Auf dem Minenfeld der Musik: Polina Gagarina und der ESC

MEET AND GREET MIT DEN 'POLINA GAGARINA'
MEET AND GREET MIT DEN 'POLINA GAGARINA'(c) APA/BARBARA GINDL
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Song Contest. Die russische Song-Contest-Interpretin kommt in Interviews der Politik nicht aus. Auch wenn ganz andere Dinge im Vordergrund stehen sollten.

Kann man als Schlagersängerin der Politik entfliehen? Normalerweise sollte das kein Problem sein. Wenn man allerdings Polina Gagarina heißt und die Nominierung der Russischen Föderation für den diesjährigen Song Contest ist, muss die Antwort eindeutig lauten: nein.

Wobei: Die Interessenslagen beim Speed-Dating mit Journalisten in einem Wiener Hotel sind durchaus unterschiedlich, um nicht zu sagen gegenläufig. Gagarina – 28 Jahre alt, blondes kinnlanges Haar, knallrote Fingernägel, ebenso rote Designer-Trainingshose, schwarzes Lederjäckchen – ist in der Vorwoche nach Österreich gekommen, um die Band kennenzulernen, mit der sie ihren Song „A Million Voices“ auf der Bühne der Wiener Stadthalle am 23. Mai darbieten wird. Mit den Makemakes vom Mondsee habe sie sich ausgezeichnet verstanden, heißt es. Gott sei Dank! Außerdem war Gagarina auf einem Kurzausflug in Tirol, wo sie „an einem geheimen Ort“ ihre „Video-Postkarte“ – einen kurzen Image-Clip zur Präsentation im Fernsehen – aufgenommen hat.

Apropos „A Million Voices“: Dem Lied ist ganz und gar nicht anzumerken, dass es aus Russland kommt. Gesungen in englischer Sprache, geschrieben von einem internationalen Team, entspricht es ganz dem Popballaden-Genre, das in den vergangenen Jahren beim ESC so erfolgreich war. Einzig im Video haben die Menschen diesen skeptischen Blick, wie ihn das Leben in Russland lehrt, nicht das übliche Strahlen wie in westlichen Videos.

Seit Teenager-Tagen auf der Bühne

Sie will Englisch reden, nicht Russisch. Polina Gagarina lehnt mehrmals die angebotene Hilfe ihres Ehemanns ab, der ganz in Schwarz neben ihr im Fauteuil sitzt und an seinem iPhone herumspielt. Gagarina, die seit ihren Teenager-Tagen auf der Bühne steht, will beweisen, dass sie es allein kann. Schließlich ist Gagarina mit ihren 28 Jahren schon eine erfahrene Interpretin und will dies auch abseits der Bühne sein. Sie wuchs in Russland und in Griechenland auf, besitzt eine Musik- und Bühnenausbildung, mit 17 Jahren gewann sie schließlich die russische Castinghow „Star-Fabrik“, durch die sie einem breiteren Publikum bekannt wurde. Als Sängerin tourt sie derzeit durch die Russische Föderation, ihren kleinen Sohn sieht sie dabei nur selten.
Zurück zu den Interviewfragen: Wird Gagarinas Familie ihr beistehen, wenn sie in Wien auftritt? Natürlich, die engsten Familienangehörigen werden da sein, antwortet Gagarina. Wie sie es geschafft hat, nach ihrer Schwangerschaft so schnell wieder abzunehmen? „Viel fliegen.“ Was sie an freien Tagen macht? Einfach herumliegen, erklärt Gagarina mit strahlendem Lächeln, auf dem Sofa. Und worum geht es in ihrer Musik? Um Liebe, um was denn sonst. Ihre musikalischen Vorbilder? Beyoncé, Whitney Houston. Ihre Schwäche? „I am a very lazy person, you know.“ Wer ist ihre größte Konkurrenz? „Ich selbst.“ Auf Fragen wie diese hat Gagarina stets eine passende Antwort parat. Einsilbiger wird sie bei Themen, die das gewohnte Territorium verlassen. Wie werde sie Anfeindungen des Westens entgegentreten?, fragt eine russische Kollegin. Gagarina schluckt: So hat sie das vielleicht noch nie betrachtet. Was werde sie jenen russischen Stimmen entgegnen, die sich wegen Conchita Wursts Sieg gegen eine Teilnahme Russlands am „gayropäischen“ Singwettbewerb ausgesprochen haben? Gab es solche Stimmen überhaupt?, fragt Gagarina. „In Russland gibt es verschiedene Meinungen.“ Noch Fragen?

Auftritt in Weiß

Gagarina, die sich gerade auf einer Tournee befand, als sie erfuhr, dass man sie als russischen Beitrag für den ESC ausgewählt hat, lebt mit der Song-Contest-Teilnahme ihren persönlichen Traum. Auch wenn sie noch nicht weiß, ob es ihrer Karriere einmal nützen wird. Der Song Contest ist schließlich das europäische Minenfeld der Musik. Eine Erfolgsprognose traut sie sich nicht zu – ein Sieg von „A Million Voices“ ist aufgrund der aktuellen europäischen Missstimmung gegenüber Russland wohl nicht zu erwarten. Da ist sie wieder, die Politik.

Eines verrät Gagarina am Schluss noch: Sie wird ein weißes Kleid tragen. Vielleicht klappt es also doch? Beim ESC ist Weiß traditionell die Farbe der Sieger.

ZUR PERSON

Polina Gagarina ist 28 Jahre alt und tritt für Russland beim diesjährigen Song Contest an. Sie hat eine Musik- und Theaterausbildung und war in der Vergangenheit auch als Model tätig. Mit 17 Jahren gewann sie die Castingshow „Star-Fabrik“. Als Sängerin veröffentlichte sie zwei Pop-Alben.

„A Million Voices“ heißt ihr Song für den ESC, geschrieben von einer internationalen Produzentengruppe. Gagarina sagt, sie sei von der Nominierung überrascht gewesen. Sie ist in zweiter Ehe verheiratet und hat einen siebenjährigen Sohn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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