Luciano Benetton: "Wir sind stehen geblieben in Italien"

ECUADOR FASHION BENETTON
ECUADOR FASHION BENETTON(c) EPA (Guillermo Legaria)
  • Drucken

Luciano Benetton, Gründer und langjähriger Präsident der Modekette Benetton, über Italien in der Dauerdepression, die schwierige Zukunft für made in Italy und nicht mehr konkurrenzfähige Familienunternehmen.

Topunternehmer, Politiker – und heute sammeln Sie Bilder aus der ganzen Welt im Visitkartenformat. Wie kam es dazu?

Luciano Benetton: Es gab kein Projekt, die Idee entstand zufällig: 2008 war ich in Chile und lernte dort einen Künstler kennen. Als ich ihn nach einer Visitkarte fragte, gab er mit stattdessen ein Bild im Zehn-mal-zwölf-Format. Eine schöne Geste. Und so habe ich auch andere Künstler gebeten, mir kleine Bilder anzufertigen. Bald hatte ich Werke aus ganz Südamerika – dann reifte die Idee von Imago Mundi, einer globalen Sammlung. Die Begeisterung der Experten war verhalten, sie sahen wohl kein Geschäft darin.

Was ist der Zweck von Imago Mundi?

Ich wollte nützlich sein, ich mag es, wenn Ideen eine Logik haben, einen Zweck erfüllen: Die Vorstellung, dass all diese Bilder in Kartons verrotten sollten, erschreckte mich. Junge Künstler haben viel zu sagen, und ich will ihnen diese Chance geben. Die Kunst kennt jene Grenzen nicht, auf die die Politik oder die Wirtschaft stößt. So sind wir dank Imago Mundi auch in schwierige Gebiete vorgedrungen: Wir haben Werke aus Tibet, wir haben kurdische Künstler, palästinensische und israelische – und jetzt wollen wir afghanische.

Inwiefern hat die Arbeit mit dem Fotografen Oliviero Toscani Sie inspiriert, eine politische Botschaft zu vermitteln – von provokanter Werbung zur Kunst?

Es war immer Teil der Benetton-Ideologie, auch politische Botschaften zu vermitteln, ohne dabei politisch aktiv zu werden. Das ist auch heute mit Imago Mundi so: Die Ausstellung soll eine kleine Bühne für die Welt bieten.

Hat Archive Austria (der österreichische Beitrag) Ihr Wien-Bild verändert?

Da wird auf sehr hohem Niveau über Wien gesprochen: Beigetragen haben viele Künstler, die nicht aus Wien sind, aber Wien geprägt haben, es sind große Namen dabei. Das ist anregend – davon profitieren auch die jüngeren Künstler der Sammlung. Vermittelt wird das Bild eines modernen, internationalen Wien.

Sollen in Krisenzeiten Unternehmer Kunst fördern? Es gibt da die Befürchtung von Schleichwerbung, von Einflussnahme.

In Italien wird derzeit viel über dieses Konzept gesprochen. Die öffentliche Hand hat ja nicht mehr viele Mittel zur Verfügung. Fondazione Benetton in Treviso agiert nach diesem Prinzip seit 25 Jahren. Derzeit etwa lasse ich eine verlassene Kirche renovieren. Ich finde es normal, das zu tun. Unser Unternehmen ist in den 1960er-Jahren entstanden, wir haben in unserer damals sehr armen Provinz Arbeitsplätze und Reichtum geschaffen. Danach haben wir in den Sport investiert: Basketball, Fußball, Rugby. Seit 20 Jahren fördern wir Kultur. Durch unseren Namen tragen wir dazu bei, Interesse zu wecken.

Sie sind in einer Ära des Aufbruchs groß geworden, haben die goldenen Zeiten der 1980er-Jahre mitgestaltet. Jetzt ist Italien in einer Depression gefangen – wirtschaftlich, sozial, kulturell. Was ist passiert?

Wir sind stehen geblieben. Wenn ich auf Reisen bin, sehe ich Menschen aus der ganzen Welt, die an diesen Orten arbeiten und leben. Bei uns in Italien ist das noch nicht wirklich so: Wir sind noch zu verschlossen, auf uns konzentriert. Und wir legen mangelnde Flexibilität bei der Arbeit an den Tag. Ein Beispiel: Vor Kurzem war ich in einem nordeuropäischen Land, dort hatte ich einen gebildeten Fahrer. Er ist hauptberuflich Dirigent, aber einmal in der Woche verdient er sein Geld als Chauffeur. Undenkbar bei uns: ein junger, gebildeter Mann, der am Anfang seiner Karriere eine bescheidene Arbeit verrichtet – seine Mama würde es ihm verbieten! Als ich jung war, war das anders.

Sie selbst arbeiten ja seit dem Alter von 14.

Mein Vater ist früh gestorben, ich war der älteste Sohn und musste die Verantwortung übernehmen. So wurde ich Verkäufer in einer Modeboutique. Damals strickte mir meine Schwester Giuliana einen Pulli – gelb war er, glaube ich. Bunte Kleidung, das war nach dem Krieg revolutionär: Die Kleider waren farblos, sie wurden von Familienmitglied zu Familienmitglied weitervererbt. Der Pulli wurde ein Riesenerfolg: Wir begannen, ähnliche Modelle an Freunde und Bekannte zu verkaufen. Das war der Anfang von Benetton. Vor allem: Wir scheuten nicht vor dem Risiko zurück.

Es war eine Zeit des Aufbruchs. Heute haben junge Menschen in Italien wenig Perspektiven, viele gehen darum ins Ausland.

Junge Akademiker haben heute oft keine Alternative, als ins Ausland zu gehen. Das ist auch positiv: Wenn sie zurückkommen, sind sie reifer, erwachsener, offener. Das tut dem Land gut.

Aber sie kommen nicht zurück. Wären Sie heute jung, würden Sie denn in Italien noch ein Unternehmen gründen?

Ich würde in ein anderes Land gehen. Italien hat die höchsten Steuersätze, die höchsten Produktionskosten Europas. So kann man auf Dauer nicht arbeiten.

Wie ernst meint es die Regierung von Matteo Renzi mit ihren Reformen?

Endlich passiert etwas. Zum ersten Mal seit Langem glaube ich, dass ein Neuanfang möglich ist, sobald die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Es gibt Hoffnung, dass sich die Bedingungen für Unternehmer ändern. Vielleicht ist derzeit noch wenig von einer Veränderung zu spüren: Aber immerhin werden die Probleme offen beim Namen genannt. Ich spüre eine neue Dynamik, den Willen, etwas zu tun. Wir Italiener haben begriffen, dass wir, wenn wir Teil Europas sein wollen, nicht ständig hinterherhinken können.

Familienunternehmen wie Ihres waren jahrzehntelang das Rückgrat des italienischen Kapitalismus. Ist dieses Modell in der Ära der Globalisierung noch konkurrenzfähig?

Das Modell Familienunternehmen war eine unserer Stärken, vor allem im Norden. Dann kam die Krise. Die Banken waren nicht mehr bereit, in diese Betriebe zu investieren. Und ohne Kredit gab es keine Zukunft, zehntausende Firmen mussten schließen. Vielleicht gibt es noch Aspekte des Familienmodells, die funktionieren. Vor allem aber ist heute wichtig, innovativ zu sein. Genauso wie zu unseren Anfangszeiten: Um erfolgreich zu sein, braucht man eine Vision, Durchhaltevermögen – und man muss riskieren. Damals hatten Banken übrigens auch kein Vertrauen in Jungunternehmer.

Benetton war Made-in-Italy-Mode für alle. Hat in Italien in Zeiten der Low-Cost-Kleider die Bekleidungsbranche noch Zukunft?

Es gibt andere Branchen, die wichtig werden. Die Weltausstellung (ab Mai in Mailand, Anm.) ist etwa eine Chance, made in Italy noch stärker im Nahrungsmittelsektor zu etablieren. Auch im Tourismus gibt es Potenzial. Wir besitzen einen unglaublichen Reichtum. In Treviso etwa hängt in einer vergessenen Kirche der Peripherie ein Tizian. Niemand weiß das. Wir müssten diese Schätze stärker bekannt machen.

Sie haben viel ausprobiert: War es ein Risiko, Anfang der 1990er in die Politik zu gehen?

Ich wurde damals ins Parlament gewählt (für die liberale Republikanische Partei Anm.) – es war die Zeit, als sich unter dem Druck der Korruptionsaffären die etablierten Parteien auflösten und die Politiker jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Ich dachte, Italien brauche neue Persönlichkeiten. Zweieinhalb Jahre war ich im Parlament. Aber Politik ist zu kompliziert für einen wie mich, der Entscheidungen sehr schnell fällt.

Dann kam Silvio Berlusconi. Wie sehr hat er das Land verändert?

Für mich hat die Ära Berlusconi vor allem eines deutlich gemacht: dass der Druck aus Europa etwas gegen althergebrachte Probleme Italiens bewirken kann, etwa unsere Haushaltsführung.

Berlusconi-Nachfolger und Technokratenpremier Mario Monti war überzeugt, Italien werde „deutscher“. Ist das möglich?

Ich weiß gar nicht, ob ich das will. Unser Freigeist, unsere Fantasie, das sind schöne Eigenschaften. Wir werden niemals so präzise, so genau sein wie die Nordeuropäer. Vielleicht ist es deshalb notwendig, dass man uns immer ganz genau auf die Finger schaut.

Und was ist mit dem Klischee, dass die Norditaliener die Deutschen Italiens sind?

Wir sind Unternehmer. Allein um Treviso herum wurden in den besten Zeiten 30.000 neue Unternehmen jährlich gegründet. Kleine, einfache Firmen. Diesen Geist gibt es noch, trotz Krise.

Made in Italy ist also nicht passé?

Ich glaube, Italiens Kapitalismus kann noch positiv überraschen. Kreativität und Dynamik sind in unseren Genen – auch wenn derzeit nicht viel davon zu sehen ist. Aber am Anfang steht immer eine kleine Firma, ein Handwerker. Einer, der vielleicht wenig Kapital hat, aber dafür eine Vision.

Steckbrief

1935 wurde Luciano Benetton in Treviso geboren. Mit 14 musste er nach dem Tod seines Vaters die Schule verlassen, um die Familie zu erhalten: Er arbeitete als Verkäufer in einem Modegeschäft.

1965 gründete er mit seinen Geschwistern Giuliana, Carlo und Gilberto das Strickwaren-Unternehmen. Mit dem Verkauf von Lucianos Fahrrad wurde angeblich die erste Nähmaschine finanziert, und Luciano Benetton avancierte zum Vorstandschef.

1982 startete die Kooperation mit Fotograf Oliviero Toscani. Unter dem Motto „United Colors of Benetton“ machte die Firma mit kontroversieller Werbung weltweit von sich reden.

2012 zog sich Luciano Benetton zurück. Er führt die Kulturstiftung Fondazione Benetton, in dessen Rahmen er Imago Mundi aufbaute. Bis 31.5. präsentieren Benetton und Ausstellungsmacher Peter Noever im Winterpalais in Wien die Schau „Vienna for Art's Sake“ und Archive Austria, Österreichs Beitrag zu Imago Mundi.

Herr Benetton, darf man Sie auch fragen...


1... ob es Ihnen peinlich war, für die Benetton-Werbekampagne nackt zu posieren?

Mir persönlich war das gar nicht peinlich, aber meine Mutter, die war vielleicht wütend! Ich war damals Senator, als wir diese Werbekampagne starteten. Wir hatten beschlossen, Kleider für das Rote Kreuz zu sammeln – über unsere Geschäfte. Oliviero (Toscani) sagte: „Damit das funktioniert, musst du dich zeigen.“ Und es klappte. Die Sammlung wurde ein großer Erfolg.

2... ob es nicht sehr schwierig ist, mit der eigenen Familie zu arbeiten?

Das haben mich viele Menschen gefragt. Aber wir haben nur positive Erfahrungen gemacht. Ich selbst habe versucht zu verstehen, wieso das so war: vielleicht, weil wir alle keinen komplizierten Charakter haben; vielleicht, weil der Papa nicht mehr da war und uns das zusammenschweißte; vielleicht, weil wir einfach nichts anderes kannten. Und vielleicht auch, weil wir eine fantastische Arbeit zu einer fantastischen Zeit hatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.