Sea-Watch: "Das Ertrinken ist gewollt"

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Die beiden Deutschen Harald Höppner und Ingo Werth suchen im Mittelmeer mit einem alten Fischkutter nach ertrinkenden Flüchtlingen.

Als Ingo Werth nach dem zweistündigen Flug nach Wien sein Handy wieder einschaltet, sind da 124 verpasste Anrufe. Ein bisschen viel für den Chef einer Autowerkstatt in Hamburg. Aber Werth ist nicht nur Automechaniker. Er kann auch Schiffe reparieren, hat den Atlantik überquert und im Juli zwei Wochen damit verbracht, vor der Küste Libyens einen Fischkutter zu steuern, um ertrinkende Menschen aus dem Meer zu fischen. Seither gehört er zum Kern von Sea-Watch, einer privaten Initiative, die sich genau das zum Ziel gemacht hat.

Knapp 600 Leute in Seenot, berichtet Werth, hätten er und seine Crew in einer Woche entdeckt oder von der Seenotzentrale gemeldet bekommen. Menschen aus Eritrea, Somalia, dem Sudan, oft seit Tagen ohne Wasser, denen man erzählt hat, es handle sich bei der Überfahrt um einen „river“, einen Fluss. Die Sea-Watch ist dabei zu klein, um Flüchtlinge aufzunehmen. „Als Erstes geben wir ihnen Rettungswesten“, sagt Werth. Dann blasen die Helfer Rettungsinseln auf und bleiben bei der Flüchtlingen, bis ein großes Schiff sie an Bord nehmen kann.

Jetzt sitzt Werth mit Sea-Watch-Gründer Harald Höppner in dem grünen Idyll der Stadtflucht Bergmühle in Kronberg, wo an diesem Wochenende eine Vollmondparty dringend benötigtes Geld in ihre Kassen gespült hat, und trinkt Rosé, um sich zu entspannen. „Richtig scheiße“, sagt Höppner, fühle es sich an, nicht auf See zu sein. „Wenn du wegfährst und weißt, morgen ersaufen sie wieder. Weil es jeden Tag passiert.“ Freilich, Anfang dieser Woche bricht eine neue Crew in Richtung Libyen auf; Werth und Höppner kümmern sich um den zweiten Teil ihrer selbst auferlegten Aufgabe: aufmerksam zu machen. Darüber, was die EU-Grenzsicherungsmission Triton (auftragsgemäß) bedeutet. „Was wir machen können, ist nur ein Bruchteil. Es gibt etwa 20 Frontex-Schiffe, aber sie fahren nicht dorthin, wo die Leute ertrinken.“ Das Ertrinken sei gewollt.

Er selbst wollte dem Drama jedenfalls nicht länger zuschauen. Manchmal sei einfach eine kritische Masse erreicht, sagt der stämmige Brandenburger. Bei ihm war das vergangenen Herbst der Fall. Da wurde 25 Jahre Mauerfall gefeiert, während in Ungarn der Bau einer neuen Mauer geplant war. „Dazu kommen meine DDR-Vergangenheit und mein humanistischer Hintergrund. Ich weiß auch nicht, wie das Problem zu lösen ist. Aber ich möchte nicht, dass diese Menschen sterben.“ Mit seiner Frau, ein paar Freunden und 60.000 Euro an Erspartem begann er, nach einem passenden Schiff zu suchen. Fündig wurde er in Form eines 1917 gebauten ehemaligen Fischkutters, den der Unternehmer (Höppner betreibt in Berlin zwei Geschäfte für Möbel und Textilien aus Indien und Nepal) zum Rettungsschiff umbauen ließ. Im April schrieb er, wie manche Feuilletons meinen, Fernsehgeschichte: als er Moderator Günther Jauch zu einer Schweigeminute zwang. Weil ihm die Diskussion zu wenig menschlich gewesen war.

Tausend Freiwillige

Seit Juni tritt alle zwei Wochen ein achtköpfiges Ehrenamtlichenteam Dienst auf der Sea-Watch an: drei Mediziner, vier Schiffsleute, ein Journalist. Tausend Freiwillige haben sich beworben. Ingo Werth war einer von ihnen – er könne kochen oder Kapitän sein. Nächstes Jahr will er sich den ganzen Sommer von seiner Firma beurlauben lassen. Er träumt von einer fixen Crew und einem stabileren Schiff. „Was wir jetzt sehen“, ergänzt Höppner, „ist noch lang nicht die Spitze des Eisbergs.“

www.Interview:www.diepresse.com/seawatch

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2015)

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