Malte Welding: "Bekommt Kinder, trotz allem"

THEMENBILD: KINDERGARTENKINDER MACHEN SCHNEESCHUH-WANDERUNG
THEMENBILD: KINDERGARTENKINDER MACHEN SCHNEESCHUH-WANDERUNGAPA/BARBARA GINDL
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Der deutsche Kolumnist Malte Welding hat ein Plädoyer für das Kinderkriegen geschrieben. Und das, obwohl er sich als Jungvater von Politik und Gesellschaft im Stich gelassen fühlt.

Natürlich wollte er immer Kinder haben, irgendwann. „Höre ich mich bei meinen männlichen Bekannten um, ist diese Frage einfach beantwortet“, schrieb Malte Welding in einer Kolumne im Jahr 2006, da war er 32 Jahre alt. „Der richtige Zeitpunkt ist: nicht jetzt.“

Also später. Irgendwann, wenn es besser passt. Wenn das mit der Karriere funktioniert hat, der richtige Partner gefunden wurde und man genug gespart hat. Dass immer mehr Deutsche (und Österreicher) das Kinderkriegen verschieben, oft so weit nach hinten, bis es biologisch schwierig bis unmöglich wird, überhaupt noch schwanger zu werden, sieht Welding problematisch.

Welding, deutscher Kolumnist, Drehbuchautor und Vater eines zweijährigen Sohnes, hat daher ein Buch geschrieben, das Mut zur Familiengründung machen soll. „Ein Plädoyer für Kinder – trotz allem“ lautet der Untertitel, wobei sich das „trotz allem“ weniger auf das Dauerwindelwechseln und die schlaflosen Nächte mit Baby bezieht.

Sondern vielmehr auf die wenig kinderfreundliche Gesellschaft. Die Politik, die das Elternwerden aus seiner Sicht zu wenig unterstützt. Den Staat, der Eltern wenig Rückhalt bietet, kurz: ein System, das es Menschen mit Kinderwunsch, so Welding, alles andere als leicht macht, sich dazu zu entschließen, Kinder in die Welt zu setzen.

„90 Prozent der Deutschen zwischen 18 und 35 wünschen sich Kinder,“ schreibt Welding. „Etwa ein Drittel von ihnen wird aber kinderlos bleiben.“ Tatsächlich bildet Deutschland mit einer Fertilitätsrate von 1,38 Kindern pro Frau europaweit fast das Schlusslicht. Auch in Österreich ist die Lage ähnlich. Seit den 1970ern hinkt die Zahl der tatsächlich geborenen Kinder dem theoretischen Kinderwunsch – laut einer Studie wünschen sich 60% der jungen Leute nach wie vor zwei Kinder – hinterher. Die Kinderzahl pro Frau in Österreich lag 2013 bei 1,44, rechnet man nur die Frauen ohne Migrationshintergrund sogar nur bei 1,34. Dazu steigt das Alter, in dem Frauen Kinder bekommen: 1985 war eine Frau bei der Geburt des Kindes im Schnitt 26,2 Jahre alt. Heute ist sie 30,5.

Die Reaktionen auf die Schwangerschaft seiner Frau haben Welding zu dem Buch inspiriert. Seine Frau bekam an ihrer Universität zu hören, dass sie nun, da sie ein Kind bekomme, ihre Doktorarbeit ohnehin gleich sein lassen könne. „Es gibt wenig Verständnis dafür, dass man mit Kind länger für die Doktorarbeit braucht“, so Welding. Das zeige „den Stellenwert von Kindern: Sie werden als Privatproblem gesehen, als Luxusgut, das man sich zugelegt hat und das eben sehr pflegeintensiv ist“.

Von ihrer Karriere könne sich die Frau, sobald sie Mutter ist, ohnehin verabschieden, so Welding, auch wenn „durch Studien erwiesen ist, dass Mütter effektiver arbeiten“. Als Halbtags- kraft sind die Aufstiegschancen gering – nur etwa fünf Prozent der Führungskräfte in Deutschland arbeiten halbtags.

Eine einfache Lösung, die Lust auf Familie macht, bei der beide Elternteile ihre Karriere weiterverfolgen oder wahlweise die Arbeitszeit zurückschrauben können, ohne in die Armut zu rutschen, gebe es freilich nicht. Wohl aber Beispiele anderer Länder (die Welding im Buch anführt), die zeigen, wie man es besser machen könnte. Denn: In Staaten, in denen es schon lang Anreize für Familien gibt, ist auch die Zahl der Kinder höher. In Frankreich, das Alleinerziehende und Mehrkindfamilien stark fördert, liegt die Fertilitätsrate bei 2,01 Kindern pro Frau. „Man möchte meinen, dass man, wenn man als Staat merkt, dass man 30, 40 Jahre später dran ist als andere Länder, sich erst recht bemüht“, sagt Welding. „Das Gegenteil ist aber der Fall.“ Oder, wie er es im Buch provokant formuliert: „Die deutsche Kein-Kind-Politik ist erfolgreicher als die chinesische Ein-Kind-Politik.“ (Tatsächlich liegt die Fertilitätsrate in China bei 1,66 Kindern pro Frau.)

Eltern, das sind die anderen

Studien zeigen: Je weniger Kinder es gibt, je seltener man miterlebt, wie im Umfeld Kinder heranwachsen, umso seltener bekommt man selbst auch Kinder. Bis man als Familie im Restaurant nicht die Regel, sondern die exotische und lärmende Ausnahme ist. „Eine Berührung zwischen Kinderlosen [...] und Eltern findet immer weniger statt. Eltern, das sind die anderen“, schreibt er.

Auch wenn der Autor manches im Buch zugespitzt hat („Kinder als Nachbarn sind ungefähr so beliebt wie Asylbewerber und Atomkraftwerke“): Das Gefühl vieler junger Menschen, vor allem Frauen, sich zwischen Karriere und Kind entscheiden zu müssen, mit dem Kind an Ansehen zu verlieren (laut einer Studie glaubt nur ein Sechstel der Kinderlosen, dass eine Geburt ihr gesellschaftliches Ansehen verbessern würde), die Unsicherheit einer Generation, hat Welding getroffen. „Ich habe das Gefühl, bei uns Deutschen muss immer alles superperfekt sein. Man sucht den perfekten Partner, zieht viel später zusammen als etwa Paare in Frankreich, will sich erst absichern.“ Dabei gebe es den richtigen Zeitpunkt für ein Kind ohnehin nicht. Die Gehaltskluft zwischen Männern und Frauen sei „in Wahrheit eine Mutterschaftskluft. Es gibt eine Mutterschaftsstrafe, und zwar unabhängig davon, wann man als Frau das Kind bekommt. Das ewige Aufschieben ist eine verständliche, aber untaugliche Strategie.“

Trotz so mancher provokanter Formulierung ist Weldings Buch kein wütendes Pamphlet geworden, vielmehr eine mit Statistiken und Studien unterfütterte Beschreibung des Istzustandes, ergänzt um persönliche Erfahrungen als Vater. Mit dem einen oder anderen Lösungsvorschlag: Wie einer „Mütterquote“ (bei gleicher Qualifikation sollte die Mutter bevorzugt eingestellt werden) oder Steuererleichterungen für Alleinerziehende. Von einer Situation wie in der finnischen Stadt Tampere, in der es auch abends und nachts staatliche Betreuung für Kinder gibt und im Krankheitsfall Hilfe nach Hause kommt, wagt Welding nicht einmal zu träumen. Optimistisch bleibt man nach der Lektüre nicht unbedingt zurück, Welding selbst ist im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg mit seiner Familie zufrieden: Da hier viele (gut verdienende) Familien leben, es genügend Angebot gibt (von Kindergärten bis Yogakursen für Schwangere), sei die Stimmung gut. „Für mich habe ich ein Happy End gefunden“, sagt er. „Für die Gesellschaft zeichnen die Demografen aber eine düstere Zukunft.“ Den Leuten „auf der anderen Seite“, den Kinderlosen also, möchte er die Botschaft mitgeben: „Kinderkriegen ist gut. Es sieht scheiße aus, aber es ist gut.“

Steckbrief

Malte Welding, Jahrgang 1974, ist Kolumnist (u.a. in der „FAZ“ und „TAZ“) und Drehbuchautor. Er lebt mit Frau und Sohn in Berlin.

Sein jüngstes Buch „Seid fruchtbar und beschwert euch!“ ist ein Plädoyer für das Kinderkriegen „trotz allem“. Verlag Kiepenheuer & Witsch 203 Seiten, 14,40 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2015)

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