Bedauert die Mütter nicht!

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In der Vorwoche empörte sich hier Nicola Gold über den gesellschaftlichen Druck auf Kinderlose. "Presse"-Redakteurin Sara Grasel antwortet ihr: Auch Mütter müssten sich häufig für ihren Lebensentwurf entschuldigen.

Autofahrer gegen Radfahrer, Raucher gegen Nichtraucher, Junge gegen Alte – es gibt zahllose gesellschaftliche Reibungsflächen. Und offenbar fehlt nun auch Müttern und kinderlosen Frauen das gegenseitige Verständnis für einander. Vor genau einer Woche erschien an dieser Stelle ein Artikel, in dem eine Kinderlose ihrem Ärger Luft machte. Da wurden Mütter zu Dummchen, deren Interessen zwischen Windelinhalt und Wohnzimmer-Interieur rangieren. Väter hingegen unterhielten sich nur noch über Sportwagen und widmen Glasuntersetzern leider zu wenig Aufmerksamkeit. Die Ehe, nur noch eine Fassade, hinter der sich Wasserkaraffen-Dramen abspielen. Das ist das Muster, nach dem solche Diskussionen oft geführt werden: mit Klischees und Vorurteilen.

Man kann Nicola Gold, der Autorin, vieles entgegnen. Zum Beispiel, dass das Leben von Müttern nicht von solchen Belanglosigkeiten getrieben wird. Und dass ein Streit über Nichtigkeiten (nicht immer) tiefere Bedeutung für Ehen hat. Oder man entgegnet ihr, dass auch das Leben von Kinderlosen nicht nur erstrebenswert ist. Rastlos durch Nachtclubs und später gediegene Weinbars zu ziehen, auf der Suche nach Schmeicheleien und seichten Gesprächen, die der Lärmpegel eben gerade noch zulässt. Wenn der Artikel von Gold aber eines gezeigt hat, dann, dass es furchtbar kindisch ist, Lebensmodelle gegeneinander auszuspielen.

Genauso wie kinderlose Frauen sind auch Mütter es gewohnt, ihre Entscheidung zu rechtfertigen. „Dir geht es gut“, hört man da häufig, wenn Freunde nach der Geburt „Baby schauen“ kommen. „Ich wäre auch gern den ganzen Tag daheim.“ Dass Mutter zu sein oft harte Arbeit ist, wird in unserer Gesellschaft nach wie vor nicht (oder nicht mehr?) anerkannt. Es ist ein Job ohne Feierabend und Urlaub, 24 Stunden, sieben Tage die Woche – die Chefetage ist gnadenlos. „Ah, das kenne ich! Wir haben ja einen Hund“, hört man gelegentlich beim Versuch, die Situation zu erklären. Kinder großzuziehen ist Arbeit, deren Wert gesellschaftlich nicht hoch genug bewertet werden kann. Gehalt gibt es dennoch höchstens in den ersten beiden Jahren – ein Hungerlohn. Und selbst den gilt es zu verteidigen. Sogar wohlwollende Bekundungen unter Freunden enden häufig mit einem Vorwurf: „Du hast es dir aber auch wirklich verdient, jetzt auch einfach mal so Geld zu bekommen, ohne zu arbeiten.“ In Online-Foren werden Mütter beleidigt: „Diese Gebärmaschinen lassen sich von uns Steuerzahlern durchfüttern“. Der Druck, alles richtig zu machen, ist groß. Viele Mütter haben bereits in der Karenz einen kleinen Nebenjob oder feilen an ihrer Bildung. Die meisten kehren nicht mehr in ihren alten Job zurück. Vollzeit zu arbeiten, geht sich mit einem Kleinkind kaum aus.

„In den Kindergarten? Echt? Ist das nicht zu früh? Ich habe gehört, dass es schlecht ist für die emotionale Entwicklung, wenn man Kinder so früh weggibt.“ An dieser Stelle wechselt die Diskussion häufig vom Vorwurf der Faulheit hin zur Sorge um das Kindeswohl – geführt wird sie von Kinderlosen, Eltern und Großeltern gleichermaßen, denn Erziehungsexperten sind wir alle. „Wie, du kochst den Brei nicht selbst? Was in den fertigen Breis alles drinnen ist, man kann ja nie wissen“, hört man da von der schwangeren und bereits gut informierten Freundin. Nachsatz: „Und du hast ja wirklich genug Zeit, oder?“ In der Straßenbahn steht man als Mutter manchmal unter dem Generalverdacht, sein Baby zu vernachlässigen: „Wieso hat es keine Socken an? Sogar mir ist irgendwie kühl“, meint die ältere Dame sorgenvoll. Auch wenn Mütter irgendwann immun gegen solche Aussagen werden, verunsichert so etwas hie und da. Während Baby-Wissen früher in der Großfamilie vermittelt wurde, versinkt man heute in Ratgebern und Tipps. Von Muttermilch bis Popo-Salbe – für alles gibt es zahllose Experten und ebenso viele Meinungen.

Eltern bevorzugt?

Eltern sind gut organisiert, empathisch und entscheidungskräftig. Manche Arbeitgeber wissen das sehr genau und bevorzugen Angestellte mit Kindern. In der Regel geht es dabei aber um Väter oder um bedeutungslose Phrasen der HR-Abteilung. Denn auch, wenn Mütter endlich nicht mehr „faul auf der Couch liegen“ und wieder arbeiten gehen, reißen die Vorwürfe nicht ab: Pflegeurlaub, flexible Arbeitszeiten und andere „Extrawürste“ regen genauso auf wie die Frage, ob man seine Mutterpflichten nicht vernachlässige.

Es ist vielleicht kein Wunder, wenn sich viele Frauen lieber für das Lebensmodell von Nicola Gold entscheiden. Auch Mütter sehnen sich gelegentlich nach Anerkennung und sei es nur eine finanzielle. Mit dem Urteil, dass Ehe und Kinder oder gar Designer-Möbel unglücklich machen würden, liegt Frau Gold daneben. „Sie studierte Kunst, war wild und experimentierte. Doch dann – Mann, Schwangerschaft, Hochzeit, Designer-Möbel.“ Die Unterstellung, die hier mitschwingt, dass Ehe und Kinder keine freie Entscheidung seien, ist völlig antiquiert. Außerdem hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Das Studium ist noch keiner Mutter aberkannt worden, und wild und experimentierfreudig ist niemand in jeder seiner Lebensphasen. Die Dinge, die uns glücklich machen, wechseln. Und auch das ist gut so. Kinder, da werden alle Eltern zustimmen, gehören zu den besten Entscheidungen im Leben. „Wir sollten die Freigeister, Künstler, einsamen Wölfe und Eremitinnen nicht bedauern“, schreibt Frau Gold. Natürlich hat sie in diesem Punkt recht. Wir sollten niemanden für seinen Lebensentwurf bedauern. Auch Mütter nicht.

Debatte

Am vergangenen Sonntag erschien an dieser Stelle der Text „40, ohne Kind - na und?“ von Nicola Gold, die in Wien als freie Texterin lebt. Sie schrieb ein Pamphlet für mehr Toleranz mit Kinderlosen, ging dabei aber mit Müttern und Eltern hart ins Gericht. Der Text hat online wie offline viel Zuspruch und Kritik ausgelöst – auch innerhalb der Redaktion. Nun antwortet „Presse“-Redakteurin Sara Grasel, derzeit in Babykarenz, auf den Text der Vorwoche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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