Leben in der Zukunft des Autofahrens

Elektroauto
Elektroauto(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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360 Grad Österreich: Zu wenig Reichweite, nicht alltagstauglich – wenn es um Elektromobilität geht, sind die Urteile klar. Dass es trotzdem funktioniert, beweisen unter anderem eine Firma mit reinen E-Autos und eine Familie, die nur noch ein E-Bike besitzt.

Es kann sehr ruhig sein in Wien-Ottakring. Morgens gegen sieben Uhr zwitschern die Vögel in dem kleinen Innenhof in der Lienfeldergasse, die Luft ist kühl und frisch, und viele Menschen oben in den Wohnungen schlafen noch. In einem Eck im Innenhof beladen ein paar Arbeiter drei Autos mit Werkzeug, mit Metallplatten, Bohrmaschinen, sie legen Leitern auf das Autodach, steigen dann in die Fahrzeuge ein und starten sie. Die Vögel zwitschern weiter, die Menschen schlafen friedlich, alles, was man hört, als Auto um Auto aus dem Innenhof fährt, ist ein leises „Zzzzzzz“.

„Das ist einer der Vorteile von meinen Elektroautos“, sagt Peter Koch. „Würd' ich hier jeden Tag in der Früh mit ein paar Dieselautos herumfahren, hätt' ich bald einen Aufstand, der sich gewaschen hat.“ So aber bleiben die Nachbarn so ruhig wie die Renaults Kangoos.

Peter Koch ist ein Vorreiter in Wien, möglicherweise sogar in ganz Österreich. Der 49-jährige Unternehmer, der eine Spenglerei mit 22 Angestellten in Wiens 16. Gemeindebezirk betreibt, hat seine ganze Firmenflotte auf Elektroautos umgestellt: Sechs Kastenautos (Renault Kangoo), zwei Dienstwagen (Renault Zoe, Twizy), und auch privat fährt Koch elektrisch (BMW i3). Seine Motivation seien seine drei Kinder gewesen. „Ich will ein wenig dazu beitragen, dass sie in einer intakten Umwelt aufwachsen.“ Am Anfang, sagt Koch, sei die Umstellung „schon eine Herausforderung“ gewesen. Mittlerweile aber ist für ihn klar: „Das war wahrscheinlich eine der klügsten unternehmerischen Entscheidungen, die ich je getroffen habe.“


Kein Problem. Wenn man derzeit von Elektroautos spricht, dann gibt es sofort eine Frage – Wie groß ist die Reichweite? – und ein Urteil: Nicht alltagstauglich! Spricht man mit jenen, die schon strombetriebene Autos nutzen, gibt es darauf eine Antwort und ein anderes Urteil: Kein Problem.

„Es gab in den drei Jahren, seit wir E-Autos haben, jedes Jahr vielleicht eine Handvoll Situationen, in denen es schwierig war“, sagt Koch. Seine Autos schaffen im Winter 60, 70 Kilometer, im Sommer 100 bis 110. „Mehr fahren wir normalerweise an einem Tag nicht.“ Außerdem könne man die Autos bei verständnisvollen Kunden aufladen, auch wenn das für die meisten ein Lernprozess war: „Kaum jemand hat eine Ahnung, wie viel Strom ein Auto verbraucht. Ich sag' denen dann immer: Was wir bei ihnen an Strom zapfen, ist weitaus weniger, als ihr Wäschetrockner verbraucht.“

Die Spenglerei sieht es bei den monatlichen Fahrtkosten. Früher gab Koch für Treibstoff etwa 3000 Euro im Monat aus, die E-Autos kosten 200 Euro pro Monat plus 420 Euro für die Batteriemiete.

Elektrofahrzeuge sind für die Autoindustrie ein notwendiger Schritt, um die immer strenger werdenden Abgasvorschriften der Regierungen zu erfüllen. Doch über viele Jahre forschte man halbherzig, wenig motiviert und noch weniger inspiriert. Renault beispielsweise stellte schon Anfang 2012 den rein elektrisch betriebenen Stufenheckwagen Fluence Z.E. vor. Doch das Auto hat ein gravierendes Problem: Es ist nicht schön. Nichts an ihm mutet futuristisch an und zeigt außen, welch raffinierte Technik innen steckt. Eher sieht es aus, als käme es mit Wollfilzhut und umhäkelter Klopapierrolle.

Erst als der US-Amerikaner Elon Musk den Tesla Model S vorstellte, ein geräumiges Oberklasseauto mit schönem Design und einer bis dahin nicht gekannten Reichweite von mehr als 400 Kilometern, setzte ein regelrechter Hype um Elektroautos ein. BMW nützte das für einen packenden Sportwagen, den i8, der von einem 1,5-Liter-Benzin- und einem 96-Kilowatt-Elektromotor angetrieben wird und aussieht, als käme er aus der Zukunft. Das hat freilich auch seinen Preis: knapp 140.000 Euro.

„Mein Renault Zoe hat 20.000 Euro gekostet“, sagt Manfred Brustmann. Der Niederösterreicher hat einen kleineren Ehestreit riskiert, als er das Elektroauto vor einigen Tagen gekauft hat. Es ging um die Reichweite und die Frage, ob ein reines E-Auto als einziges Fortbewegungsmittel den Dieselwagen ersetzen kann. „Natürlich werden wir uns umstellen müssen“, meint der Eventmanager, „aber das wird super. Ich schaffe mit dem Zoe etwa 180 Kilometer, da komme ich überall hin, wo ich hinmuss. Notfalls mache ich halt eine halbe Stunde Kaffeepause und laden ihn wieder auf.”

Bei Manfred Brustmann erlebt man den Enthusiasmus, den viele E-Auto-Fahrer teilen. Auf dem Dach seines Reihenhauses in Fischamend hat er 34 Quadratmeter Solarpaneele installiert. „Neben dem Eigenbedarf produziere ich damit im Jahr einen Überschuss von 4500 Kilowattstunden (kWh) Strom. Die verkaufe ich um acht Cent pro kWh an meinen Stromanbieter.“ Künftig wird er damit das Auto tanken: „Der Zoe braucht auf 100 Kilometer etwa 13 kWh, das sind also theoretische Kosten von 1,04 Euro.“ Pause. „Das ist doch traumhaft.“

Das hat sich auch ein Wiener Vertreter gedacht, der vor einem Jahr auf einen Tesla umgestiegen ist. Obwohl das Auto fast 90.000 Euro gekostet hat, glaubt er, finanziell gut auszusteigen. „In spätestens drei Jahren habe ich das, was mich der Tesla im Vergleich mit einem Diesel mehr gekostet hat, wieder herinnen.“ Denn derzeit würden noch viele Firmen kostenlosen Strom anbieten, beispielsweise eine österreichweite Supermarktkette. „Mit ein bisschen Planung fahre ich das ganze Jahr kostenlos.“


Wien gegen E-Autos. Auch Österreichs größte E-Stromtankstellenkette ist günstig. Um 14,90 Euro pro Monat kann man bei Smatrics so viel Strom zapfen, wie man braucht. „Auf Dauer wird das nicht gehen“, meint Geschäftsführer Michael Viktor Fischer. „Aber noch ist es möglich.“ Das Unternehmen hat aktuell 190 Ladestationen in Österreich, umgerechnet ist man immer nur 60 Kilometer von der nächsten Stromtankstelle entfernt. Bis zum Jahresende sollen es 300 Ladepunkte sein.

Interessanterweise wehrt sich ausgerechnet das zur Hälfte grün regierte Wien gegen Stromtankstellen. „Wir dürfen keine Ladestationen auf öffentlichen Plätzen in Wien errichten“, sagt Fischer. Warum das so ist, erklärte Grünen-Gemeinderat Christoph Chorherr in einem längeren Tweet: Die Ökobilanz der Elektromobilität sei nicht automatisch positiv. Es sei sinnvoll, etwa bei Taxis auf Stromantrieb zu setzen, aber es gehe darum, den Verkehr generell zu reduzieren – vor allem in der Stadt.

Bei Christian Ecker findet Chorherr mit dieser Meinung einen leidenschaftlichen Unterstützer. „Individualverkehr ist nicht nur eine Belastung für die Umwelt, er ist auch eine völlig ineffiziente Art der Fortbewegung.“ Vor einem Jahr haben er und seine Frau Ulrike für sich, die drei Kinder und den Hund einen radikalen Entschluss gefasst: Das 15 Jahre alte Auto wurde verkauft, für die täglichen Fahrten schuf man sich – ein Elektrofahrrad an. Mit ihm pendelt Christian Ecker zum Bahnhof in Baden, wenn er zu seiner Arbeit als Krankenpfleger nach Wien fährt, seine Frau fährt mit dem Elektrobike einkaufen.

„Es funktioniert hervorragend“, erklärt Ulrike Ecker. „Das Auto hat man oft nur aus reiner Bequemlichkeit verwendet. Seit wir es nicht mehr haben, fahren wir bewusster.“ Für längere Strecken teilen sich die Eckers mit 25 anderen Personen in Baden ein Elektroauto (Badener E-Car Sharing).

Das Elektrofahrrad könnte in Zukunft gerade rund um Städte zum wichtigsten Pendlerfahrzeug werden. Laut einer Studie des deutschen Umweltbundesamts ist das E-Fahrrad bis zu einer Strecke von zehn Kilometern das schnellste Verkehrsmittel. Auch aufgrund steigender Parkkosten und drohender City-Mauten in Städten (wie in London) könnte sich das Elektrofahrrad zu einer „lohnenden Alternative für Berufspendler“ entwickeln. Auch jetzt schon boomen Elektrofahrräder und bescheren der Industrie nach dem Mountainbike eine zweite Renaissance. KTM verkaufte laut Marketingmanager Josef Haider 2014 insgesamt 31.000 E-Bikes, 2009 seien es gerade einmal 700 gewesen. Dabei ist der Spaß nicht billig: Von den 49 verschiedenen Modellen, die KTM anbietet, kostet keines weniger als 2000 Euro.

Bei Spengler Peter Koch kommen nach und nach die Mitarbeiter von den Baustellen zurück. Die Autos werden an die Ladegeräte gehängt, die von Kochs eigener Fotovoltaikanlage gespeist werden. Mittlerweile haben bereits sechs andere Unternehmer in Ottakring ein Elektroauto gekauft. Aufladen dürfen sie ihre Autos bei seiner Anlage freilich nicht, weil Koch damit zum Stromhändler werden würde – und das verbietet die Stadt Wien. Skurriler war freilich, als er mit seinen abgasfreien Elektroautos zur Überprüfung musste. Die Behörde kontrollierte, ob die E-Autos die CO2-Vorschriften erfüllen, und klebte dann eine Abgasplakette auf jedes Auto.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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