Birgit Minichmayr: "Aber kämpferisch zu sein mag ich auch"

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"Ich plädiere für Betriebsgeheimnisse", sagt die Schauspielerin Birgit Minichmayr. Sie probt gerade Henrik Ibsens "John Gabriel Borkman" für die Wiener-Festwochen-Premiere.

Am Donnerstag ist die Wiener-Festwochen-Premiere von Henrik Ibsens „John Gabriel Borkman“ und Sie stecken mitten in den Proben. Nervt es Sie, in so einer Phase Interviews zu geben?

Birgit Minichmayr: Ich hätte es am liebsten, wenn ich es nicht machen müsste, aber es gehört zum Job. Dabei kann ich Fragen über meinen Beruf oder wie ich eine Rolle entwickle gar nicht beantworten. Denn wie beschreibt man einen kreativen Moment? Das ist etwas, das ich nicht so erklärbar machen kann. Ich vermeide es deshalb, weil ich es dann auch profan finde. Ich plädiere für Betriebsgeheimnisse. Es reicht, wenn ich mich auf der Bühne zeige. Das sollen die Leute beschreiben. Aber meinen Senf noch dazuzugeben und in Bahnen zu lenken, wie man es sehen soll, das liegt mir alles sehr fern.

Geht etwas verloren, wenn man den eigenen kreativen Prozess zu verbalisieren beginnt?

In einer Diskussion nach einer Probe mit meinen Kollegen, da kann ich mich schon artikulieren. Aber da sind ja Menschen um mich, die alle am selben Atem beteiligt sind. Mit den Leuten, mit denen man im selben Boot irgendwohin schippert, ist der Austausch ein ganz anderer, als wenn jemand von außen kommt und mich fragt, wie ich die Gunhild anlege. Was soll ich sagen, wenn wir gerade erst die Hälfte des Stücks geprobt haben? Vielleicht haue ich ja morgen noch mal alles um.

Ziehen Sie sich auch privat in den Tagen vor der Premiere zurück?

Am Schluss schon, da bin ich auch nicht mehr fähig, eine Freundin am Abend zu treffen. Und ganz schlecht im Zuhören. Ich bin dann sehr unaufmerksam, weil mir alles Mögliche durch den Kopf geht.

Das stelle ich mir schön vor, so in eine Rolle abzutauchen.

Das ist wahnsinnig schön! Aber von außen wird man immer gefragt: Was macht die Figur mit dir? Wie kommst du denn wieder heraus, wenn du so dunkle Sachen sagst?

Müssen Sie denn herauskommen?

Nein. Ich will da gar nicht rauskommen. Aber wenn ich das sage, hat das nichts mit einem krankhaften Zustand oder einem schizophrenen Verhalten zu tun. Selbst wenn ich mit einem Kindesmord beschäftigt bin, muss ich da nicht rauskommen. Das ist aber auch nicht so tragisch, denn ich hab's ja nicht gemacht.

Wenn Sie das sagen, denke ich an Rainer Maria Rilkes Gedicht „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus“ .

Ja genau. Ich muss mich auch von diesen Erwartungen und Kommentaren befreien wie: Na, da hast du dich ja nur selbst gespielt. Das bist ja voll du.

Was soll das eigentlich heißen?

Man kann sagen, das ist ein Kompliment an mein authentisches Spiel. Aber es heißt auch: Das bist eh wieder du, dann ist es ja keine Qualität. Aber was damit gemeint ist, ist mir selbst auch nicht klar.

Dahinter steht der Versuch Außenstehender, sich diesen Prozess der Verwandlung zu erklären.

Das verstehe ich auch. Aber würde man Sie über den Tag beobachten, mit wie vielen Menschen Sie an einem Tag kommunizieren und wie unterschiedlich Sie das machen, dächte man sich auch: Krass, das ist eine Person?

Sie wirken sehr gelassen. Erleben Sie die Probenzeit so positiv?

Ja, es ist eine coole Lebenszeit. Darüber freue ich mich. Sie erfüllt mich sehr.

Gehen Sie danach auch dann und wann verzweifelt nach Hause?

Ja, wenn etwas mal nicht funktioniert. Ich komme aber nicht in so einen Lähmungszustand, sondern denke mir: Okay, wir zäumen das Pferd von einer anderen Seite auf.

Wie wichtig sind die anderen Schauspieler beim neuen Aufzäumen?

Ganz wichtig. Was ich bekomme, da mache ich etwas draus. Je schöner das Agieren ist, desto schillernder kann ich reagieren. Man schaukelt sich gegenseitig hoch und bildet zusammen eine Atmosphäre. Mit manchen funktioniert es gar nicht und mit manchen blind.

Was machen Sie, wenn der andere sich nicht so verhält, wie Sie sich das wünschen?

Ich brauche meinen Partner total, aber ich habe ganz schnell gelernt, mich von Hemmnissen zu befreien, die ich mir ja eigentlich nur selbst wähle, indem ich sie als Probleme markiere.

Wie meinen Sie das?

Wenn mich ein Kollege beim Spielen nicht anschaut, kann ich nicht einfach sagen: „Du schaust mich nicht an, also kann ich nicht sprechen.“ Denn wenn er mich nicht anschaut, hindert mich das ja nicht, trotzdem mit ihm zu spielen. Autark zu bleiben schützt mich und holt mich aus dieser Abhängigkeit heraus.

Schön, wenn Ihnen das gelingt.

Es gelingt nicht immer. Manchmal gibt es Kollegen, die mehr gegen als mit einem arbeiten. Aber selbst da kann man es schaffen, sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Aber kämpferisch miteinander zu sein mag ich auch. Als junge Schauspielerin habe ich einmal einen älteren Schauspieler verzweifelt sagen hören: Es hilft mir ja keiner! In dem Moment dachte ich mir nur: Lieber Gott, lass mich diesen Satz nie sagen!

Lieber selbst Verantwortung übernehmen.

Ja, das finde ich auch an Simon Stone (Anm.: Er führt bei „John Gabriel Borkman“ Regie) so großartig. Es ist ganz erstaunlich, mit welcher Verantwortung er seinen Beruf wahrnimmt.

Wie zeigt sich das?

Wir hatten eine Szene, die nicht so funktioniert hat, wie wir uns das vorstellten. Da sagte er: „No, it is not on you, it is my responsibility.“ Es lag also nicht daran, dass wir falsch gespielt haben, sondern daran, dass die Szene falsch gebaut war. Das entlastet einen. Es geht nicht darum, dass ich es nicht gebracht habe. Sondern er wird so handwerklich, so angenehm pragmatisch.

Stone ist 29 Jahre alt. Haben Sie schon einmal davor mit einem jüngeren Regisseur gearbeitet?

Nein, noch nie. Ich mag, wie fein besessen er von seinem Beruf ist, er bringt und gibt einem eine irrsinnige Energie. Er hat ganz viel Ahnung vom Handwerk Regie. Wo das hingeht, wissen wir noch nicht, aber ich bin voll Vertrauen.

In dem Stück geht es auch um das Verhältnis der beiden Zwillingsschwestern Ella und Gunhild. Haben Sie sich gleich als Gunhild gesehen?

Ich fand Gunhild beim ersten Lesen die Interessantere. Es heißt ja immer, Borkman ist da oben im Haus und geht nicht raus, aber sie macht es ja genauso. Sie sitzt da wie so eine Spinne, nur mit dem Unterschied, dass sie ihn da oben noch gehen hört. Sie igelt sich genauso ein, hockt da und wartet, dass Ruhm und Glanz wieder hergestellt werden.

Und hasst ihren Mann, trennt sich aber nicht von ihm. Bindet Hass?

Ja, genauso wie die Liebe. Es gibt Ehepaare, die über Jahre einen Scheidungskrieg führen. Das ist eine pervertierte Form, sich nicht loslassen zu können. Also muss da etwas sein. Wenn jemand in dir noch etwas auslöst, bist du noch nicht fertig mit ihm.

Auszusprechen, dass man hasst, ist ja verpönt. Man wird sofort zurechtgewiesen.

Das ist mir auch schon passiert: „Das darfst Du nicht sagen, das ist ein zu großes Wort. Du bist noch nicht im Reinen.“

Aber manchmal hasst man eben und kann noch nicht verzeihen.

Ja, vielleicht kann man es ja irgendwann auch. Aber wenn ich es noch nicht kann, dann verzeihe ich mir, dass ich noch hassen muss.

Schlimm ist es halt, wenn man sich bei den eigenen Beziehungen immer wieder in denselben Mustern verfängt.

Dann braucht man das Muster noch. Das ist doch das Interessante. Ich frage mich auch, wieso mir etwas immer und immer wieder passiert. Dabei kenne ich mich doch schon so lange. Und manchmal lösen sich auf einmal Muster auf, weil sich einfach etwas getan hat.

Und was ist dann?

(Lacht.) Dann tut sich eine andere Tür auf und es meldet sich schon wieder ein neues Muster, das ich noch gar nicht kannte. Ich habe immer das Gefühl, ich bin mit tausenden Mustern behaftet, die ich noch gar nicht kenne.

Steckbrief

1977
wurde Birgit Minichmayr in Pasching in Oberösterreich geboren.

Nach der Matura ging sie ans Max-Reinhardt-Seminar, wurde jedoch schon während des dritten Studienjahrs ans Burgtheater engagiert.

1999
debütierte sie dort als Dirne in Schnitzlers Drama „Reigen“. Heute spielt Minichmayr an allen namhaften deutschen Bühnen und arbeitet mit den bekanntesten Regisseuren zusammen, darunter Luc Bondy, René Pollesch, Martin Kušej, Sven-Eric Bechtolf.

Minichmayr ist nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Film zu sehen, etwa in „Spiele Leben“ oder in Michael Hanekes „Das weiße Band“.

Am 28. Mai 2015
hat sie Premiere am Akademietheater mit Henrik Ibsens „John Gabriel Borkman“.

Frau Minichmayr, darf man Sie auch fragen...


1. . . ob Sie finden, dass es mit dem Alter leichter wird, sich anzunehmen?

Ich finde schon. Es wird leichter, weil ich mit mir besser oder anders umgehe. Ich habe viel mehr bei mir Platz genommen als vor zehn Jahren. Ich weiß, was ich will und was ich nicht will, und kann das auch artikulieren. Und wenn ich einmal in so einem Strudel bin, dann verzeihe ich mir halt. Sag mir: „Macht nichts, bist halt noch drinnen. Das darf auch sein.


2. . . ob Sie mit dem Begriff Scheitern etwas anfangen können?

Was soll das sein? Sicher gelingt mal etwas nicht oder war nicht gut. Aber ich könnte von mir nicht sagen, dass ich schon je gescheitert wäre. Es gibt doch mehr als das reine Gelingen und Nichtgelingen in meinem Beruf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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