Der selbst ernannte Bürgermeister Prikryl

ARCHIVAUFNAHME KARL RENNER 1945
ARCHIVAUFNAHME KARL RENNER 1945(c) APA
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Im April 1945 „regierte“ im Wiener Rathaus ein unbekannter Kommunist – nur sieben Tage lang.

Wien. „Dass ich das noch erleben darf!“ Die „Presse“-Journalistin und Autorin Pia Maria Plechl (1933 bis 1995) zitiert diesen Ausruf ihrer Großmutter in ihren Erinnerungen, die sie vor zwanzig Jahren für diese Zeitung verfasst hatte. Man stand in Hietzing vor einer Mauer, an welcher der „Befehl Nr.3“ des sowjetischen Militärkommandanten von Wien, Generalmajor Alexej Blagodatow, affichiert war. Er verkündete, dass General i.R. Theodor Körner zum Bürgermeister, Leopold Kunschak und Karl Steinhardt zu Vizebürgermeistern bestellt worden waren.

„Wenn ein kaiserlicher Offizier, der ein Roter ist, und ein Arbeiterführer, der ein Christlichsozialer ist, miteinander anpacken, kann alles gut werden“, sagte die Großmama und hatte offensichtlich noch das Drama von 1934 vor Augen. Der Name des zweiten Vizebürgermeisters, Karl Steinhardt, war ihr unbekannt. „Wohl ein Kommunist“, meinte sie und hatte recht damit.

Dass vom 12. bis 18.April ein selbst ernannter „Bürgermeister“ amtierte, war im 13.Bezirk fast niemandem bewusst gewesen. Die einzige Tat, die Rudolf Prikryls Regierungszeit überdauert hat, war seine Zustimmung zum Eintritt Viktor Matejkas in die Wiener Kulturpolitik. Prikryl hatte sich dabei aber überschätzt: Er stellte dem Volksbildner, der 1938 ins KZ Dachau gebracht worden war und sich nun bis ins Wiener Rathaus durchgeschlagen hatte, die Vollmacht aus, „verantwortlich für die ganze Kultur in Österreich“ zu sein. Wieso überhaupt so viele Politiker und Beamten da waren und schon die Arbeit aufnehmen konnten zu einer Zeit, da auch in großen Teilen Österreichs der Krieg noch nicht zu Ende war, hat die Zwölfjährige damals nicht verstanden.

Die Kommunikationsmöglichkeiten waren äußerst schlecht: Das beweist auch ein Vorfall in Hietzing. Im Rahmen der Bildung der provisorischen Staatsregierung kamen Karl Renner und Minister a.D. Eduard Heinl zum Heim von Dr. Johann Löwenfeld-Ruß. Der Sektionschef hatte sich von 1918 bis 1920 als Staatssekretär für Volksernährung bewährt. Nun wollten sie ihn von seiner beabsichtigten neuerlichen Berufung in dieses Amt in Kenntnis setzen. Erst an Ort und Stelle erfuhren sie, dass Löwenfeld-Ruß am 18.April gestorben und im Garten seines Heims beerdigt worden war.

Seit dem 21.April amtierte Karl Renner in der von den Sowjets requirierten Hietzinger Villa Blaimschein (Wenzgasse2, heute Botschaft des Iran). Er richtete an die Führer der drei zugelassenen Parteien die Bitte um Konsultationen. Franz Stamprech, später Chefredakteur der „Wiener Zeitung“, schilderte die Begegnung mit Leopold Kunschak, der als erster Politiker bei Renner vorsprach. Der alte Staatskanzler der Ersten Republik, der nun die Zweite aufbauen sollte, hatte eine Bedingung. „Und diese Bedingung. Herr Präsident?“ – „Wenn Sie dabei mittun.“

Der christliche Arbeiterführer Kunschak wollte aber lieber im Wiener Rathaus arbeiten. Renner war irritiert, „Österreich braucht Sie – und ich brauche Sie! Ich erkläre Ihnen, dass ich nur mittue, wenn ich eine Deckung auf breiter Basis habe. Diese Deckung verbürgt mir Ihr Name.“ Und „noch etwas bitte ich Sie zu bedenken: Moskau würde die ablehnende Haltung des Demokraten Kunschak in dieser entscheidenden Stunde Österreichs nicht verstehen“. Daraufhin schlug der 75-jährige Kunschak ein.

Am 27.April 1945 schließlich erfolgte die Unterschrift Renners, Adolf Schärfs, Kunschaks und des KP-Vorsitzenden Johann Koplenig unter die Unabhängigkeitserklärung Österreichs, „übrigens die einzige, die je erfolgt ist“, sagt der Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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