Fürchte das prophetische Lamm!

EGYPT GERMANY 100TH ANNIVERSARY OF ARCHEOLOGY
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Ägyptologie. Die Ausstellung „Orakelsprüche, Magie und Horoskope“ im Papyrusmuseum zeigt, wie Ägypten in die Zukunft gesehen hat. Geheimnisvolle, apokalyptische und rührende Geschichten.

Mehr als 70 meist fragmentarische, zum Teil sehr kleine braune Blätter aus Papyrus, Pergament und Papier, aus 1800 Jahren antiker und mittelalterlicher Geschichte – die Ausstellung im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek ist an Abstraktion kaum zu überbieten. Auch sprachlich dürften selbst manche Altphilologen überfordert sein: Die Orakel- und Zaubersprüche sowie die Horoskope sind auf Demotisch, Altgriechisch, Koptisch und Arabisch verfasst.

Dennoch findet man sich bei dem Dutzend Schaukästen, die einige der wertvollsten Schriften der Nationalbibliothek zeigen, gut zurecht – wegen der Begleittexte, aber auch wegen des Katalogs. Mit ihm in der Hand, das kann man getrost prognostizieren, erschließt sich die Ausstellung fast mühelos.

Gezeigt und erläutert wird auch Neustes aus der Forschung: „Die arabischen astronomischen Texte und Horoskope werden zur Zeit von Johannes Thomann für eine Edition aufbereitet“, sagt die Ägyptologin Angelika Zdiarsky, seit 2008 Kuratorin des Museums, im Gespräch mit der „Presse“. Der Einfluss der im islamischen Herrschaftsbereich entstandenen Werke zur Himmelsbeobachtung war stets groß. Die Astronomie ist reich an arabischen Fachausdrücken wie Zenit und Azimut und Sternennamen wie Aldebaran, Wega.

Als Jesus noch ein Knabe war

Was haben die Menschen in Ägypten vor tausenden Jahren gehofft? Was haben sie gefürchtet? Ein Mann namens Asklepiades wollte etwa vom Krokodilgott Soknopaios am 6.April 6 n. Chr. konkret wissen, ob denn die geplante Ehe mit einer gewissen Tapetheus zustande komme. Gewissenhaft schrieb er Fakten für das Orakel auf, auch dass seine ersehnte Zukünftige bereits verheiratet gewesen sei. Denn vor göttlicher Instanz hatte man nichts zu verheimlichen. Ob es zur Ehe gekommen ist, ist nicht erhalten.

Eine weitere Rarität der Schau handelt vom „Lamm des Bokchoris“. Der Text liest sich wie eine Apokalypse. Auf diesem Papyrus der Nationalbibliothek befindet sich die bisher einzige bekannte Abschrift eines demotischen (ägyptischen) Textes: Er wurde 4n.Chr. geschrieben, im 33. Regierungsjahr des römischen Herrschers Augustus, als Jesus noch ein Knabe war. Ein Mann namens Cheteba hat diese komplexe Fiktion geschrieben. Seine Geschichte erzählt von einem Mann, dem ein Lamm Unheil für Ägypten voraussagt. Er liest in einem Buch, während seine Frau zum Gebären kommt. Plötzlich beginnt das Tier zu sprechen. Meder würden nach Ägypten kommen, kleine Kinder nach Syrien verschleppt. Zwar würde nach 900 (!) Jahren wieder eine Heilszeit für das Land beginnen, es würde die Lüge vergehen und die Wahrheit blühen, davor aber gebe es Stress. Das Lamm stirbt nach der Prophezeiung. Die Voraussagen werden pflichtschuldig dem weisen König Bokchoris (aus dem achten Jahrhundert v. Chr.) gemeldet. Der ordnet weitsichtig an, das prophetische Tier wie einen Gott zu bestatten. Hier endet das Fragment.

Faszinierend sind auch die sogenannten Sator-Quadrate. Es handelt sich um fünf mal fünf Buchstaben, die in jede Richtung zu lesen sind. Ein perfektes Geflecht von Worten, das mit Sator beginnt, umgekehrt mit Rotas endet. In der Ausstellung ist eines dieser magischen Quadrate in Geheimschrift zu sehen (siehe Bild).

Glück, Gesundheit: garantiert

In solchen Mustern vermuteten Menschen Antworten zu ganz konkreten Fragen. Was wird die Zukunft bringen? Durch Lose, Würfel, Leber- und Vogelschau suchte man Gewissheit. Die Menschen dieser Zeitalter sahen das Schicksal durch göttliche Mächte bestimmt. Sie konnte man auch um Schutz bitten, etwa gegen Skorpionstiche – und unangenehme Nachbarn.

Und welcher Papyrus gefällt der Kuratorin besonders? Das Orakel Nr. 13, um etwa 200 n. Chr. geschrieben, das Gesundheit Glück, Erfüllung des Begehrten und Wohlergehen verheißt, eine der bislang acht bekannten ausführlichen Antworten solcher Orakel. Die Götter würden den um seine künftige soziale Stellung besorgten Fragesteller leiten, heißt es. Dazu bemerkt Zdiarsky: „Was mehr noch kann man einem Menschen wünschen?“

NATIONALBIBLIOTHEK

Die Ausstellung „Orakelsprüche, Magie und Horoskope. Wie Ägypten in die Zukunft sah“ ist im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek bis 10.Jänner 2016 zu sehen, am Heldenplatz 1, 1010 Wien. Immer Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

Den Katalog zur Schau hat deren Kuratorin Angelika Zdiarsky herausgegeben, im Phoibos-Verlag, Wien 2015, 152 Seiten, 29 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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