Blinder Bergsteiger: „Meine Welt ist voller Farben“

INTERVIEW MIT BLINDEM BERGSTEIGER ANDY HOLZER
INTERVIEW MIT BLINDEM BERGSTEIGER ANDY HOLZERAPA/ROBERT JAEGER
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Andy Holzer ist blind – und Bergsteiger. Dass er wie ein normales Kind aufwuchs, sieht er vor allem in einer Fähigkeit begründet: Empathie.

Manche seiner Freunde, sagt Andy Holzer, glauben ihm bis heute nicht, dass er blind ist, dass er schon als Kind blind war. Weil er doch mit ihnen mit den Skiern über die Sprungschanze gesprungen ist. Und weil er es doch war, der damals, 1976, angeregt hatte, „wie bei den Olympischen Spielen im Fernsehen“, die Spur mit Tannenreisig zu begrenzen. In Wahrheit habe er beim Fernsehen nur mitgehört, und sein Vater habe ihm beiläufig vom dort verwendeten Reisig erzählt. „Aber damit hab' ich endlich gewusst, wann ich zu weit rechts oder links bin.“

Andy Holzer polarisiert. Weil er gängige Vorstellungen herausfordert. Er erinnert sich an Familienfeiern, wo ihn sein Onkel gefragt habe: „Andy, siehst du die Kerze?“ – „Ich hab' ja gesagt. Und ich habe es ernst gemeint: Weil ich die Kerze schon vorher berührt hatte. Sie war in meinem Bild da.“ Holzer wusste früh, aus einer kindlichen Empathie heraus, was die Erwachsenen hören wollten. „Wie denkt der andere, wie pass' ich dem ins Konzept?“ Die ersten 25, 30 Jahre seines Lebens habe er so damit verbracht, seinen wahren Zustand zu verstecken und zu vertuschen. „Nicht, weil ich mich geschämt hätte, sondern weil ich gemerkt habe, dass ich so besser vorankomme.“

Außerdem, sagt der Osttiroler, der sechs Achttausender bestiegen hat, sei das mit dem Sehen so eine Sache. „Da muss man einmal definieren, was Sehen überhaupt ist.“ Was folgt, ist ein Kurzvortrag über den Sehvorgang, darüber, wie Licht mit unterschiedlichen Frequenzen in der Sehrinde die Wahrnehmung von Farben erst auslöst. Oder salopp formuliert: „Die Farben sind nicht da draußen, sie sind drin in der Birne.“ Seine Lieblingsfarbe (das schreiben zu dürfen, habe er beim Verlag seines Buches erst einmal durchsetzen müssen) sei übrigens Hellblau. Freilich, ob sein Rot auch jenes der Sehenden ist, könne man nicht überprüfen. „Aber ich bin mir fast sicher.“

Bilder im Kopf

Jedenfalls, erzählt Holzer, habe er seine Eltern schon als Kind nach den Farben seiner Socken gefragt. Und die inneren Bilder, die aufgrund der übrigen Sinneseindrücke von der Welt in seinem Kopf entstehen, entsprechend eingefärbt. „Zum Glück haben meine Eltern nicht den Fehler gemacht, zu sagen, es sei egal, weil ich ja blind bin. Dann wäre das wohl verkümmert.“ Wenn ihm heute seine Frau vor der Bergtour die falsche Farbe seines T-Shirts nennt und er den Fehler bemerkt, dann baut er abends den Film im Kopf noch einmal um.

Apropos Film: In der Kinodokumentation „Unter Blinden“ zeichnet Eva Spreitzhofer (siehe unten) die Biografie Holzers nach. Von der Kindheit, wo er wie die anderen vom Heuschober sprang. Wo es im Kindergarten schlimmer war, ein „Auswärtiger“ als blind zu sein. Holzer schlug sich durch, entdeckte das Radfahren, die Berge für sich. Als bei einer Expedition in Argentinien die Kameraden höhenkrank wurden, erreichten nur er und ein einarmiger Freund den Gipfel. „Der stärkste Mann am Berg“, scherzten sie: „Zwei Augen, drei Arme, vier Beine.“

Mit dem Untertitel der Doku – „Das extreme Leben des Andy Holzer“ – ist der 48-Jährige nicht glücklich. „Eine Ausnahme – das mag sein. Aber extrem ist für mich, wenn jemand aus seinen Fähigkeiten nichts macht.“ Generell hat Holzer ein Problem mit Kategorisierungen. „Es gibt blinde Generaldirektoren, und es gibt Blinde, die zu Hause sitzen. Und es gibt unter den Sehenden Hubschrauberpiloten und Hartz-4-Empfänger. Und natürlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren. Natürlich hab' ich Erbgut mitbekommen und Talent.“

Selbiges nicht nur für sich und seinen Beruf als Masseur zu nützen, hätte er sich vor wenigen Jahren freilich noch nicht vorstellen können. Heute füllt er international Hallen. Was ihm wichtig ist, mitzugeben? „Dass sich nichts und niemand nach dir richtet, dass man für sein Glück selbst zuständig ist.“ Aber auch, dass das Thema Wahrnehmung ein wenig zu generalisiert werde in der westlichen Welt. „Wenn man einfach verstehen würde, dass es sieben Milliarden Weltbilder gibt, dass jeder sein eigenes Rot hat und seine eigene Meinung, wären wir einen Schritt weiter.“

ZUR PERSON

Andy Holzer wurde 1966 in Lienz geboren und ist nach eigenen Angaben aufgrund von Retinitis pigmentosa, einer Netzhauterkrankung, von Geburt an blind. Er ist ausgebildeter Heilmasseur, spielt Gitarre, ist Amateurfunker und betreibt Sportarten von Langlaufen über Mountainbiken bis zum Surfen. Seit 2010 ist er als Bergsteiger und Vortragender selbstständig. Die Kinodokumentation „Unter Blinden“ zeigt das Leben des Bergsteigers und zeichnet nach, welche Strategien er entwickelt hat und mit welchen Vorurteilen er konfrontiert wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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