Psychotherapeutin: "Hören Sie auf Ihr Unbewusstes"

Andrea Jolander
Andrea JolanderAndreas Friedrich (Random House)
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Die deutsche Psychotherapeutin Andrea Jolander widmet sich in ihrem jüngsten Buch dem Unbewussten – und erklärt, warum wir weniger grübeln und lieber auf unser inneres Archiv hören sollen.

Sie befassen sich in Ihrem neuen Buch mit dem Unbewussten. Was ist das eigentlich?

Andrea Jolander: Das Unbewusste ist 95 Prozent dessen, was in unserem Gehirn vor sich geht. Nur fünf Prozent nehmen wir bewusst wahr. Sigmund Freud hat ja schon vom Unbewussten gesprochen. Er hat etwas Richtiges geahnt, aber teilweise stark eingeengt, weil er dachte, das Unbewusste ist alles, was wir verdrängen, weil es mit Unangenehmem oder Verbotenem wie Sexualität zu tun hat. Heute kann die moderne Hirnforschung ganz klar bestätigen, dass ein Großteil dessen, was in unserem Gehirn vor sich geht, komplett an unserer bewussten Wahrnehmung vorbeigeht. Aber es geht nicht um Verdrängung, sondern das hat rein ökonomische Gründe. Bewusstes Denken verbraucht sehr viel Energie, sehr viel Glukose und Sauerstoff.

Aber was ist es, das in unserem Gehirn abläuft? Ist es dasselbe wie Denken?

Das Gehirn arbeitet vor allem mit Verknüpfungen. Das heißt, das, was uns beim Zähneputzen oder Spazierengehen einfällt oder uns manchmal nachts weckt, als spontaner Gedanke oder geniale Lösung für ein Problem, ist das Ergebnis dieser Verknüpfungen, die in unserem Gehirn ständig mit einer ungeheuren Geschwindigkeit aktiv sind. Diese Verbindungen können alles, was in unserem Gehirn gespeichert ist, ein Leben lang miteinander verknüpfen.

Aber ist es ein Denken?

Nein, als Denken würde man eher das Bewusste bezeichnen.

Also ein Spüren? Und was ist Instinkt?

Den Instinkt würde ich davon abgrenzen. Das Unbewusste bezieht sich zum einen auf Instinkte, die in uns wirksam sind, auch wenn wir sie eher Tieren zuschreiben. Wir sind zum Beispiel imstande, nur über den Geruchssinn Informationen über das Immunsystem eines anderen Menschen wahrzunehmen. Und wir finden instinktiv jene Menschen anziehender, die ein anderes Immunsystem als wir haben, was den Immunschutz für die Nachkommen besser gewährleistet. Das andere, was das Unbewusste leistet, ist, dass wir von Anfang an, sogar schon vor der Geburt, ungeheuer viel lernen. Diese Verknüpfungen erreichen im neunten Lebensmonat ihren Höhepunkt. All das ist gespeichert und steht uns zur Verfügung. Das heißt, wir sehen etwas, nehmen etwas wahr, und schon werden Verknüpfungen aktiviert, manchmal auch auf eine ungünstige Weise. Zum Beispiel hat man herausgefunden, dass wir Menschen, denen wir bei einem kalten Getränk gegenübersitzen, als kühler wahrnehmen als bei einem heißen Getränk. Das ist natürlich etwas, mit dem die Werbung stark arbeitet.

Warum vernachlässigen wir das Unbewusste so? War das früher anders?

Nein. Schon Descartes hat gesagt: Ich denke, also bin ich. Wir haben früher geglaubt, es gibt noch einen anderen, dunklen Teil, der ein bisschen unheimlich ist, der sich in Träumen zeigt oder gar mit finsteren Mächten zu tun hat. Erst mit Sigmund Freud und der modernen Hirnforschung haben wir angefangen, uns damit auseinanderzusetzen, dass es dieses innere Archiv gibt, auf das wir uns aber so wenig verlassen.

Aber warum?

Weil es ein sehr fremdes Terrain ist, wir haben keinen direkten Zugang dazu. Die Leute nehmen es nicht als Teil von sich wahr, so lange sie nicht wissen, wie es funktioniert. Wir wissen gar nicht, was für eine ungeheure Kraft uns zur Verfügung steht. Man kann lernen, damit umzugehen und die Impulse nicht mehr als den inneren Schweinehund anzusehen, sondern als etwas, das aus einem Teil von uns kommt, der viele Informationen hat, auch über unsere Körperdaten, und uns deshalb genau die richtigen Dinge rät.

Es gibt Menschen, die einen besseren Zugang zu ihrem Unterbewussten haben.

Ganz bestimmt. Es gibt Untersuchungen über Exzentriker – man schätzt, dass nur einer von 10.000 einer ist. Das sind Menschen, die Impulsen ihres Unterbewussten sehr viel Gehör schenken und relativ verrückte Ideen umsetzen. Man hat festgestellt, dass sie länger leben, gesünder sind und jünger aussehen. Es tut uns gut, nicht gegen diesen doch sehr klugen Teil in uns zu handeln, sondern auf ihn zu hören.

Woran liegt es, dass manche Leute weniger darauf hören?

Es wird uns sehr stark ausgetrieben. Ich könnte mir vorstellen, dass in Familien, in denen man einem Kind nicht sagt, das ist Unsinn, lass das bleiben, man macht das so und nicht so, sondern in denen ein Kind ermutigt wird, auch sehr fantasievoll zu sein, dass man dort auch einen viel besseren Kontakt zu seinem Unbewussten behalten darf.

Da kommen wir zur Norm. Sie schreiben, dass die Norm zwar gut ist, weil sie uns das Miteinander erleichtert, aber auch problematisch sein kann, wenn sie zu wichtig wird.

Die Menge macht das Gift. Normen geben natürlich Sicherheit. Wir möchten uns darauf verlassen können, dass sich im Straßenverkehr andere an Regeln halten. Auf der anderen Seite schränkt sich jemand, der nur macht, was der Norm entspricht, sehr stark ein.

Kann man das ablegen?

Ja. Zu uns niedergelassenen Psychotherapeuten kommen oft Leute, die sich zu stark an Normen anpassen. Wir schauen dann gemeinsam: Wo kommt das her, wo hast du das gelernt, warum musst du so brav sein, warum ist die Angst so groß, abgelehnt zu werden. Wenn man sich auf die Impulse seines Unbewussten einlässt, auch wenn sie im ersten Moment dysfunktional erscheinen, ist es eine ungeheure Befreiung zu merken: Was in mir ist, arbeitet nicht gegen mich, sondern für mich. Es tut das nicht immer optimal, aber es versucht, gute Vorschläge zu machen.

Sie bringen auch das Aufschieben als Beispiel. Das ist also gar nicht so schlecht.

Nein. Es ist dem Unbewussten egal, ob man es für ökonomischer hält, die anstehende Arbeit auf mehr Zeit zu verteilen. Das Unbewusste hat die Erfahrung gemacht, dass wir unter Druck besonders gut arbeiten. Das heißt, unser Unbewusstes sagt: Je länger du das rausschiebst, desto weniger pfuscht du mir ins Zeug und desto mehr greifst du auf das zurück, was in dir gespeichert ist.

Sie schreiben auch, dass Übergewicht mit dem Unbewussten zu tun hat.

Ich habe mich oft gefragt, warum es so viele übergewichtige Teenager gibt. Ich mache als Therapeutin immer wieder die Erfahrung, dass wir Magersüchtige heilen können, aber dass es schwer ist, bei Übergewicht gegenzuwirken. Natürlich können Übergewichtige abnehmen, aber sie nehmen meist wieder zu. Mich überzeugt da die Theorie: Nicht das Gewicht ist das Problem, sondern ein erhöhter Stresshormonspiegel.

Man müsste also viel mehr umstellen als nur die Ernährung?

Genau. Der Autor Achim Peters sagt etwa, es gibt Menschen, die auf Stress mit Übergewicht reagieren, und das ist immer noch gesünder, als unter Stress abzunehmen. Es ist natürlich für eine Gesellschaft viel einfacher, den Opfern selbst die Schuld zu geben, anstatt zu fragen, wie müssen wir Dinge anders gestalten, damit es den Menschen besser gehen kann. Und zu schauen, was denn die Bilder von Jugendlichen heutzutage prägt. Alles, was wir in der Werbung oder im Kino sehen, prägt unser Bild von der Welt. Die Leistungsfähigkeit unseres Unbewussten liegt darin, es zu speichern, es bewertet aber nicht. Zum Bewerten braucht man dann schon den bewussten Teil.

Wie gut ist das Unbewusste erforscht?

Eigentlich erst, seit es die bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung gibt, also seit 20 Jahren. Davor dachte man, das Gehirn eines Babys sei eine verkleinerte Version der Gehirne der Eltern. Man weiß heute, das stimmt nicht. Sein Aufbau ist stark davon abhängig, was in den ersten Lebensmonaten und den ersten eineinhalb Jahren geschieht.

Sie raten dazu, weniger zu grübeln.

Ja, absolut. Grübeln kann auch ein Zeichen einer Erkrankung sein. Depressive Patienten neigen sehr stark zum Grübeln. Das heißt nicht, dass Grübeln per se schlecht ist. Aber man sollte Impulse aus dem Unterbewussten ernster nehmen. Das ist kein unnützes Zeug, sondern wirklich klug. Es kann sogar Leben retten, etwa uns vor einem Verkehrsunfall bewahren, indem es das bewusste Denken ausschaltet. Da sagen wir dann, das ist Wahnsinn, wie ich das geschafft habe – völlig unbewusst. Aber das passiert dauernd in uns.

Zur Person

Andrea Jolander(Jahrgang 1952) ist das Pseudonym einer deutschen Psychotherapeutin, die seit mehr als dreißig Jahren tätig ist und mehrere Bücher verfasst hat. Sie betreibt eine eigene Praxis und bildet Psychotherapeuten aus. Sie ist verheiratet und lebt in Baden-Württemberg.

Andreas Friedrich

Denken sie jetzt nichts

Andrea Jolander
Warum wir instinktiv die besten Entscheidungen treffen. Heyne Verlag, 224 Seiten, € 15,50, ab 18. Mai im Buchhandel erhältlich.

Die Psychotherapeutin erklärt in ihrem jüngsten Buch, warum wir spontanen Entscheidungen den Vorzug geben sollten. Sie bringt dazu Beispiele aus der Neurowissenschaft, der Psychologie und ihrem Praxisalltag und schreibt alltagsnah.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2015)

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