Leiden einer übersättigten Gesellschaft

Reiswaffeln
Reiswaffeln(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Über Reiswaffeln als Markenzeichen der modernen Stadtneurotikerin: Journalistin Martina Salomon hat eine bissige Streitschrift gegen die Angst vor dem Essen geschrieben.

Wien. Ihr sei bewusst, dass sie damit die Hälfte ihrer allerbesten Freundinnen, ein paar Freunde und ihre Geschwister vor den Kopf stoße, schreibt Martina Salomon in ihrer Einleitung. Das Risiko war es ihr offenbar wert. Es sei Zeit, „Unsinn als solchen zu benennen, Mythen zu entzaubern und Geschäftemacherei mit Humbug zu enttarnen.“

In ihrer Streitschrift mit dem Titel „Iss oder stirb (nicht)!“ zieht die ehemalige „Presse“-Innenpolitikchefin und stellvertretende Chefredakteurin des „Kurier“ gegen die moderne Obsession für die eigene Ernährung zu Felde. „Essensverzicht“, schreibt Salomon, „ist sexy und gilt als neuer Lustfaktor einer Gesellschaft, die noch nie Hunger leiden musste.“ Da werde die Reiswaffel zum „globalen Markenzeichen lässiger Stadtneurotikerinnen“ und für jedes Bauchgrimmen eine Verschwörungstheorie serviert, Gluten zum Bösewicht und der Handel mit Produkten, die es (oft ohnehin) nicht enthalten, zum einträglichen Geschäft mit oft gesunden Kunden. Essen werde zur Weltanschauung, meint Salomon, und dabei unnötig pathologisiert.

Basierend auf Gesprächen mit Experten beschäftigt sie sich mit „Ernährungsmythen“ (Schlacken, Vitaminpillen, fettreduzierte Produkte) und hält fest: „Erst Chemie und Technik haben die Quantität der Ernte und die Qualität der Lebensmittel gesichert.“ Die wahren Gefahren, so Salomon, lägen anderswo. Österreich verzeichnet etwa den zweithöchsten Pro-Kopf-Alkoholkonsum aller OECD-Staaten. „Würden wir Alkohol so kritisch betrachten wie so manchen ,künstlich‘ zugesetzten Stoff, müsste man Alkohol von heute auf morgen verbieten.“ Nur einen einzigen Expertenrat höre man viel zu selten: „Legen Sie die neurotische Essensfixierung ab und vergessen Sie alle Ratschläge.“ (tes)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2014)

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