Wieso ich gern fliege

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THEMENBILD: FLUGZEUG / FLUGVERKEHRAPA/BARBARA GINDL
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Der Autor Martin Amanshauser sucht nach den Gründen für seine irrationale Sympathie für Flugreisen – sogar den sehr langen.

Es gibt keine logischen Gründe dafür, aber eigentlich fliege ich gern. Warum nur? Bei unparteiischer Betrachtung sind Flugzeugreisen, gleichermaßen auf der Langstrecke wie auf dem Kurztrip, keine erfreuliche Sache. Man sitzt eingepfercht in einem unangenehm schwankenden Klima, Kaugummi klebt in den Fächern, abgegriffene Bordmagazine strecken ihre geknickten Ecken in die Luft, die nach Chicken und Beef stinkt oder künstlich beduftet wird, bis man kotzen möchte. Die Nähe Dutzender Fremdlinge tut ihr Übriges. Dazu kommen Rituale wie der melancholische, die Mitarbeiterinnen demütigende Duty-free-Verkauf von überteuertem Ramsch. Was zum Teufel hat meine Psyche so pervertiert, dass ich mich gern in solche Kurzzeitgefängnisse begebe?

Zunächst einmal ist da der Panorama-Ausblick über die Erde – auch wenn einem der immer öfter verboten wird. Als ich einmal über den Himalaja flog, spähte ich im verdunkelten Flugzeug durch einen Sichtschlitz auf die Gebirgsformationen. Das brachte mir einen scharfen Wortwechsel mit der Flugbegleiterin („But there's nothing to seeeee out there.“) ein. Im Grunde verstand ich sie ja – es gibt keine bessere Handhabe, 300 Menschen ruhigzustellen, als das Herunterschieben dieser Fensterklappen.

Fliegen gilt als die sicherste Reiseform, liegt meine Flugfreude daran? Vor 15 Jahren, als ich seltener flog, litt ich wie ein Viertel aller Passagiere unter Flugangst. Ich benötigte ein eingehendes Studium von Flight-Security-Pages, um dieses vernunftwidrige Gefühl zu besiegen. Kann sein, dass diese Überwindung eine entscheidende Rolle für mein positives Gefühl spielte – in einem Winkel meines Gehirns hat sich ein Stück Nervenkitzel gehalten, ein kleiner Otto Lilienthal in mir, den ich schätze.

Panoramablick über die Erde

Niemand, außer der Werbung, möchte nun behaupten, dass man über den Wolken bequem sitzt. Im Gegenteil, alle paar Jahre lassen die Airlines den Sitzabstand in der Economy noch ein paar Zentimeter enger schrauben. Positiv betrachtet: Wo sonst auf dieser Welt bekomme ich sonst einen derart detaillierten Eindruck davon, wie sich Hühner in einer Legebatterie fühlen? (Ich bin mir sicher, dass wir die vielen glücklichen Eier in den Supermarktregalen feinfühligen Landwirten verdanken, die von Flugreisen sensibilisiert waren.)

Riesenkoffer

Die Gepäckfächer möchte ich gar nicht erwähnen. Ich frage mich immer, wieso den Leuten erlaubt wird, ihre hässlichen Riesenkoffer an Bord zu bringen, die meiner Hausmeistertasche den Platz zum Atmen nehmen? Aber ich schimpfe nie. Eine Flugreise ist, gerade wegen ihrer Mischung aus Ungerechtig- und Unbehaglichkeit, perfekt dafür geeignet, die guten Sitten auszubilden. Bevor ich meine Rückenlehne nach hinten verstelle, erhebe ich mich kurz, nehme Blickkontakt mit dem Menschen hinter mir auf und deute mit einer bedauernden Geste an, dass ich gedenke, seinen Platz weiter einzuschränken. Ich beherrsche die Pantomime mittlerweile so perfekt, dass ich mit den Hinterleuten immer auf gutem Fuß stehe.

Doch leider gibt es auch Nachbarn. Als Fensterschläfer versuche ich, Plätze mit A oder F zu erhalten. Mir ist die Philosophie der Gangsitzer (Freiheitsliebende, denen Dauerurinablassen wichtiger zu sein scheint als Schlaf) vollständig fremd. Einst vertrat ich die Theorie, dass die Airlines neben mir, ja neben allen tendenziell Dünnen, gezielt Schwergewichtler platzieren, indem das Bodenpersonal abwechselnd Dicke und Dünne nebeneinanderschlichtet. Doch das war wohl Paranoia. Übergewichtige werden vermutlich oft auf Mittelsitze verpflanzt, weil sie nur dort zwei Armlehnen blockieren können, die ausschließlich die Nebenleute ärgern, nicht aber den Ablauf des Flugs durch in den Gang gestreckte Extremitäten erschweren. Die Dicken sind nur meine private Neurose, jeder hat da seine eigene. Kindermuffel schwören ja auch, dass die Schreibabys gerade neben ihnen zum Sitzen kommen, Angstpatienten kriegen partout Durchgeknallte zugeteilt.

Sind es die Flugbegleiterinnen, die meine Reise versüßen? Wohl kaum. Einige von ihnen mag ich, die meisten gehören zu der Plastikfingernagel-Fraktion, mit der ich im Privaten wenig zu schaffen habe. Ich schätze jedoch ihre Professionalität – vor allem seit damals, als Rapid-Fans in der Kabine eine Zigarette anzündeten. Mich beeindruckte, wie klar und cool eine zierliche Flugbegleiterin den wilden Kerlen darlegte, welche Art von Konsequenzen zu folgen drohte. Ich habe noch nie gesehen, wie jemand derart hastig eine Zigarette ausdämpft.

Chicken or Beef?

An den Mahlzeiten kann meine Vorliebe für Flugreisen auch nicht liegen. Allein der Geruch der Geschmacksverstärker könnte Tote erwecken. Es lohnt sich aber durchaus, die klassische Frage „Chicken or Beef?“ – samt Pasta – theoretisch durchzudenken. Ich persönlich reihe, komplementär zu meinem Grundgeschmack, Beef vor Chicken und Pasta. Ich esse aber ohnehin nur selten. Was für ein Freiheitsgefühl: sich bei der Essensausgabe hinter einer unverschämt breiten Zeitung zu verstecken und freundlich abzuwinken! Für jemanden, der gelegentlich fliegt, mag eine Mahlzeit an Bord akzeptabel sein, mal eine Abwechslung. Ich kenne aber keinen einzigen Vielflieger, der Flugzeugessen anrührt.

Mich fasziniert die Einheitlichkeit des Passagier-Flugverkehrs. Wieso sind Boeings für Laien so schwer von Airbussen zu unterscheiden? Weil bei diesem Duopol einer vom anderen abbaut und abdesignt. Auch der Ablauf der Flüge samt vorgetragenen Texten ist deprimierend identisch. Das führt zu einem Gewöhnungseffekt, der einschläfernder wirkt als der beste Tranquilizer. Man fühlt sich im Flugzeug einfach – wie im Flugzeug. Man kennt die Regeln und befolgt sie. Und das verleiht einem, auch wenn man sich gelegentlich einbildet, ungern an Bord zu sein, ein am Boden unwiederholbares, außergewöhnliches Geborgenheitsgefühl, das nachwirkt.

Wieso liebe ich dieses menschenverachtende Tollhaus nur? Nun, wo sonst serviert mir jemand Tomatensaft? In meinem Supermarkt verzichte ich auf den Kauf dieses Getränks, da geht es mir so wie den Touristen, die Retsina aus Griechenland mitbringen und ihn daheim öffnen – er ist einfach nicht mehr der gleiche. Tomatensaft schmeckt nur über den Wolken. Probieren Sie ihn!

Der Autor

Martin Amanshauser, geboren 1968 in Salzburg, lebt in Wien und Berlin. Seit dem Abschluss seines Studiums der Geschichte, der Sprachen Spanisch und Portugiesisch sowie Afrikanistik arbeitet er als Schriftsteller, Journalist und Übersetzer. Er erhielt u. a. den Georg-Trakl-Förderungspreis für Lyrik und das Staatsstipendium für Literatur. Seit 1999 ist er als Reisejournalist, auch für „Die Presse“, tätig. Bisher erschienen sind u.a. „Chicken Christl“, „Alles klappt nie“ (Roman) und seine Sammlung der Reisekolumnen aus der „Presse“ in „Falsch Reisen. Alle machen es“ (2014).
amanshauser.at

Am 27. Juli erscheint sein neuer Roman „Der Fisch in der Streichholzschachtel“, Deuticke Verlag
Illustration: Petra Winkler

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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