlegen und eine Platte aufnehmen oder ein Dokument mit der Letterpress drucken. Das erinnert mich an meine Kinder, als ich sie zum ersten Mal vor eine Schreibmaschine gesetzt habe und sie überhaupt nicht wussten, was sie damit anfangen sollten. Am Anfang haben sie es irrsinnig mühsam gefunden, die Tasten drücken zu müssen und nichts ausbessern zu können, aber es hat ihnen dann auch sehr gefallen. Was ich hier tue, mit Supersense, ist ähnlich: Den Menschen ermöglichen, die analoge Seite zu erfahren, um das Digitale besser verstehen zu können.

Haag: Mir fällt auf, dass gerade junge Leute oft wissen wollen, wie etwas gemacht wird, wie Dinge entstehen, was hinter den Kulissen passiert. In unseren Ausstellungen geht es natürlich in erster Linie um die gezeigten Exponate, aber wir versuchen auch immer, passende Zusatzangebote für die Vermittlung der Inhalte anzubieten. Gespräche mit unseren Restauratoren und Konservatoren sind da besonders beliebt.

Der Film „Das große Museum“ war in der Hinsicht ja auch für Kinobesucher beeindruckend.
Haag: Und ich bin auch darum wirklich froh über den Film. Zumeist sehen die Menschen, die ins Museum kommen, ja nur die Exponate, wie wir sie herzeigen möchten. Wie viel es an Anstrengung und Arbeit braucht, um sie in diesem Zustand zu erhalten, ist nach außen hin nicht sichtbar – die Welt hinter den Dingen. Und auch über unser Gespräch heute bin ich froh, weil es unter anderem die Frage beantworten kann, wofür man auch Museen braucht: Um die Menschen zu den Dingen zu bringen und umgekehrt.

Clarke: Die Rolle von Museen verändert sich ebenso wie der Charakter anderer Phänomene, die mit der Digitalisierung einhergehen. Das größte digitale Objektarchiv der Menschheit ist zum Beispiel heute mit Abstand eBay. Aber auch die Einzelbeziehung Mensch–Gegenstand verändert sich, nämlich wegen der verschwindenden Fertigkeit des Herstellens: Auch Programmieren ist in gewisser Weise so eine Fähigkeit, aber nur die wenigsten sind dazu imstande, und das entfernt uns von vielen der smarten Gegenstände, die wir benutzen, und nimmt ihnen etwas von ihrer politischen Tragweite. 

(c) Christine Pichler



Ich würde mich gern noch ein wenig über das Schenken unterhalten, die Weitergabe ausgesuchter Dinge. Wie ist das etwa mit einem Museumsshop: Ist er wichtiger Bestandteil der strategischen Planung, gehört ein gut sortierter Shop zum Gesamtangebot?

Haag: Auf jeden Fall. Der Shop ist ja die Anlaufstelle für Menschen, die etwas aus dem Museum mitnehmen wollen, und sei es nur die Postkarte eines Kunstwerks, das ihnen gefällt. Im Idealfall entspricht das Profil des Museumsshops jenem des Hauses, und beide öffnen sich gleichermaßen dem interessierten Publikum. Ich bin aber übrigens auch eine große Verfechterin der Idee, dass Besucher selbst fotografieren dürfen und so Bilder aus dem Museum mit nach Hause nehmen, sie in sozialen Netzwerken mit ihren Freunden teilen.

Kaps: Manche Museumsshops sind so gut, dass man sie auch aufsucht, ohne dass man das Museum betritt. Der MoMA-Shop in New York ist wahrscheinlich für das Ausstellungshaus eine Geldmaschine. Umgekehrt werde ich manchmal gefragt, was ich hier mache, ob ich ein Geschäft sein will oder ein Museum, vielleicht weil so viele alte Gegenstände hier sind, dass es wie angestaubt wirkt.

Clarke: Geschenke an sich, um darauf zurückzukommen, haben meiner Meinung nach gerade nicht die einfachste Zeit. Lange hat es in der Wohlstandsgesellschaft so ausgesehen, als würden sich das Geschenk und der Gebrauchsgegenstand unversöhnlich gegenüberstehen, weil ein Geschenk etwas Luxuriöses, Zweckentbundenes sein sollte. Heute sieht es fast so aus, als hätten die beiden Rollen getauscht. Etwas zu schenken, bedeutet ja auch eine Verpflichtung dem anderen gegenüber: Man besiegelt damit eine Beziehung. Um diese Verpflichtung so gering wie möglich zu halten oder es sich nicht schlimmstenfalls durch ein unpassendes Geschenk mit dem anderen zu verderben, bewegen sich die meisten heute lieber auf der sicheren Seite: Es ist eine schwierige Zeit für den großen, extravagant geformten Keramiktopf, wenn man das so sagen kann.

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