Mit Downsyndrom im Rampenlicht

Jamie Brewer MAKE UP ARTISTS AND HAIR STYLISTS GUILD AWARDS Beverly Hills PUBLICATIONxNOTxINxUSAxUK
Jamie Brewer MAKE UP ARTISTS AND HAIR STYLISTS GUILD AWARDS Beverly Hills PUBLICATIONxNOTxINxUSAxUKimago/PicturePerfect
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In den vergangenen Wochen war medial viel von Menschen mit Trisomie 21 zu hören und zu sehen, die abseits geschützter Werkstätten auftreten. Sie kratzen damit am gängigen Bild von Menschen mit Downsyndrom.

"Es war ein unglaubliches, ein wirklich unglaubliches Gefühl und eine unglaubliche Gelegenheit.“ Jamie Brewer strahlte beim Fernsehinterview. Sie wusste, dass sie gerade so etwas wie Geschichte geschrieben hatte, als sie bei der New York Fashion Week über den Laufsteg gegangen war. Ein Erlebnis, das für ein Model an sich schon ein Höhepunkt sein kann. Doch die 30-Jährige ist kein Model wie viele andere – sie ist die erste Frau mit Downsyndrom, die hier auf dem Catwalk Mode vorführte. In einem schwarzen Kleid, das ihr Designerin Carrie Hammer auf den Leib geschneidert hatte, hatte sie für einen der Höhepunkte der Schau gesorgt.

Die Amerikanerin ist dabei nur eines von vielen Beispielen von Menschen mit Downsyndrom, die in den vergangenen Wochen für große mediale Aufmerksamkeit gesorgt haben. Da war etwa Madison Tevlin – eine 13-Jährige, die eine Coverversion von John Legends „All of me“ sang. Und deren Video auf YouTube seit dem 20.Jänner, als es online ging, mehr als 6,5 Millionen Zugriffe verzeichnet. In Europa richten sich die Augen dagegen auf Finnland – hier startet in der Qualifikation für den Song Contest mit Pertti Kurikan Nimipäivät eine Punkband, deren Mitglieder sich aus drei Menschen mit Downsyndrom und einem Autisten zusammensetzen. Und nicht zuletzt tanzte auch beim Wiener Opernball mit der 23-jährigen Christine eine junge Frau mit Downsyndrom bei der festlichen Eröffnung.

Es mag ein Zufall sein, dass innerhalb weniger Wochen gleich so viele Beispiele in den Medien auftauchten – von Menschen mit Downsyndrom nämlich, die durchaus selbstbewusst und mit einer gewissen Selbstverständlichkeit bei öffentlichen Veranstaltungen auftreten. Und die dabei nicht als hilfsbedürftige oder bemitleidenswerte Menschen dargestellt werden. Sondern die in einem positiven Licht zeigen, was alles möglich ist.

Es sind dies in jedem Fall Beispiele, die dabei helfen, das gängige Bild von Menschen mit Downsyndrom in ein anderes Licht zu rücken. „Klassisch ist diese Angst vor dem schweren Leben, den Einschränkungen, dem Leiden“, sagt Maria Grossauer vom Netzwerk Down-Syndrom Österreich. Mit Beispielen wie diesen würde dieses Bild sicher ein Stück weit zurückgedrängt, glaubt sie. „Man sieht, dass sie nicht leiden.“ Genau das Wort „leiden“, das in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht, sei nämlich ohnehin unpassend. Denn Betroffene würden nicht unter dem Downsyndrom leiden–sie haben es einfach. Leiden würden sie maximal unter der Ausgrenzung durch andere. Manchmal auch an Zusatzerkrankungen, die häufig mit dem Downsyndrom einhergehen. Abgesehen davon, sagt Grossauer, sind Menschen mit Downsyndrom lebenslustig – und jedenfalls ganz und gar nicht leidend.

Keine Krankheit

Ein weitverbreitetes Missverständnis sei auch, dass es sich bei Downsyndrom um eine Krankheit handle. Bei den Betroffenen ist aufgrund einer Genommutation das 21. Chromosom dreifach vorhanden – daher wird auch von Trisomie 21 gesprochen. Wie und warum es dazu kommt, ist noch nicht ausreichend erforscht. Zwar gibt es Vermutungen, etwa dass ionisierende Strahlung dieses Phänomen fördert, auch steigt die Wahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter der Mutter. Doch viel weiter eingrenzen lässt es sich kaum. Das Downsyndrom taucht überall auf der Welt auf, quer durch alle sozialen Schichten und Altersgruppen.

Schwangerschaftsabbruch

Weltweit, so wird geschätzt, kommt etwa jedes 700. bis 800. Kind mit Trisomie 21 zur Welt, allein in Österreich ist von etwa 8000 bis 9000 Menschen mit Downsyndrom die Rede. Eine exakte Statistik existiert allerdings nicht. Wobei durch die Pränataldiagnostik mittlerweile schon während der Schwangerschaft festgestellt werden kann, ob ein Kind diese Genommutation hat – und es deswegen immer wieder zu Schwangerschaftsabbrüchen kommt. In wie vielen Fällen das passiert, ist allerdings ebenfalls nicht dokumentiert. Kolportiert wird, dass dies in etwa 90 Prozent aller Fälle geschieht.

Dass sich das Bewusstsein ändert, darauf hofft Maria Grossauer. Und dass das Downsyndrom in den Köpfen der Menschen nicht mehr so negativ besetzt ist. „Es ist keineswegs so, dass das Leben damit vorbei ist“, sagt die Mutter eines siebenjährigen Buben mit Downsyndrom. Im Gegenteil, sie empfindet es mittlerweile als echte Bereicherung. Und positive Bilder wie jene, die nun in den Medien aufgetaucht sind, könnten dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen.

Klar ist aber auch, dass jene medial gezeigten Beispiele nicht für alle Menschen mit Downsyndrom repräsentativ sind. Es gebe eine große Bandbreite von schwer geistig behinderten bis zu durchschnittlich intelligenten Menschen, sagt Grossauer. Und nicht nur das: Weltweit gibt es derzeit sogar drei Menschen mit Downsyndrom, die einen Universitätsabschluss schafften – in Europa ist vor allem der Spanier Pablo Pineda bekannt. „Das kann man natürlich nicht von allen erwarten“, sagt Maria Grossauer. „Aber es kann auch nicht jeder Mensch ohne Downsyndrom die Matura machen oder gar einen Nobelpreis bekommen.“ Die medial präsentierten Menschen seien Einzelfälle, die aber auch zeigen, was für Menschen mit Downsyndrom alles möglich ist.

Wichtig sei vor allem, dass die Eltern ihr Kind akzeptieren und lieben, das sei der erste wichtige Schritt. Und schließlich kann man Kinder mit Downsyndrom speziell fördern – so haben sie etwa ein stärker bildhaftes als auditives Denken. Passt man das Lernen mit auf sie zugeschnittene Methoden an, ist dann viel möglich. „Sie sind sehr lernfähig“, sagt Grossauer, „aber brauchen für gewisse Dinge etwas länger.“ Je mehr man ihnen zutraue, desto besser. Allerdings kann es auch bei der besten Förderung dazu kommen, dass bei manchen Kindern eine bestimmte Grenze nicht überschritten werden kann.

Keine „besonderen Menschen“

Menschen wie Jamie Brewer oder die Mitglieder von Pertti Kurikan Nimipäivät können dazu beitragen, die Akzeptanz von Menschen mit Downsyndrom in der Gesellschaft zu stärken. Doch sie sollten keineswegs dazu verleiten zu glauben, dass alle Menschen mit Downsyndrom so sein können oder gar wollen. Sie sind oft gesellig, offen, lieben es, mit anderen in Interaktion zu sein – und wollen meist nicht durch das Downsyndrom definiert werden, sagt Grossauer. Dementsprechend eignen sich die Menschen mit Downsyndrom im Rampenlicht nur bedingt als Vorbilder für die Betroffenen selbst. Sie wollen nicht „besondere Menschen“ sein, sondern einfach ganz normal, so die Expertin: „Pablo Pineda hat gesagt, je fitter jemand mit Downsyndrom ist, desto schwieriger ist es, weil er das Anderssein viel stärker mitbekommt.“

Prominente mit Downsyndrom

Aya Iwamoto: Die Japanerin schloss 1998 mit 25 Jahren ein Studium der englischen Literatur ab.

Pablo Pineda: Der Spanier absolvierte 1999 ein Lehramtsstudium, arbeitet als Lehrer und TV-Moderator.

Sabine Kropatsch: Die Wienerin debütierte 2005 auf dem Opernball.

Tamara Röske: Deutsches Model (18) mit Downsyndrom.

Lexikon

Trisomie 21. Durch eine Genommutation ist das 21.Chromosom dreifach vorhanden. Menschen mit Downsyndrom weisen typische körperliche Merkmale auf, etwa eine rundliche Gesichtsform und mandelförmige Augen, und sind meist in ihren kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt.

Bezeichnung. Der Name des Syndroms leitet sich vom englischen Neurologen John Langdon-Down ab, der es 1866 erstmals beschrieb. Bis in die 1960er-Jahre war von Mongolismus die Rede. 1965 stellte die Mongolei einen Antrag auf Änderung des Begriffes, der von der WHO angenommen wurde. Seit 1965 ist nur mehr vom „Downsyndrom“ die Rede.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2015)

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