Carla Amina Baghajati: "Wenig anziehen ist nicht Freiheit"

Carla Amina Baghajati
Carla Amina BaghajatiDie Presse
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Sie gilt als eines der bekanntesten Gesichter des Islam in Österreich: Carla Amina Baghajati, Mediensprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft, hat ein Buch über das Leben als Muslima in Österreich geschrieben.

Sie haben mir vorhin die Hand geschüttelt – in Ihrem Buch schreiben Sie hingegen, dass es eigentlich zur Höflichkeit des europäischen Mannes gehörte, Frauen nicht automatisch die Hand zu geben.

Carla Amina Baghajati: Von Thomas Schäfer-Elmayer habe ich die Information, dass es bei uns zur guten Sitte gehört, wenn ein Mann zunächst abwartet, ob ihm die Frau überhaupt die Hand reichen möchte. Das war mir vorher nicht bewusst, aber dahinter steckt etwas Ähnliches wie im muslimischen Kontext.

Sie meinen, dieser Satz bezieht sich gar nicht auf etwas spezifisch Muslimisches?

Offenbar hat das früher zum guten Ton gehört, aber noch immer ist die Begrüßung ein Ausdruck gegenseitigen Respekts, und im europäischen Raum ist eben das Händeschütteln zu einer zentralen, selbstverständlichen Geste geworden. In einem muslimischen Land, wo diese Umgangsform nicht bekannt ist, könnte das aber ein Affront sein.

Einer muslimischen Frau die Hand zu reichen ist also kein Problem?

Es kann helfen zu wissen, dass es nicht überall üblich ist, weil es Missverständnisse geben kann. Wenn ein muslimischer Vater beim Elternsprechtag einer Lehrerin nicht die Hand gibt, kann sie sich ausrechnen, dass er das aufgrund eines Höflichkeitskodex macht, dass er ihr nicht zu nahe treten will.

Ist das ein religiöses Gebot, oder gehört das zum kulturellen Kontext?

Hier vermischt sich vieles. Es gibt den religiösen Hintergrund, aber es ist längst auch Tradition geworden. Aber wenn sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen ändern, muss man überlegen, was die Absicht hinter einer Sache ist. Wenn ich ein Händeschütteln verweigere, muss ich wissen, dass das als Affront rüberkommt.

Was ist der ursprüngliche Sinn dieses Vermeidens von Berührungen?

Dieser ist ähnlich wie in Europa, dass man zwischen Mann und Frau, wenn sie nicht verwandt oder verheiratet sind, einen Höflichkeitsabstand nicht überschreitet.

Sie als Konvertitin aus Deutschland werden wohl um einiges reflektierter an Dinge wie diese herangehen. Das ist wohl nicht repräsentativ für viele Muslime.

Wir sind im Islam in einem Prozess, in dem viel über Identität nachgedacht wird. Darin liegt die Möglichkeit, dass eine Gesellschaft zusammenwächst, dass wir weniger „wir und die anderen“ haben, sondern zu einem echten „wir“ kommen.

Noch einmal: Bei der breiten Masse wird dieses Reflektieren wohl nicht so ausfallen.

Reflexion ist ein gesamtgesellschaftliches Manko. Heute geht es doch oft darum, sich gut verkaufen zu können, von Castingshows bis Facebook. Hier kann man fragen: Bin das ich, der sich auf Facebook präsentiert, oder das Image, von dem ich annehme, dass es besonders viele Likes bekommt?

Sie argumentieren in Ihrem Buch oft mit der Koran-Übersetzung und -Auslegung von Muhammad Asad – ebenfalls einem Konvertiten. Die breite Masse trifft das wohl eher nicht.

Es gibt Bücher zu Frauen im Islam, die von einer schrecklichen Macho-Religion sprechen, auf der anderen Seite gibt es Leute, die nur die schönen Seiten der Religion herauskehren. Mir hat immer ein Buch von bekennender muslimischer Seite gefehlt, das kritisch an Dinge herangeht, bei dem man sich nicht auf dem Stehsatz ausruhen kann, dass Religion wunderbar und nur die Tradition böse ist. Wie weit haben wir diese Traditionen über hunderte Jahre durchrutschen lassen – und vielleicht sogar mit der Auslegung gestützt? Darüber zu diskutieren ist ein Bedürfnis, das an der muslimischen Basis sehr stark ist. Gerade bei den Frauen.

Männer haben diesen Leidensdruck nicht, werden also nicht viel in diese Richtung tun.

Männer sind auch betroffen von Rollenbildern – etwa als Ernährer. Das ist ja genauso einengend, auf eine solche Rolle reduziert zu werden. Ein Mann ist in der Community doch nicht nur dann ein guter Mann, wenn alle sagen, dass er seine Frau so gut behandelt, weil sie es nicht notwendig hat, arbeiten zu gehen. So war es in den Siebzigern übrigens auch noch in Europa üblich – da konnte ein Mann per Gesetz seiner Frau verbieten, arbeiten zu gehen.

Nach außen hin wirkt es oft so, dass Männer sich an weniger Regeln halten müssen – der Mann im Ruderleiberl, die Frau mit Kopftuch und wallendem Mantel.

Ich fühle mich nicht wohl, wenn Freiheit darauf reduziert wird, möglichst wenig anzuziehen. Es ärgert mich, wenn der Diskurs an einer Äußerlichkeit aufgehängt wird, weil es wichtigere Dinge gibt – etwa politische Mitsprache, nach außen sichtbar mitgestalten. Innermuslimisch ist es wichtig, sich anzuschauen, mit welchen religiösen Argumenten Frauen vom Leben in der Gesellschaft abgeschnitten wurden. Oft wurde ihnen damit verkauft, dass sie damit geschützter und respektierter wären. Manche Frauen haben sich auch in diesem Rollenbild häuslich eingerichtet. Aber ich möchte keine Perle im Schatzkästchen sein, wie es dann oft heißt, sondern meine Potenziale einbringen können.

Aber müssen sich Frauen nun an mehr Regeln halten als Männer?

Hören wir auf, eine Ideologisierung von Kleidung zu betrieben. Viele Frauen mögen es, wie sie gekleidet sind. Aber sie möchten damit nicht in eine Schublade gesteckt werden, sondern mit dieser Kleidung genauso an der Gesellschaft teilhaben können.

Sie schreiben, dass sich eine für Außenstehende befriedigende Antwort zum Kopftuchtragen schwer geben lässt. Was ist denn nun der Zweck der Übung?

Wenn man sich im Sommer ins Bett legt, egal, wie heiß es ist, wird man sich vielleicht nicht die Bettdecke, aber ein Leintuch überziehen. Bedeckung kann auch ein Stück Geborgenheit bedeuten. Für muslimische Frauen ist das ein Bestandteil des Glaubens. Es tut gut.

Es ist eine religiöse Übung, die aus einer bestimmten Kultur kommt – die unter anderem dazu diente, Männer nicht auf sich aufmerksam zu machen. Ist das nicht ein Armutszeugnis für Männer?

Wenn man das Kopftuch auf einen Schutz für die Frau verkürzt, hat das problematische Konsequenzen. Darum sollten auch Männer über ihr Rollenbild nachdenken – sonst würde es bedeuten, dass Männer nur an das eine denken. Das wäre unfair ihnen gegenüber, und so kenne ich Männer auch nicht.

Muslimas sind während ihrer Menstruation von vielen Dingen „befreit“ – das wurde doch eher in ein Verbot umgemünzt.

Ja, die Befreiung von manchen gottesdienstlichen Handlungen wurde umgedeutet als allgemeiner Indikator, warum die Frau in dieser Zeit nicht ganz zurechnungsfähig sei und gleich auch von Verantwortung, wie sie die „rationalen“ Männer in Entscheidungspositionen tragen, als zu „emotional“ befreit werden müsse. Das hat mich fürchterlich geärgert – vor allem, weil manche Frauen das selbst aufnehmen.

Derartige Auslegungen sind aber weitverbreitet.

Aus Schutz wird Bevormundung. Da möchte ich auch dazu einladen, gesamtgesellschaftlich über Frauen- und Männerbilder zu diskutieren.

Sie haben ein Beispiel gebracht, dass in der agrarisch geprägten alten Heimat Mädchen und Buben gleichberechtigter waren als in der westlichen Berufswelt – das klingt schon sehr sozialromantisch.

Da haben Sie recht. Aber es geht um einen anderen Punkt: Viele Aufgaben, die Burschen in der agrarischen Gesellschaft hatten, fallen hier weg – aber es wird kein Ersatz gesucht. Damit hat das Mädchen weiter Hausarbeit, aber den Stall auszumisten fällt weg. Mir geht es nicht darum, eine alte Arbeitsteilung schönzureden, sondern festzuhalten, dass es eine gab – und die Burschen sich nicht nur bedienen ließen.

Bedeutet Gleichstellung für Sie auch, dass Männer und Frauen ohne räumliche Trennung miteinander in der Moschee beten?

Ein Gebet ist ein spiritueller Akt. Ich spüre die Gemeinschaft, aber suche individuell die Verbindung zu Gott. Da fühle ich mich wohl in einer Gruppe von Frauen und kann mich besser konzentrieren, als würden Männer und Frauen durcheinanderstehen.

Die symbolische Ebene der Trennung ist also kein Problem für Sie?

Ich will nicht eingequetscht sein zwischen wildfremden Männern. Aber die Moschee muss als Raum der Begegnung von Männern und Frauen entdeckt werden. Wenn ich danach etwas diskutieren will, will ich jedenfalls nicht in eine Frauenetage abgedrängt werden.

Steckbrief

Carla Amina Baghajati
(geb. 1966 in Mainz) konvertierte 1989 zum Islam. Sie absolvierte in Wien eine Schauspielausbildung.

Engagement
1999 Mitgründerin der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen. Seit vielen Jahren – mit einer kurzen Unterbrechung – Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

Buch
„Muslimin sein. 25 Fragen – 25 Orientierungen“, 2015, Tyrolia.

Präsentation
Dienstag, 12.Mai, 18.30 Uhr, Altes Rathaus, Wipplingerstraße 6–8, Eintritt frei

Frau Baghajati, darf man Sie auch fragen...


1. . . ob Sie Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ gelesen haben?

Den Klappentext. Vielleicht schau ich mal rein, ich habe mich ja auch für Salman Rushdie interessiert und finde den Diskurs wichtig. Also muss ich mich auch mit solchen Dingen beschäftigen.


2. . . ob Sie TV-Serien wie „Vorstadtweiber“ schauen?

Manchmal ja, nur die habe ich verpasst, weil mir die Sendezeit zu früh ist. Ich mochte „Braunschlag“ sehr gern, in dem es Marienerscheinungen gab. Da habe ich mich köstlich amüsiert. Und ich mag englische Comedy, etwa Monty Python.


3... ob Sie manchmal dem Konsum verfallen?

Wenn, dann decke ich mich mit Büchern ein. Wenn ich ein Buch kaufen will, komme ich manchmal mit sechs aus der Buchhandlung raus. Das sind islamwissenschaftliche Bücher – und daneben lese ich sehr gern englische Krimis im englischen Original. Damit halte ich mein Englisch fit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

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