Julianne Moore: "Die Menschen schämen sich"

Actress Julianne Moore arrives at the 2015 Canadian Screen Awards in Toronto
Actress Julianne Moore arrives at the 2015 Canadian Screen Awards in TorontoREUTERS
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Für das Alzheimer-Drama "Still Alice" gewann Julianne Moore den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Ein Gespräch über die Demenz, die für sie ihren Schrecken verloren habe.

Sie spielen in „Still Alice“ eine Frau, die sehr früh an Alzheimer erkrankt. Macht Ihnen so etwas selbst Angst?

Julianne Moore: Nein, Angst nicht. Eher war ich fasziniert, als ich das Drehbuch las. Denn so präsent das Thema Alzheimer in den vergangenen Jahren gewesen sein mag, so wenig wusste ich wirklich. Und ich glaube, dass es den meisten so geht, was es wiederum umso interessanter macht, dass so viele von uns tatsächlich geradezu panische Angst vor Alzheimer haben. Mir haben die Gespräche mit Betroffenen und mit Pflegepersonal jedenfalls ein ganz neues Verständnis gegeben. Und auch eine gewisse Beruhigung.

Tatsächlich?

Natürlich wünsche ich mir und jedem anderen, dass einem die Diagnose Alzheimer im privaten Umfeld erspart bleibt. Und ich bin auch kein angstfreier Mensch. Doch meistens ist es vor allem die Unwissenheit, die eine Sache wirklich schlimm erscheinen lässt. Zumal ich in diesem Fall durch meine Beschäftigung mit dem Thema zu einer wichtigen Erkenntnis gekommen bin. Die Menschen, die daran erkranken, verlieren vielleicht etliche wichtige Fähigkeiten. Aber niemals ihre Menschlichkeit. Die Diagnose macht einen nicht zum Zombie, und selbst wenn man die Person, die man liebt, am Ende manchmal kaum wiedererkennt, ist sie immer noch da. Das weiß niemand besser als meine Freundin Sandy.

Wer ist Sandy?

Ich lernte sie in der Vorbereitung kennen. Sie war eine der ersten Frauen, mit denen ich in der Recherche gesprochen habe. Und die jüngste. Sie war damals 49 Jahre alt – und hatte ihre Alzheimer-Diagnose schon vier Jahre davor bekommen. Eine Mutter von zwei Söhnen, Krankenschwester in der Neurologie. Inzwischen kann sie nicht mehr arbeiten, aber in ihrer Entschlossenheit und Lebenslust hat sie mich einfach begeistert. Ich habe sie zu den Dreharbeiten eingeladen, sie hat sogar eine kleine Statistenrolle.

Im Film sagen Sie an einer Stelle: „Ich wünschte, ich hätte Krebs!“

Ein heftiger Satz, oder? Aber ich glaube, er ist sehr realistisch. Und ich kann ihn auch gut nachvollziehen. Krebs ist heutzutage kein Tabuthema mehr. Die Menschen strömen zu Benefizveranstaltungen, alle tragen rosa Schleifen aus Solidarität, Prominente machen ihre Erkrankungen öffentlich. Da fühlt man sich als Betroffener nicht allein. Mit Alzheimer haben noch immer alle Berührungsängste. Die Krankheit wird versteckt, so gut es geht. Nicht selten erleben Erkrankte, wie selbst die besten Freunde den Kontakt abbrechen, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Ich selbst habe zum Beispiel von vielen Bekannten erst im Zuge dieses Films erfahren, dass sie Alzheimer-Fälle in der Familie haben.

Warum, glauben Sie, ist das so?

Die Menschen schämen sich. Das war früher bei Krebs ja nicht anders. Deswegen halte ich es für so wichtig, dass das Thema Alzheimer noch viel häufiger in der Öffentlichkeit besprochen wird. Schon allein, damit sich die Menschen der Symptome bewusster und die Diagnosen früher getroffen werden. Denn Demenz ist keine normale Alterserscheinung, sondern eine Krankheit.

Sie spielen immer wieder emotional herausfordernde Rollen. Haben Sie nie Bedenken, dass die Ihnen zu nahegehen?

Es ist eigentlich ganz selbstverständlich, dass Rollen Eindruck bei mir hinterlassen. Aber ich muss nicht viel dafür tun, mich davon nicht verschlingen zu lassen. Ich habe zwei Kinder und ein viel beschäftigtes Privatleben. Wenn zu Hause ein Berg Wäsche wartet und das Fußballtraining ansteht, legt man den Stress von der Arbeit automatisch ab.

Da Sie Ihre Kinder erwähnen: Wollen die auch ins Filmgeschäft?

Momentan glaube ich das eher nicht. Allerdings ist meine Tochter erst zwölf Jahre alt. Mein Sohn ist schon 17, aber für den steht gerade die Musik im Vordergrund. Wobei er in „Still Alice“ mit von der Partie ist. Ganz am Ende sieht man ihn und seine Freundin auf einer Parkbank musizieren. Die beiden haben uns ganz schön geholfen. Ich wünschte mir für diese Szene unbedingt Musik, doch weil unser Budget so klein war, konnten wir uns keine Songrechte leisten. Dann stießen die Regisseure auf einen schönen Folksong aus den Sechzigern, dessen Melodie frei verfügbar war. Und ich habe sie dann überredet, Caleb und seine Freundin Charlie einen Text dazu schreiben zu lassen.

Steckbrief

Julianne Moore wurde am 3. Dezember 1960 als Julie Anne Smith in North Carolina geboren.

Die Schauspielerin war fünfmal für den Oscar nominiert, bis sie die Statue nach Hause tragen konnte. Ihren Durchbruch im Filmgeschäft hatte sie mit „Boogie Nights“.

Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem für Dem Himmel so fern“ und „The Hours“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2015)

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