Fritz Jergitsch: "Ich will auf keiner al-Qaida-Liste landen"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Hinter der Satire-Website »Die Tagespresse« steht der 23-jährige Fritz Jergitsch. Weshalb man sich radikalen Islamisten nicht beugen dürfe, er selbst aber trotzdem lieber auf allzu viel Provokation verzichte, sagte er der »Presse am Sonntag«.

Herr Jergitsch, Sie betreiben – sehr erfolgreich – die satirische Website „Die Tagespresse“. Wie war Ihre erste Reaktion, als Sie am Mittwoch von dem Attentat auf die Mitarbeiter der Redaktion der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ hörten?

Friedrich Jergitsch: Ich war gerade – wie jeden Vormittag – bei meiner Medienlektüre, als ich die Schlagzeilen erstmals las. Man ist natürlich immer von Terroranschlägen schockiert, aber wenn man hört, dass Kollegen die Opfer sind, bohrt sich der Stachel der Betroffenheit besonders tief ins Fleisch.

Gab es neben der Betroffenheit auch das Gefühl der Angst?

Ich bin schon ins Nachdenken gekommen, ob das nicht auch mir passieren könnte. Im ersten Schock reagiert man immer emotionaler. Aber nüchtern betrachtet, sehe ich mich in keiner Gefahr, weil der „Tagespresse“ noch nie mit Anschlägen gedroht worden ist, von Islamisten nicht und auch von sonst niemandem. Ein Grund dafür ist, dass wir uns nicht als sehr provokantes Satire-Magazin betrachten. Reine Provokation ist nicht unser Stil, wir regen sicher niemanden so auf wie „Charlie Hebdo“.

Kannten Sie die Zeitung zuvor?

Natürlich hat mir der Name etwas gesagt. Ich wusste, dass sie mit ihren Mohammed-Karikaturen diverse Skandale verursacht haben. Aber das Magazin an sich habe ich zuvor nicht näher verfolgt.


Spätestens am Mittwoch werden Sie sich dessen Karikaturen aber angesehen haben?

Ja, das habe ich. Die Bilder, die ich gesehen habe, waren schon sehr provokativ. Premier François Hollande nur mit nacktem Zipfi darzustellen, ist schon sehr provokant. Aber natürlich kann diese Form der Darstellung ihre Daseinsberechtigung haben. Mein Stil ist sie nicht. Aber eines ist klar: Keine Karikatur der Welt, keine Satire rechtfertigt das, was am Mittwoch passiert ist. Wenn die Zielperson eines Witzes den Witz nicht vertragen kann, ist das das Problem dieser Person, nicht das des Satirikers. Das schockiert mich ja auch so sehr an diesem Anschlag, dass einer Redaktion, die nur zum Nachdenken und Lachen anregen wollte, so etwas Unfassbares widerfährt.

Sie sagen, Ihnen geht es weniger darum zu provozieren. Was wollen Sie bewirken?

Ich will die Menschen, die in der U-Bahn, in der Arbeit oder im Vorlesungssaal meine Artikel lesen, unterhalten und zum Lachen bringen. Und natürlich habe ich die Ambition, die Leute zum Nachdenken anzuregen.


Wenn Sie gar nicht provozieren wollen, wie unterscheiden Sie sich dann von einem Komiker?

Ich sehe zwischen Komik und Satire sehr viele Gemeinsamkeiten. Bei Satiren geht es allerdings auch um den Spott. Und Spott ist eine Form der Kritik. Man pickt sich die Missstände heraus, übertreibt sie und macht sie damit sichtbar. Übertreibung ist ein extrem mächtiges Werkzeug und sehr effektiv, um Kritik zu äußern. Die Kunst dabei liegt darin, zu übertreiben, aber dennoch im Bereich des Plausiblen zu bleiben. Der Leser sollte sich bei der Lektüre denken: Das ist absurd, aber es würde mich gar nicht wundern, wenn das, was da steht, wirklich passiert.

Morddrohungen gehörten zum Alltag von Stéphane Charbonnier, dem Herausgeber von „Charlie Hebdo“. Er ließ sich dennoch nicht einschüchtern. Lieber wolle er aufrecht sterben als auf Knien leben, so seine Worte.

Diesen Idealismus bewundere ich. Ich finde es großartig, dass es Satiriker gibt, die sich um nichts scheren und ans Äußerste gehen, obwohl sie in Gefahr sind. Ein Teil in mir denkt sich: So müsstest du auch sein. Aber in dieser Lage bin ich nicht, so idealistisch sein zu müssen. Ich verfolge ja andere Ziele mit meiner Satire als die Provokation.

Klammern Sie bewusst bestimmte Themenbereiche bei Ihren Artikeln aus?

Nein, das tue ich nicht. Ich habe über die katholische Kirche und auch über den Islam geschrieben. Das würde ich auch wieder tun, solange der Unterhaltungswert gegeben ist (Macht eine Pause). Wobei – eines würde ich wohl nicht tun: den Propheten abbilden. Das ist ja das, was die Muslime immer so aufregt. Sein Gesicht würde ich also eher nicht zeigen.

Aus Respekt vor religiösen Empfindungen der Muslime oder aus Angst vor möglichen Reaktionen?

Aus Angst vor den Reaktionen! Dabei würde ich keinen Moment zögern, etwas zu veröffentlichen, was Katholiken beleidigen würde.

Das ist aber interessant.

Das ist ganz einfach. Der dänische Redakteur Flemming Rose ließ 2005 die Zeichnungen in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ drucken. Seitdem wurden auf ihn sieben Anschläge verübt. Es ist auch irgendein Verrückter mit einer Axt in sein Haus eingedrungen. Mittlerweile hat er einen eigenen „Safe Room“ (Anm.: Sicherheitstrakt, der von innen so verschließbar ist, dass von außen niemand eindringen kann). Auf so etwas habe ich keine Lust! Ich bin 23 Jahre alt. Ich will nicht auf einer „Most Wanted“-Liste von al-Qaida landen.

Dabei wissen wir, dass nur ein kleiner Teil der Muslime fanatisch und gewaltbereit ist.

Ja, man darf nicht generalisieren. Natürlich sind das keine normalen Muslime, die bei diesem dänischen Redakteur eingedrungen sind. Das sind Fanatiker, völlig durchgeknallte Radikale, die einen sehr, sehr kleinen Anteil ausmachen. Dennoch finde ich es genau das Falsche, wenn nun nach den Attentaten Vertreter der islamischen Glaubensgemeinschaft sagen: „Diese Leute haben nichts mit dem Islam zu tun! Diese Menschen machen sich nur den Islam zunutze, um ihre Aggressionen zu kanalisieren.“ Es ist schon ein Problem des Islam! Es ist ein Problem, das nur einen sehr kleinen Teil der Muslime betrifft. Aber man muss anerkennen, dass es diese kleine, laute, extrem radikale Strömung innerhalb des Islam gibt und sie ein Riesenproblem für die westliche Gesellschaft darstellt. Das ist einfach so.

Apropos Reaktionen: Manche Zeitungen haben sich dazu entschlossen, nach dem Anschlag Karikaturen von „Charlie Hebdo“ auf ihren Titelseiten zu bringen. Andere haben das ganz bewusst nicht gemacht. Wie hätten Sie als Chefredakteur entschieden?

Als Redakteur würde ich mit dem Abdrucken der Cartoons kein Statement setzen wollen. Das sehe ich nicht als unbedingt notwendig. Sie zu zeigen ist eher journalistisch interessant und dient der Information der Leser. Sie wollen ja wissen, wegen welchen Karikaturen die Leute erschossen worden sind.

In Großbritannien hat keine große Zeitung „Charlie Hebdo“-Karikaturen auf der ersten Seite. Das Risiko sei zu hoch, so der Tenor.

Und mit dieser Haltung haben sie schon verloren, haben sie die Ideale aufgegeben und sich gebeugt. Da gibt es etwa in England diesen Hassprediger Anjem Choudary. Der konnte vor wenigen Tagen in den englischen Medien offen ankündigen: „Jeder, der diese Cartoons abdruckt, muss mit Konsequenzen rechnen.“ So etwas sagt der, und es passiert gar nichts. Der läuft noch immer frei herum. Ich finde, man sollte keinesfalls bereit sein, die journalistische Freiheit einzuschränken. Religiöse Gefühle hin oder her! Es gibt die Pressefreiheit, und wir haben uns dazu entschieden, dass sie uns ein hohes Gut ist.

„Satiremagazin droht Islamisten mit Vergeltungsschlag – bis zu null Opfer befürchtet“, so lautete der Titel Ihrer Reaktion auf die Anschläge am Donnerstag. Haben Sie sich lang überlegt, wie sie reagieren?

In so einem Fall muss man schon sehr genau aufpassen, was man tut. Ich habe mir gut überlegt, was die richtige Reaktion auf so eine grausame Tat sein kann und was ich eigentlich aussagen will. Da gibt es ja viele Möglichkeiten. „Der Postillon“ etwa, ein deutsches Satire-Magazin, hat das auf sehr lustige Art gelöst: Er zeigte einen Männerpopo mit der Überschrift: „Wir sagen euch nicht, welchem Propheten diese haarigen Arschbacken gehören“. Damit kann man hervorragend persiflieren, dass die Attentäter mit ihrer Aktion – längerfristig betrachtet – gar nichts erreicht haben.

Und welche Message wollten Sie rüberbringen?

Unsere Absicht war, zu sagen, dass wir uns nicht beeindrucken, wir uns nicht zum Schweigen bringen lassen. Daher haben wir die erwartbare Schlagzeile „Islamisten drohen mit Vergeltungsschlag“ einfach umgedreht in „Satiremagazin droht Islamisten mit Vergeltungsschlag“. Bloß der Unterschied ist: Die Werkzeuge des Satiriker fügen niemandem einen Schaden zu, Opfer sind nicht zu befürchten.


1... ob Sie ein bescheidener Mensch sind?
Das habe ich mir noch gar nicht überlegt. Ich habe nicht das Gefühl, ich muss abheben. Ich habe keine besonderen finanzielle Ansprüche. Ich wohne in einer Wohngemeinschaft, das ist wunderbar. Ich habe nette Freunde und einen Job, von dem ich leben kann. Ich bin zufrieden. 2... weshalb Sie gerade Volkswirtschaft studiert haben?
Mir hat gefallen, dass es bei dem Studium nicht darum geht zu werten. Wenn man ausrechnet, wie hoch das Bruttoinlandsprodukt oder das Durchschnittseinkommen eines Landes ist, handelt es sich einfach bloß um Zahlen. Allerdings war mir fast zu viel Mathematik dabei.
3... ob Sie manchmal die Wut beim Schreiben der Texte treibt?
Wut wäre zu viel gesagt, aber Ärger schon. Gerade wenn es um innenpolitische Themen geht, gibt es schon vieles, über das ich mich wirklich aufregen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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