Speisung im Alten Zollamt: Ein Spielraum mit Ablaufdatum

Club Kantine Wien
Club Kantine WienPhilipp Splechtna
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Nicht chic, nicht abgeranzt, aber bequem ist die transformierte Mensa des früheren Zollamts. Ein Himmelfahrtskommando lädt zum Tanz.

Eine Konfettispur zieht sich die Autorampe entlang, quer durch das altersschwache Areal des Alten Zollamts in Neuerdberg. Die Nachbarn, Austro Control und MA 40, sind längst ins Wochenende gegangen. Ein Security-Mann wacht an der Schnirchgasse, weniger um Ordnung zu halten, als um verirrten Gästen Hinweise zu geben. Oben warten die 70er. Die 17 Stockwerke des Bürohauses stehen schwer und leer neben der ehemaligen Mensa. „Wir befinden uns derzeit in der Umwidmungsphase“, heißt es vom neuen Eigentümer des Areals, der Soravia-Gruppe. Die Zwischennutzung übernahm die Kantine, ein Club und Himmelfahrtskommado.

„Die Idee dazu entstand im Zug der Projektentwicklung, der Betreiber wurde uns empfohlen“, schließt Soravia an. Dabei handelt es sich um Bono Goldbaum, den Gründer von Instinkt Music, Veranstalter, Remixer und ehemaligen Resident DJ des „Planetarium“. Über einen faltigen Teppich kommt man in seinem Club zuerst in die Bakery, die frühere Küche, dann weiter in die Kantine, den Mainfloor. Goldbaum hat keine Zeit, gegen Mitternacht beginnt die Speisung. Bei diesem Besuch hält kein unpünktlicher Fasching, sondern der Club Carnival Einzug. Deswegen hängen auch Negligés und andere Zeitzeugen aus Großmutters Wäschelade vom Plafond. Wenn man unter Misteln schmusen soll, was passiert dann unter einem baumelnden Büstenhalter? Heikel. Der Raum füllt sich ohne Zwischenfälle.

Techno plus House

Vom kleinen DJ-Pult aus wird der frühe Abend mit Techhouse freundlich gestaltet. Für ein paar Minuten wird es eng, dann öffnet sich der große Floor. Wie durch eine Sanduhr rieselt die wippende U30-Gesellschaft in den Bauch des Clubs. Dort spielt sich ein Clown mit vier Glaskugeln. Die beiden Floors laufen sich warm: Ein Löffel Techno, ein Löffel House – das ist so modisch, wie seinerzeit die rot gemaserten Fliesen in der Getränkeausgabe. Wo bis 2002 Gulasch für Amtsmitarbeiter serviert wurde, gibt es heute „Stoli“ und Jägermeister als Labsal. Dass sich rund um die einstige Durchreiche der Sound mischt, ist nicht schlimm. Wie es in alten Häusern mit jungem Nachleben üblich ist, pascht der Bass manchmal mit der Ausstattung mit.

Darüber hinaus darf man über die Tonqualität aber nicht schimpfen, die „Funktion One“-Anlage klopft den müden Kopf zurecht. Es gibt aber auch Orte der Entspannung. Eine MA-48-Sitzgruppe schafft Intimität und provoziert Erinnerungen an frühe Wohnzimmerrunden der Eltern.

Turban und Korsage

Jolly-Karten fehlen, Literatur ist vorhanden: Titel wie „Atemschule“ und „Winter-Wellness“ lehnen in Griffweite. Daneben Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ als Postkarte. Turban ist in dieser Nacht gern gesehen, auch Korsagen und Biberfellmützen.

Die Kantine ist ein Glashaus. Die vielen Fenster übernehmen im Sommer dann die Aufgabe der Neonlichtdusche, die muntere Gäste sonst ins Bett legt. Ein frisch formiertes Pärchen spricht von Transformation. Gemeint ist die der ankommenden Gäste, die sich in der provisorischen Umkleide in Zirkusdirektoren verwandeln. Transformieren wird sich in einem Jahr dann auch die Kantine wieder.

Bis 2018 sollen auf ihr drei Türme stehen. An die 100 Meter will der geplante Tripel-Tower-Komplex des Architektenteams um Henke Schreieck wachsen. Büros und Wohnungen sollen auf den 70.000 Quadratmetern entstehen. Abriss und Baubeginn sind für 2016 geplant. Dann wird es hier wieder leise.

Zum Club

Die Kantine in der Schnirchgasse 9 im dritten Bezirk wurde im Herbst 2014 nach einer kurzen Planungsphase als Pop-up-Club mit offenem Ende aufgezogen. Sollte er ursprünglich Ende 2014 schließen, geht er nun doch bis 2015 in die Verlängerung.  www.diekantine.co.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2015)

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