Jane Goodall: »Es kommt auf dich an«

Jane Goodall
Jane Goodall(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sie ist seit fast 30 Jahren ständig auf Reisen, obwohl sie am liebsten die Schimpansen, die sie weltberühmt gemacht haben, weiter erforschen und im Haus ihrer Kindheit an der englischen Küste leben würde. Jane Goodall über ihre Mission.

Mittlerweile sind es mehr als 150.000 überwiegend jüngere Menschen in mehr als 130 Ländern, die bei Initiativen Ihrer Foundation mitmachen und damit die Welt verändern wollen. Sie haben auch in Wien zu einigen hundert von ihnen gesprochen. Welche Botschaft haben Sie für sie?

Jane Goodall: Meine Botschaft lautet, dass jeder einzelne Mensch an jedem Tag auf diesem Planeten einen Einfluss hat. Das ist am wichtigsten: Es kommt auf dich an. Als Individuum machst du den Unterschied! Und die zweite: Anregungen, in unserem „Roots and Shoots“-Programm („Wurzeln und Sprösslinge“, das Kinder- und Jugendprogramm der Jane-Goodall-Foundation, Anm.) mitzumachen. Gruppen können mittun, wenn sie drei unterschiedliche Projekte vorschlagen: eines, um Menschen zu helfen, eines, um Tieren zu helfen, und schließlich eines, um etwas für die Umwelt zu tun. Ältere können auch alle drei Zielsetzungen mit einer Initiative abdecken. Und ich will sie ermutigen, die Ärmel hochzukrempeln und aktiv zu werden, die Welt zu verbessern.

Wurden Sie jemals gefragt, in die Politik zu gehen, ein politisches Amt zu übernehmen?

Nein, nie. Die Leute haben mir sehr oft gesagt, ich sollte in die Politik gehen. Ich habe immer wieder geantwortet: Nein, niemals.


Mit welcher Begründung?

Wenn man in die Politik geht, ändert sich alles, die Karriere, einfach alles. Wenn man wirklich in die Politik gehen will, dann will man gewählt werden und beginnt abzuwägen, was man tun muss, nur um gewählt zu werden. Man geht mit guten Vorsätzen in die Politik, dann schwinden sie mehr und mehr um des Wunsches willen, in der Politik auch erfolgreich zu sein. Es ist ein glattes Parkett. Die Leute rutschen aus.


Das heißt: Sie glauben, dass Politiker eher ein Teil des Problems sind, als dass sie Lösungen finden und umsetzen?

Ja. Aber andererseits ist es auch so: Will ein Politiker Maßnahmen einführen, die irgendetwas nur um ein paar Penny verteuert, was weniger als 50 Prozent unterstützen, dann wird das ganz einfach nicht beschlossen werden. Wenn wir uns wirklich ernsthaft über die Zukunft unserer Kinder Gedanken machen, dann müssen wir auch bereit sein, den Gürtel enger zu schnallen. Machen wir aber so weiter wie bisher, dann wird für unsere Urenkel nichts mehr da sein. Möglicherweise kann man das den Politikern anlasten; aber man muss auch die Wähler dafür verantwortlich machen.

Geht es Ihnen also darum, den Zugang der Mehrheit zu den Fragen des Lebens zu verändern?

Ja, genau.

Sie haben Ihre wissenschaftliche Karriere vor knapp 30 Jahren beendet, touren seither durch die Welt und halten Vorträge, wie eben hier in Wien. Ist die Welt Ihres Erachtens heute aufgeschlossener für Ihre Botschaft?

Ja, deutlich stärker.

Warum?

Weil die Leute besser gebildet sind, weil sie zu den Wissenschaftlern einen leichteren Zugang haben. Die Themen werden in den Medien behandelt; verantwortungsbewusste Medien berichten verantwortungsvoll. Allerdings sind manche Konzerne so mächtig, dass Medien über sie nicht berichten; zum Beispiel Monsanto ...

... hierzulande wird über diese Multis sehr wohl viel berichtet ...

... wie auch immer – die Öffentlichkeit ist heute besser informiert. Abgesehen von jenen wenigen, die eine Klimaänderung in Abrede stellen, sind die Menschen heute eher bereit zuzuhören. Und sie möchten etwas tun. Ich will diesen Menschen Hoffnung geben, sodass sie Hoffnung haben und ihren Teil beitragen können. Ohne Hoffnung machten sie gar nichts.

Sie sind Friedensbotschafterin der Vereinten Nationen. Einerseits gibt es wachsende Sorgen der Menschen um den Zustand der Welt, andererseits hat in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der Konflikte zugenommen. Es scheint auch mehr Angst zu geben. Wie sieht denn Ihre persönliche Einschätzung aus, und teilen Sie die Meinung vieler, dass alles komplizierter geworden ist?

Ja, es ist heute komplizierter. Viel von dem, worüber wir heute lesen, war uns vor 30 Jahren gar nicht bewusst. Wir bekommen heute viel mehr mit, was in entlegenen Winkeln der Erde passiert, wovon wir früher keine Ahnung hatten – dank der Courage von Journalisten, die sich zu wirklich gefährlichen Orten durchschlagen und oft auch ihr Leben verlieren. Ist die Welt also heute besser oder schlechter als früher? Ich weiß es nicht. Sie scheint sich nicht so sehr geändert zu haben. Nach dem Krieg hat jedermann – ob in Deutschland oder anderswo – geglaubt, dass sich der Holocaust nicht wiederholen könnte. Aber es hat wieder welche gegeben. Lernen wir daraus? Wiederholt sich die Geschichte? Ich weiß es nicht. Ich weiß lediglich, dass wir sehr, sehr hart daran arbeiten müssen, um ein anderes Bewusstsein entstehen zu lassen. Auch wenn wir glauben, dass es unmöglich ist, diese brutalen Instinkte wegzubekommen, wir müssen es versuchen.

Bemühen wir uns konsequent genug, arbeiten wir daran hart genug?

Nein, das tun wir nicht. Wir müssen unsere Stimme erheben und Courage haben.

Die Geschichte des Menschen ist wohl auch ein endloses Tauziehen zwischen Hoffnung und Gier. Was wird sich Ihres Erachtens letzten Endes durchsetzen: Hoffnung oder Gier?

Es muss die Hoffnung sein. Da bin ich ganz entschlossen – wenn wir uns nicht vorher selbst zerstören sollten; das ist die Gefahr. Meiner Meinung nach die entscheidende Frage dabei wird sein: Haben wir genug Zeit? Schauen wir uns doch an, wozu unser Hirn in der Lage ist, was etwa möglich geworden ist, um saubere Energie zu erzeugen, oder all die Innovationen zu finden, um in größerer Harmonie mit dem Planeten zu leben. All das wird zerstört durch die Gier einiger Konzerne, die weitermachen wollen wie bisher, weil sie damit die Butter auf ihr Brot bekommen. Sie wollen nicht, dass wir aufhören, Öl und Gas zu verwenden, zum Beispiel. Sie wollen kein Ende von genetisch veränderten Lebensmitteln, weil sie damit die Butter aufs Brot bekommen – auch wenn es genügend Beweise gibt, dass Gen-Lebensmittel kein Weg zu einer sauberen Welt sind und die Umwelt schädigen können.

Was halten Sie heute für die drängendsten Probleme der Menschheit?

Es gibt drei. Die Armut der Menschen, die sie dazu bringt, die Umwelt zu zerstören, nur um überleben zu können; das beginnt schon damit, dass sich viele nur billige Lebensmittel leisten können, deren Herstellung nicht nachhaltig ist. Zweitens, der nicht nachhaltige Lebensstil der übrigen Menschheit. Wir alle haben sehr viel mehr, als wir tatsächlich brauchen. Gandhi hat gesagt: „Die Welt hat genug, um die Bedürfnisse der Menschheit zu befriedigen, aber nicht genug, um deren Gier zu stillen.“ Und drittens, das Bevölkerungswachstum. Alle drei Dinge sind eng miteinander verwoben. Ich glaube, die Armut ist am leichtesten zu bekämpfen. Aber ich habe insgesamt sehr große Hoffnung, seit es diesen Papst gibt. Stellen Sie sich einen Papst vor, der sich vor Millionen hinstellt und sagt: „Nur weil wir uns vermehren können wie die Kaninchen, bedeutet es nicht, dass wir es auch tun sollen.“ Stellen Sie sich so einen Papst vor! Ich halte das für sehr ermutigend – so lange Zeit hindurch hat keine große Organisation das Thema angesprochen. Es ist politisch sensibel, es ist für Religionen sensibel. Ich habe das immer klar gesagt, weil es auch nicht nachvollziehbar ist zu erwarten, dass das funktionieren kann: Wir werden immer mehr, wir beuten die Erde immer mehr aus ... Wir hatten eine Gehirnwäsche: Neun Milliarden Menschen, dann zwölf Milliarden Menschen. Das kann nicht funktionieren ... armer Planet! Und wenn es irgendwie doch möglich wäre – in so einer Welt wollte ich nicht leben. Es wäre schrecklich.

Wenn Sie Ihr Leben zurückspulen und noch einmal leben könnten: Was würden Sie anders machen?

(Nach einer kurzen Pause.) Ich glaube, ich muss sagen: nichts. Irrtümer, Irrwege oder Fehler haben mich dorthin gebracht, wo ich jetzt bin. Wenn ich in der Lage wäre, es mir jetzt auszusuchen und das eine oder andere ändern könnte – dann machte mich das zu einem anderen Menschen. Die Folgen wären unabsehbar. Auch wenn es Dinge gegeben haben mag, die sehr wehgetan haben: Nein, ich änderte nichts.

Steckbrief

1934
Jane Goodall wird als ältere von zwei Töchtern in London geboren, wächst aber überwiegend in der Küstenstadt Bournemouth auf.

1957
Nach einigen Monaten Tätigkeit als Sekretärin schifft sie sich 1957 erstmals nach Mombasa ein, wo sie 1960 am Tanganjika-See im Norden Tansanias beginnt, eine Gruppe von Schimpansen zu erforschen. Sie entdeckt unter anderem, dass Schimpansen Werkzeuge benutzen. Die Arbeit im heutigen Gombe-Nationalpark macht sie weltberühmt.

1977
Um die Forschungsarbeit abzusichern, gründet sie 1977 das Jane Goodall Institute. Seit 1986 tourt Goodall um die Welt, um in Vorträgen für nachhaltige Lebensweise und den Schutz der Umwelt zu werben. Seit 2002 ist sie UN-Friedensbotschafterin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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