Dichten über das Jungelternsein

Der Tiroler Poetry-Slammer Stefan Abermann arbeitet in seinen "Texten für den Hausgebrauch" sehr satirisch sein Leben mit Kind auf. Wiedererkennungswert: hoch.

Schwer verkatert steht er mit anderen Eltern und Babys im Wasser beim Babyschwimmen, und alle singen „Leis, leis, leis, wir machen einen Kreis.“ Er hat jetzt ein Kind, einen praktischen Kugelgrill und ertappt sich dabei, seinen Sohn mit „Pfui, das ist gaga“ vom Verspeisen einer Nacktschnecke abzuhalten. Und früher einmal hat eine Online-Partnerbörse eine Frau für ihn ausgespuckt, mit der er 91 Matchingpunkte hatte. Beim Treffen im echten Leben hat er dann aber, das Leben ist bitter, nur die „restlichen neun“ Punkte kennen gelernt.

Nein, man beneidet ihn nicht unbedingt, diesen Stefan Abermann, den man bei der Lektüre des Buches „Schatzkästlein des reinlichen Hausfreundes“ in kurzen Episoden beim Bewältigen des Alltags beobachten darf. Aber man weiß genau, wie es Abermanns Alter Ego in den Texten geht, weil man das alles nur zu gut kennt: das Leiden, wenn man Handwerker im Haus hat, die große Lüge, die man sich erzählt, wenn man „nur auf ein Bier“ geht. Oder den Wettkampf, den man sich mit anderen Jungeltern liefert, auch wenn man das gar nicht will („Wie, eure spricht immer noch nicht?“) „Das gehört zu den schlimmsten Erfahrungen als Eltern“, erzählt Abermann. „Man ist ein aufgeklärter Mensch, macht sich so seine Gedanken, und dann macht man Dinge wie alle anderen Eltern, die man nie tun wollte.“ Sein Kind mit den anderen vergleichen etwa: Wieso kann meiner das noch nicht? Ist etwas falsch? „Diese Wettkämpfe passieren aus einer sehr verwundbaren Situation heraus“, sagt er. „Man hat Angst um sein Kind, Angst, dass man etwas falsch machen könnte.“

Genau deswegen, glaubt der Tiroler, gebe es auch so viele Elternratgeber, denn als „Jungeltern ist man in einer Phase des Lebens, in der man sehr verwundbar ist, da lassen sich viele gern etwas einflüstern.“ Er hält von solchen Ratgebern wenig, oder, wie er es im Buch formuliert: „Wir sind nicht für das Cover des Elternratgebers geboren.“ Genau als das, als Ratgeber, will er sein „Schatzkästlein“ auch nicht verstanden wissen, obwohl der Untertitel „Texte für den Hausgebrauch“ einen anderen Eindruck erwecken mag. Tatsächlich findet man darin keinerlei Ratschläge, keine Tipps, keine Anleitung, wie man das Leben mit Kind pädagogisch wertvoll und nervenschonend meistern kann.

Auch wenn Abermann über Facebook, „Shades of Grey“ und andere Phänomene unserer Zeit schreibt: Wiederfinden werden sich gerade Eltern kleiner Kinder in jenen (zeitlosen) Texten der Sammlung, in denen der Ich-Erzähler versucht, in seine Rolle als Elternteil hineinzuwachsen. Eine fixe Zielgruppe hatte er eigentlich nicht, sagt der Tiroler Abermann, Jahrgang 1983. „Aber es kristallisiert sich heraus, dass sich die Generation der Thirtysomethings, die gerade Kinder bekommen hat, in den Texten wiedererkennt.“ Er freue sich, „wenn ein Lacher oder ein Grinsen bei den Lesern rausschaut“.

Seelentröster sind viele der Texte vielleicht, weil man merkt: Man ist nicht allein mit dem neuen Leben, in dem alles auf den Kopf gestellt wird, sobald man ein Kind hat. Womit man aber während der Schwangerschaft nicht gerechnet hat, „wenn die Vorstellung alles mit Weichspüler wäscht und die Windeln deiner Zukunft noch unverbraucht sind und rein“, wie Abermann, dessen Sohn mittlerweile zweieinhalb Jahre alt ist, schreibt.

Entstanden sind die (kurzen) Texte für Poetry-Slams, Abermann zählt zu den bekanntesten Poetry-Slammern Österreichs. Für das Buch hat er einige Texte leicht überarbeitet. Dass die Texte bei Performances vorgetragen wurden, merkt man ihnen an: Pointenreich steuern sie auf einen Höhepunkt zu, dazwischen bleiben kurze Verschnaufpausen, um zu lachen oder nachzudenken. Satirisch sind sie fast durchwegs, heillos überzeichnet, ins Absurde überspitzt zwischendurch auch, und trotzdem großteils richtig nahe an der Realität. In vielen Fällen eben: jener mit Kind.

„Es ändert sich ja wirklich alles, wenn man ein Kind hat“, sagt Abermann. Weihnachten zum Beispiel. „Das feiern wir heuer zum ersten Mal als Kernfamilie als klassisches Familienfest, das ist ein richtiger Umbruch.“ Auch die Geschenke ändern sich, wenn man Eltern geworden ist: „Man bekommt jetzt lauter Dinge, die man gut brauchen kann. Lesezeichen zum Beispiel.“

Nichts gehört einem mehr. Die eigene Existenz „löst sich auf“, sagt Abermann. „Man kommt auf Fotos nicht mehr vor. Schaut man sich Fotoalben an, ist man auf keinem einzigen mehr drauf. Da findet man nur noch Fotos vom Nachwuchs.“ Auch in der Wohnung „gehört einem auf einmal nichts mehr. Der ganze Raum verteilt sich anders, die Zeit verteilt sich anders. Es gibt immer jemanden, der deine Zeit einfordert.“

Vermisst er etwas am alten Leben? Nein, sagt Abermann. „Es verändert sich zwar alles, aber bei all der Anstrengung macht es wirklich Spaß. Ich mache mir also keine Gedanken darüber, was ich in der Zeit alles verpasst haben könnte.“ Trotz des Kindes ist Abermann viel gebuchter Poetry-Slammer, der vor rund sieben Jahren auch die Innsbrucker Lesebühne „Text ohne Reiter“ mitgegründet hat. Auch mit der Bäckerei, in der dereinst die ersten Poetry-Slams Österreichs stattgefunden haben (mittlerweile ist die Szene österreichweit gewachsen), ist Abermann nach wie vor eng verbunden.

Aufgegeben hat er sein altes Leben also nicht, Kind hin oder her. Ist nicht nur „Höhlenmensch mit Spießerattitüde“, der sich von einem „kleinen Hosenscheißer, der noch nicht einmal sitzen kann“, besiegen lässt.

Die schlimmste Frage zum Schluss: Was macht Stefan Abermann eigentlich zu Silvester? „Vielleicht“, sagt er, „lade ich alle Freunde, die gerade Kinder bekommen haben und nicht wissen, wo sie feiern sollen, ein. Zu einem Silvester der Ausgestoßenen.“

Stefan Abermann „Schatzkästlein des reinlichen Hausfreundes“. Milena Verlag, 212 Seiten, 12,99 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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