Serdar Somuncu: "Die Türkei ist ja nicht verschlossen"

Serdar Somuncu
Serdar SomuncuMichael Palm
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Als bissiger Redner ist er ein gern gesehener Gast in deutschen Diskussionssendungen, jetzt steht er in Wien auf der Bühne. Der deutsch-türkische Autor, Schauspieler, Kabarettist und ProvokateurSerdar Somuncu über die österreichische Gedächtnisgeschichte, seine Karriere als »Hassprediger« in Deutschland und die politische Zukunft der Türkei.

Sie haben bereits Ihr Buch „Der Antitürke“ – quasi ein Frühwerk – damit eröffnet, dass Sie die Missverständnisse zwischen Deutschen und Türken langweilen. Wie geht es Ihnen nach fünf weiteren Büchern und dem Sequel ihrer fiktiven Bühnenfigur „Der Hassprediger“ damit?

Serdar Somuncu: Mittlerweile beteilige ich mich nur noch selten an diesen Debatten. Die kommen und gehen, und je nachdem wie akut sie sind, hat dann jeder etwas zu sagen, ich gehöre da nicht mehr unbedingt dazu.

Sie erleben das Thema Integration persönlich gar nicht mehr?

Integration ist immer wichtig, aber es ist nie das zentrale Thema gewesen und wird es auch nicht sein. Es ist ein Spektrum verschiedener Dinge, die dazu besprochen werden. Im Moment ist es die Bekämpfung des Terrorismus oder der G7-Gipfel in Elmau, in Österreich sind es innenpolitische Themen. Das Spektrum wechselt, ich fühle mich keinem Thema verpflichtet.


Sie teilen Ihre Ohrfeigen jedenfalls gleichmäßig in alle Richtungen aus. Auf deutscher Seite packen Sie immer wieder den Nazi-Stempel aus. Wie denken Sie über Österreich, hier kam man lang nicht aus der Opferrolle heraus.

Tatsächlich hat es lang gedauert bis man in Österreich eingesehen hat, dass man an den zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur beteiligt war. Der Beitritt 1938 war ja mit großer Zustimmung der österreichischen Gesellschaft erfolgt. Lange Zeit nach dem Krieg hielt man an diesem Märchen fest, dass die Österreicher neutral gewesen wären und gegen ihren Willen von Hitler okkupiert worden wären. Mit der Waldheim-Affäre hat die Aufarbeitung spät, aber doch begonnen. Deutschland ist ein Stück weiter, obwohl hier auch viele Floskeln existieren. Geschichte ist ein immanenter Prozess, eine fortlaufende Verantwortung. In Österreich vermisse ich manchmal das Gespür für diese Verantwortung. Wenn z. B. die FPÖ damit kokettiert, radikal zu sein, sollte man auch als politischer Gegner sensibel und aufmerksam sein. Man muss sich im Klaren sein, wohin dieses Spiel mit dem Feuer der Demagogie führt – meistens ins Elend.


Damit bietet Österreich eigentlich auch einen guten Nährboden für Ihre Arbeit?

Ja, das stimmt, aber in Österreich gibt es nicht nur die FPÖ. Mehr als zwei Drittel der Österreicher wählen andere Parteien. Da sind vor allem die Sozialdemokraten und die christlich-bürgerliche Mitte, aber auch die Liberalen und die Grünen. Auch in Deutschland gibt es Bewegungen wie die Pegida und die AfD, die versuchen, den extremen Rand zu besetzen. Ich sehe das immer als eine Aufforderung, mich damit zu beschäftigen.

Welche österreichischen Eigenheiten sind Ihnen aufgefallen?

Viele, von den sprachlichen Eigenheiten bis zu den kulturellen. Aber vor allem das Selbstverständnis der Österreicher als Nachbarn Deutschlands ist bemerkenswert. In Österreich ist es eine Mischung aus Minderwertigkeitsgefühl und Größenwahn. Das wirkt manchmal etwas unbeholfen, zuweilen sogar etwas arrogant.

Wie begegnen Sie politischen Kräften, die vor einer Erosion unserer Kultur durch Zuwanderung warnen?

Ich nehme sie ernst, weil eine Partei, wie die FPÖ, die um die 30 Prozent der Bevölkerung erreicht, mit ihren Parolen offenbar etwas anspricht, was die Menschen beschäftigt. Daher muss man zuerst fragen, was will die FPÖ, wie stellt sie sich das ideale Österreich vor, und ist das auch etwas, was der Rest Österreichs will. Hier ist der Knackpunkt, ich denke nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung in einem Land leben möchte, in dem der Zuzug begrenzt ist und damit die Vielfalt einer pluralistischen Gesellschaft auf einen nationalstaatlichen Kern reduziert wird. Österreich ist kein Land, in dem man Angst haben muss, dass irgendwelche Strömungen von außen die eigene Identität unterwandern. Ich denke, viele Österreicher wollen ein aufgeschlossenes Land, in dem die Menschen, egal, welcher Herkunft, welchen Glaubens nebeneinander in Frieden leben können. Dazu braucht es aber auch Regeln. Die zu finden, darf man nicht den Extremen überlassen. Ein Konsens muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

Sie haben sich einmal als zerrissen beschrieben – innerlich deutsch, äußerlich türkisch. Ihre Wurzeln haben Sie auch zum Berufsthema gemacht. Wie steht es um Ihre Identität?

Das ist für mich kein Thema mehr, weil ich mich auch nicht entscheiden muss, ob ich Deutscher oder Türke bin. Beides ist sogar eher eine Bereicherung als eine Beschränkung. Wenn Sie zwei Sprachen sprechen, ist das ein praktischer Vorteil. Wenn Sie zwei Kulturen kennen, ist das für den Blickwinkel auf die jeweils andere Seite eine Bereicherung. Es gibt Menschen, die fühlen sich darin gefangen, das hat aber wahrscheinlich mehr mit ihrer Veranlagung zu tun als mit ihrer Herkunft.

Als „Hassprediger“ der Aufklärung, einem fiktiven Propheten des „Hassismus“, dessen einziges Gesetz es ist, ausnahmslos alle zu beleidigen, haben Sie vor vielen Jahren ein leeres Feld im Kulturbetrieb besetzt. Welche Erfolge hatten Sie?

Da gibt es viele. Manches war marginal, anderes zentral. Der wichtigste Triumph ist, dass ich mich gegen das Gebot der Mainstream-Medien durchsetzen konnte, bestimmen zu wollen, was das Publikum hören und sehen möchte. Am Anfang bin ich in Sendungen von großen Fernsehstationen aufgetreten, in die ich wahrscheinlich gar nicht gepasst habe. Nach einer langen Zeit der Restriktion, der Zensur, aber auch des redaktionellen Widerstandes, hat sich meine Idee, die ich auf der Bühne glaubhaft vertrete, auch im TV durchgesetzt. Das Bewahren meiner Glaubwürdigkeit hat mich konkurrenzfähig gemacht mit Künstlern, die nur durch Support der Sender und Sponsoren so weit kommen. Die Anerkennung des Publikums macht mich stolz.

Themensprung: Weniger erfolgreich ist die Parlamentswahl in der Türkei für Recep Tayyip Erdoğan verlaufen – nach zwölfeinhalb Jahren an der Macht muss sich die AKP einen Koalitionspartner suchen. Wie denken Sie darüber?

Es ist noch kein Grund zu feiern. Die Situation ist sogar eher schlechter als vorher. Denn die bisherige Eindeutigkeit der jetzt verlorenen absoluten Mehrheit hat zumindest die Gesellschaft mehr zusammengehalten, als es dieses uneindeutige Ergebnis tun könnte. Jetzt müssen sich Parteien einigen, die sich eigentlich diametral gegenüberstehen und die auch den Wahlsieg nur deshalb errungen haben, weil sie bestimmte Versprechen gemacht haben. Ich gehe nicht davon aus, dass die AKP oder die Kurdenpartei einknickt, um eine Koalition einzugehen. Das denkbar gefährlichste Szenario, aber leider auch das realistischste ist, dass Erdoğan die 45-Tage-Frist abwartet, auf Neuwahlen setzt und die vielen Stimmen, die jetzt an die Kurdenpartei gegangen sind, um sie über die Zehn-Prozent-Hürde zu hieven, wieder zurück an die AKP gehen oder bei der CHP landen und damit die AKP die absolute Mehrheit erringen kann. Dann sehe ich allerdings ein großes Problem. Das hätte nämlich zur Folge, dass die Verfassung verändert werden könnte und Erdoğan beinah uneingeschränkte Macht zufiele. Was er damit macht, ist etwas, was ich mir heute noch nicht ausmalen möchte.

Glauben Sie also nicht an eine Öffnung der Türkei?

Die Türkei ist ja nicht verschlossen, die Europäische Union ist es eher. Die Türkei klopft seit 40 Jahren an die Tür und die Europäische Union hält den Schlüssel in der Hand und stellt Bedingungen. Die Frage ist nicht die Offenheit, sondern die Richtung, in die sich die Türkei wendet. Wenn es so weitergeht wie bisher, will die Türkei wieder ein starkes Land sein, was sie zum Teil auch schon so ist – wirtschaftlich gesehen ist die Türkei auf Platz 17 der Industrienationen –, dann besteht die Gefahr, dass sich das Land mehr nach Asien und den Nahen Osten wendet. Das würde eine weitere Fundamentalisierung der türkischen Gesellschaft bedeuten. Daran kann Europa kein Interesse haben.

Sie haben Bücher über das Tabu der Vergangenheit und die Intoleranz der Gegenwart geschrieben, haben sich allen Extremen gewidmet. Wo wollen Sie als Künstler noch hin?

Nach Wien.

Sehen wir Sie in Zukunft öfter in Österreich?

Das hoffe ich sehr. Wenn die Österreicher wollen, wird das vielleicht eine längere Geschichte.

Steckbrief

1968
Serdar Somuncu wird in Istanbul geboren, zieht als Kind nach Deutschland, studiert später Schauspiel, Musik und Regie in Maastricht und Wuppertal. Ab 1985 inszeniert er rund 100 Theaterstücke.

1996
Mit einer Lesung aus Hitlers „Mein Kampf“ deckt er dessen Widersprüche satirisch auf und feiert einen Publikumserfolg. Er wird von Neonazis bedroht, bekommt Polizeischutz.

Bücher/TV
Von 2005 bis 2007 moderiert er die Bühnentalkshow „Schöner Reden“. Er veröffentlichte bisher zehn Bücher, darunter „Der Antitürke“ (2009) und „Hasstament“ (2013).

2015
Zu seinem 30-Jahr-Bühnenjubiläum spielt er „H2 Universe – Die Machtergreifung“, eine Fortsetzung des „Hasspredigers“. Somuncu ist heute im Stadtsaal zu Gast.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2015)

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