Das Gefängnis als Brutstätte für Radikale

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Auch in Österreichs Gefängnissen gedeiht extremistisches Gedankengut. Ein junger muslimischer Seelsorger kämpft dagegen an - und fühlt sich von der Republik im Stich gelassen.

Das künstliche Licht, die Linoleumböden, die schweren grünen Stahltüren, der abgestandene Essensgeruch, die ernsten Mienen, die müden Augen, die langsamen Bewegungen: Hier wirkt alles beklemmend wie in einer bleiernen Wolke. Die Zeit kriecht im Grauen Haus im achten Wiener Bezirk, hart an der Grenze zum Stadtzentrum.

„SPAZIEREN“, ruft ein feister, blau uniformierter Justizwachebeamter im Befehlston und öffnet mit einem großen silbernen Schlüssel klirrend eine Zelle nach der anderen. Die Gefangenen dürfen für eine Stunde raus und in einem der Betonhöfe der Justizanstalt Josefstadt Runden drehen. Sie tragen Jeans, Jogginghosen, T-Shirts und Kapuzensweater, ihr eigenes Gewand, das sie kauften, als sie noch frei waren. Sträflingskleidung gibt es nur im Film.

Durch eine Schleuse in der schmalen unscheinbaren Wickenburggasse betritt Ramazan Demir mehrmals pro Monat dieses Schattenreich, meist an Freitagen. Er ist muslimischer Gefängnisseelsorger, Imam und im Hauptberuf Religionslehrer. Sein dröhnend bebendes Lachen steckt an, hellt auf wie ein Bad in der Augustsonne. Doch das Graue Haus drückt auch dem 28-Jährigen auf das Gemüt. Er geht unter in Arbeit. Auf seinem Schreibtisch türmen sich die Anträge muslimischer Häftlinge, die schon vor Monaten „höflichst“ um ein halbstündiges Gespräch ersucht haben. Alle wollen am Freitagsgebet teilnehmen, auch die nicht so Religiösen. Das versteht jeder, der je eine Zelle von innen gesehen hat: eng, kahl, karg, Bett, Sessel, Tisch, ein kleiner Fernsehaltar. Hauptsache, raus, auch wenn der winzige Gebetsraum mit seinen gelben Wänden im kalten Keller liegt und nur 35 Menschen fasst.

Ramazan Demir kann unmöglich alle Wünsche für ein Einzelgespräch erfüllen. Wie soll sich das je ausgehen? 300 der insgesamt 1200 Häftlinge in der Josefstadt sind Muslime. Einer von ihnen war Rachat Alijew, der kasachische Ex-Botschafter. Aber um ihn geht es nicht in dieser Geschichte. „Sein Tod macht mich traurig“, sagt der Imam nur. Er glaubt an Selbstmord. Vor ein paar Wochen erst hat sich ein Ägypter umgebracht. Der Leidensdruck kann hoch sein innerhalb dieser Mauern.

300 Muslime also hätte Demir zu betreuen, er ist aber nur zwei Stunden pro Woche in der Anstalt, wechselt sich mit drei ehrenamtlichen Imamen ab, die auch nicht mehr Zeit haben. „Wir brauchen wie die Katholiken und die Evangelischen Vollzeit-Gefängnisseelsorger, mindestens fünf für ganz Österreich“, sagt der Ludwigshafener.

Bei Brandstetter

Er sprach in der Angelegenheit vor ein paar Wochen bei Justizminister Wolfgang Brandstetter vor. Denn Ramazan Demir ist Seelsorge-Generalsekretär der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Doch geändert hat sich seither nichts. Wahrscheinlich scheitert es am Geld. Insgesamt 20.000 Euro schießt das Ministerium derzeit pro Jahr den 46 ehrenamtlichen Gefängnisseelsorgern zu, die 1700 muslimische Gefangene in ganz Österreich betreuen; damit sind gerade einmal die Fahrtkosten gedeckt.

Das Problem drängt. Denn es geht nicht nur um Seelenmassage und um das Vorbeten, sondern längst auch um Terrorprävention. Spätestens seit den Anschlägen von Paris und Kopenhagen weiß die Welt: Die Gefängnisse sind Brutstätten und Akademien für Extremisten. Die Brüder Kouachi und Amedy Coulibalyhaben sich hinter Gittern radikalisiert, der dänisch-palästinensische Todesschütze Omar Abdel Hamid El-Hussein ebenso. Bis zu 20 Jihadisten, die in Syrien gekämpft haben und nach Österreich zurückgekehrt sind, sitzen in Untersuchungshaft, wie Brandstetter jüngst im Justizausschuss darlegte. Maßnahmen zur Deradikalisierung in Haft seien nötig, sagte er und maß ausdrücklich Seelsorgern eine Rolle bei. Die Republik hat die Gefahr erkannt. Aber tut sie auch genug? „Nein“, meint der Politologe Thomas Schmidinger. „Momentan gibt es keine professionellen Programme zur Deradikalisierung.“ Seelsorge sei nett, nötig seien Experten mit psychologischer Ausbildung und Kenntnissen über die Jihadisten-Szene.

Vor ein paar Tagen trafen sich die Leiter österreichischer Haftanstalten zu einem Erfahrungsaustausch. „Unser wichtigstes Ziel ist es, weitere Radikalisierung zu verhindern. In einem zweiten Schritt versuchen wir, Extremisten zurück in Richtung Normalität zu bringen“, berichtet General Peter Prechtl, der Leiter der Vollzugsdirektion.

In der Praxis ist das nicht so leicht. Wie erkennen Wärter überhaupt, ob jemand radikal geworden ist? „Zum Beispiel wenn sich andere Häftlinge beschweren, weil sie gezwungen werden zu beten“, erzählt ein Beamter im Grauen Haus. Was er dann macht? „Wir legen ihn in eine andere Zelle.“ Damit der Extremist andere anstecken kann? „Sie stellen sich das zu einfach vor: Wir können niemanden so einfach in eine Einzelzelle verfrachten.“

Prechtl bestätigt und ergänzt: Jeder Häftling müsse mindestens zwei Stunden täglich gemeinsam mit anderen verbringen. Verhindern kann man in einem Gefängnis nie, dass sich extremistisches Gedankengut ausbreitet.

Demir schätzt, dass sich unter den 300 muslimischen Häftlingen im Grauen Haus fünf bis zehn Radikale befinden. Gefährdet seien aber auch die anderen. Vor allem mit ihnen will er reden. Der Seelsorger kennt den Diskurs der Jihadisten. Er weiß, wie sie Diskriminierungserlebnisse von Migranten ausnützen, wie sie gegen die angeblich Ungläubigen, gegen den Staat hetzen und ein falsches Wir-Gefühl aufbauen. Er kann ihre pervertierten pseudo-religiösen Argumente gerade biegen. Er durchschaut die Identitätsprobleme der Radikalen und Labilen, die verloren sind zwischen zwei Welten, denen oft der Vater abhanden gekommen ist. Die Karrieren der Kleinkriminellen sind ihm vertraut. Der Imam hat ihnen viele Stunden zugehört. „Die meisten Häftlinge haben null Ahnung von Religion, das machen sich Jihadisten zunutze.“

"Moha-Kost"

Der 28-Jährige arbeitet wie ein Islam-Dolmetscher, der auch versucht, Wärter zu sensibilisieren. Er leistet Pionierarbeit in einer Anstalt, in der es bis heute kein Halal-Menü für Muslime gibt, sondern bloß die „Moha-Kost“: vier Semmeln. In Prechtl hat der junge Imam einen Verbündeten gefunden. Dem Vollzugsdirektor ist bewusst, dass das Graue Haus längst eine größere Moschee brauchte. Er schätzt die Arbeit des Seelsorgers, wenngleich er zu bedenken gibt, dass hartgesottene Jihadisten meist nichts hören wollen von einem gemäßigten Imam.

Ganz so es ist nicht: Demir betreute im Vorjahr einen früheren IS-Kämpfer, vielleicht 19 Jahre alt. „Er weinte viel“, erinnert sich der Imam. „Für IS war der Rückkehrer ein Verräter. Aber er schwor, nie wieder zu kämpfen. Er hatte zu viel Schreckliches gesehen.“

Immer wieder hält Ramazan Demir Vorträge vor Justizwachebeamten, erklärt, warum nicht jeder, der betet und Bart trägt, ein radikaler Islamist ist. So hat er auch ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Ein Wärter kam vor ein paar Wochen zu ihm und bat ihn um Hilfe. Ein junger Austro-Ägypter hatte davon gesprochen, in den Jihad ziehen zu wollen. Demir sprach in mehreren Sitzungen mit ihm. „Auf dich wartet nicht das Paradies, auf dich wartet die Hölle, wenn du mordest und dich entmenschst“, sagte er und überzeugte den Burschen. Der Seelsorger hätte gern mehr Zeit für seine Arbeit. Denn er wird gebraucht. „Auf mich hören die meisten muslimischen Gefangenen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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