Die Heirat als Strategie zum Überleben

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Eine Frau, die mehrere Männer heiratet – oder umgekehrt. Die Polygamie gibt es in vielen Kulturen und in zahlreichen Ausprägungen. Und dafür gibt es meist ganz handfeste Gründe.

Ladakh ist ein menschenfeindliches Umfeld. Im indischen Himalaja gibt es nur wenig fruchtbaren Boden, der von den Bewohnern bestellt werden kann. Dass das wenige Land unter den Söhnen einer Familie aufgeteilt wird, würde zwangsläufig dazu führen, dass bald niemand mehr genug Anbau- und Weidefläche zum Überleben hätte. Die Lösung wirkt aus europäischer Sicht äußerst ungewöhnlich – wenn eine Frau einen Mann heiratete, wurden seine Brüder gleich mitverheiratet.

Diese Polyandrie hatte gleich mehrere Funktionen. Zum einen konnte man vermeiden, dass das Land zerstückelt und damit für die Landwirtschaft nicht mehr sinnvoll nutzbar wird. Zum anderen diente diese Form der Ehe auch der natürlichen Begrenzung des Bevölkerungswachstums – denn egal, wie viele Männer eine Frau hat, ist doch die Zahl möglicher Nachkommen begrenzt. Mit einer Liebesheirat im Verständnis der westlichen Welt hat eine solche Verbindung wenig zu tun. Hier spielten vor allem wirtschaftliche Notwendigkeiten eine Rolle, dass nämlich das Überleben gesichert wird. Auch in anderen Regionen des Himalaja gehörte die Polyandrie zu den sozialen Überlebensstrategien. Die Ehe war schlicht das Resultat der Umweltbedingungen. Wobei derartige Ehen in der Himalajaregion auch neben monogamen Kernfamilien existierten – die Polyandrie also nur eine von mehreren Strategien war, wie die Familienstruktur und die vorhandenen Ressourcen aufeinander abgestimmt wurden.

Entlegene Dörfer

Zwar ist ein großer Teil von Ladakh nach wie vor nur schlecht erschlossen und ist das Leben in der Region hart – doch ist die Bedeutung dieser Familienform geschrumpft. Nicht zuletzt, weil die Vielehe im Bundesstaat Kaschmir verboten ist. Doch finden sich in abgelegenen Dörfern immer noch gelegentlich Frauen, die mit mehreren Brüdern verheiratet sind.

Weitaus bekannter ist in der Öffentlichkeit die umgekehrte Variante der Polygamie, nämlich die Polygynie, bei der ein Mann mehrere Frauen hat. Sie hat einen völlig anderen Hintergrund – aus biologischer Sicht nämlich den, möglichst viele Nachkommen zu zeugen. Aber auch soziale Gründe können hier eine Rolle spielen, etwa dann, wenn ein Mann neben seiner ersten Frau eine verwitwete Frau heiratet – und damit für ihre Versorgung zuständig ist. In weiten Teilen Afrikas, aber auch im Nahen und Mittleren Osten und einigen asiatischen Ländern trifft man auf sie. So kursieren Zahlen, dass etwa in Burkina Faso mehr als die Hälfte der Frauen in polygamen Ehen leben sollen. Und in Kenia wurde erst vergangenes Jahr die Vielehe für Männer offiziell per Gesetz erlaubt – gegen den Protest der Frauen. Diese stießen sich allerdings nicht an der Vielehe selbst, die schon vorher weit verbreitet und nicht verboten war, sondern an einigen Details des Gesetzes. So wurde unter anderem der Erstfrau kein Vetorecht gegen eine Zweitfrau eingeräumt, das in einem ersten Entwurf noch vorgesehen war.

Vielehe im Islam

Polygynie wird auch immer wieder mit dem Islam in Zusammenhang gebracht. Tatsächlich gibt es einige muslimisch geprägte Kulturen, in denen die Vielehe für Männer erlaubt ist, darunter etwa Saudiarabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Gleichzeitig ist sie aber in der Türkei oder Tunesien verboten, Länder wie Ägypten oder der Libanon haben rechtliche Einschränkungen geschaffen, etwa die Bestätigung durch ein Gericht oder von Seiten der Frau. Der theologische Hintergrund für die Polygynie findet sich in Sure 4,3 des Koran, in der die Zahl der Ehefrauen auf vier beschränkt wird. Allerdings finden sich auch Einschränkungen – so muss der Mann auch jeder dieser Frauen den gleichen Lebensunterhalt bieten und sie gleich behandelt.

In der Sure 4,129 wird zudem gewarnt, dass man die Ehefrauen nie wirklich gerecht behandeln könne, selbst wenn man es wollte. Als Begründung, warum ein Mann mehrere Frauen haben soll, wird von islamischer Seite unter anderem vorgebracht, dass es ein wichtiges Motiv des Propheten Mohammed gewesen sei, auf diese Weise Witwen zu versorgen, deren Männer im Kampf gefallen sind. Auch würde die Polygynie Frauen im Fall von Kriegen oder Katastrophen eine legale Ehe ermöglichen.

Aus dem Islam kommt auch die sogenannte Zeitehe – konkret handelt es sich um eine Tradition aus dem schiitischen Islam. Gemeint ist, dass eine Ehe für einen bestimmten Zeitraum, von einigen Stunden bis zu 99 Jahren, geschlossen werden kann. Ursprünglich war sie dazu gedacht, dass Pilger oder Soldaten legal ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen können. Heute wird sie etwa im Iran eingesetzt, um dahinter Prostitution zu verbergen. Von sunnitischer Seite kommt deswegen auch immer wieder Kritik. Gerade weil der Islam keine zentrale Autorität hat, gibt es die unterschiedlichsten Auslegungen in Form von Fatwas, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen eine Ehe auf Zeit erlaubt ist.

Aus der jüdischen Thora kommt der Begriff der Leviratsehe oder Schwagerehe. Stirbt ein verheirateter Mann, ohne Kinder hinterlassen zu haben, heiratet sein Bruder die Witwe. Ziel ist die Zeugung eines männlichen Nachkommen. Auch bei mongolischen Völkern war diese Form der Ehe bekannt.

Ein mittlerweile nur mehr selten zu findender Brauch sind sogenannte Geisterhochzeiten in China. Stirbt ein junger Chinese unverheiratet, macht sich die Familie auf die Suche nach einer verstorbenen Frau, die ihm angetraut werden könnte – sie werden etwa in Leichenschauhäusern gekauft.

Bei der Bestattung werden die beiden getraut, um im Totenreich nicht allein sein zu müssen. Zuletzt war der Brauch 2013 in die Schlagzeilen geraten, als ein Mann zum Tode verurteilt wurde, weil er eine Frau ermordet haben und sie als Braut für eine Totenhochzeit verkauft haben soll.

Mehr als eine

Polygamie ist die Vielehe mit der Duldung gleichzeitiger eheähnlicher Beziehungen. Dabei wird unterschieden zwischen Polygynie – ein Mann hat mehrere Ehefrauen – und Polyandrie (eine Frau hat mehrere Ehemänner).

In Österreich sind sämtliche Formen der Polygamie verboten. Für das Delikt der Mehrfachehe drohen Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2015)

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