Krankheit im Kino: Wie man Tränen drückt

Actress Emmy Rossum
Actress Emmy Rossum(c) REUTERS
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Die „Ice Bucket Challenge“ hat die Nervenkrankheit ALS allgemein bekannt gemacht. Nun läuft das ALS-Drama „Das Glück an meiner Seite“ mit Hilary Swank in Österreichs Kinos. Leider ist es allzu glatt und berechnend rührselig.

Der Sommer 2014 war auch ein Sommer der im Netz kursierenden Videos, in denen sich Prominente kübelweise Eiswasser über den Kopf schütten ließen. Die so Durchnässten nominierten jeweils neue Kandidaten, meist wurde die Herausforderung angenommen. Das schräge Internetphänomen hatte eine karitative Triebkraft – es ging um Bewusstseinsbildung für Amyotrophe Lateralsklerose, eine degenerative Nervenkrankheit. Wer zur „Ice Bucket Challenge“ aufgerufen wurde, hatte 24 Stunden Zeit zur öffentlichen Abkühlung, sonst fiel eine Spenden-„Strafe“ an: 100 Dollar für eine frei gewählte ALS-Wohlfahrt.

Die Web-2.0-Kampagne hatte großen Erfolg. Insgesamt wurden über zwei Millionen Videos produziert, das Krankheitskürzel prägte sich ins Kollektivgedächtnis. Auch im Kino macht sich das bemerkbar: Erst kürzlich gewann der Brite Eddie Redmayne für seine Darstellung des von ALS gelähmten Astrophysikers Stephen Hawking im Biopic „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ einen Oscar, jetzt kommt das (auch schon ein halbes Jahr alte) Drama „Das Glück an meiner Seite“ in die österreichischen Kinos.

Hilary Swank spielt Kate, die als arrivierte Konzertpianistin ein bürgerliches Bilderbuchdasein führt: Wohlstand und Glückseligkeit im Designerhaus mit dem perfekten Ehegatten (Josh Duhamel) und einem Freundeskreis wie aus dem Katalog. An ihrem 35. Geburtstag feiert sie noch unbesorgt, doch bei der anschließenden Nachtmusik auf ihrem Yamaha-Klavier stolpert sie ominös über die Noten von Chopins „Héroïque“. Das nächste Mal sehen wir sie bereits mit Gehhilfe und ALS im Anfangsstadium.

Eine Pflegerin muss her, und zwar eine, bei der sich Kate wie ein Mensch fühlt und nicht wie eine Patientin. Hereinspaziert, Bec: Die unverschämte, aufgekratzte Bummelstudentin (Emmy Rossum, passenderweise bekannt aus der Serie „Shameless“) macht schon beim Bewerbungsgespräch alles falsch und folglich in Kates Augen alles richtig – hier ist jemand, von dem keine Bevormundung zu befürchten ist. Kates Mann zeigt sich skeptisch, doch Bec wird engagiert. Nach kleineren Startschwierigkeiten – Becs Mangel an fachlicher Ausbildung führt zu diversen Fauxpas in Küche und Bad – kommt es, wie es kommen muss: Die beiden Frauen überwinden ihre Differenzen, werden Freundinnen und wachsen an der gemeinsamen Pflegeerfahrung.

„Das Glück an meiner Seite“ präsentiert Fürsorge als Symbiose. Während Kate sich beim Rollstuhlrennen oder Kiffen auf der Couch endlich wieder des Lebens freut, lernt Bec, Verantwortung zu übernehmen, und bekommt ihren liederlichen Umgang (One-Night-Stands mit Fremden, Affären mit Uni-Professoren) unter Kontrolle. Das altbekannte Erzählmuster deutet es bereits an: Hier ist leider alles Moralschablone, bis ins letzte Detail. Jeder melodramatische Wendepunkt, jede funktionelle Nebenfigur, jedes Wort und jede Geste folgen einem schon lange ausgepressten Tränendrücker-Schema, das jüngere „Frauenfilme“ wie „Wild“ oder „Cake“ – beileibe keine Ausnahmewerke – wie radikale Wagnisse erscheinen lässt. Im Englischen würde man wohl „Lifetime Movie“ dazu sagen, nach dem auf reißerische Schnulzen und inspirierende Themendramen spezialisierten Fernsehsender, dessen Fließbandproduktionen wirken wie Kreuzungen aus Rosamunde Pilcher und „Bravo“-Fotoroman.

Charakterloses Drehbuch

Etwas aufgewertet wird „Das Glück an meiner Seite“, wie so oft in solchen Fällen, vom passablen Schauspiel: Rossum versprüht natürlichen Charme, Swank spielt zurückhaltend, vermittelt aber glaubhaft den zunehmenden Verfall ihres Sprachvermögens. In manchen Szenen, etwa als Bec in Kates Auftrag einen Stellvertreter-Verzweiflungsschrei ausstößt, kräuselt sich die glatte Oberfläche, doch es hilft alles nichts – der Theatermacher George C. Wolfe bleibt der Charakterlosigkeit des Drehbuchs in seiner Inszenierung treu.

Krankheit ist im Kino zum Thema verdammt: Viel zu oft schiebt sie sich (wie im echten Leben) vor die betroffenen Figuren und wird zu ihrem Hauptmerkmal. Nur selten wagt jemand einen Zugang, der das befreiende Potenzial von Fiktionen voll ausschöpft. Ein außergewöhnliches Beispiel wäre Crispin Glovers phantasmatischer Psychothriller „It Is Fine! Everything Is Fine“, in dem der Zerebralparetiker Steven C. Stewart gegen jede Wahrscheinlichkeit einen Serienkiller mimt – doch solche Rollenbrüche bleiben bedauerlicherweise Einzelfälle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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